«Du darfst Mami nicht verraten, dass du ein Geschenk für sie bastelst. Das ist ein Geheimnis.» Solche Ratschläge von Kindergärtnerinnen bringen viele kritische Mütter auf die Palme. So werde das Kind auf eine Kultur der Verheimlichung eingeschworen, die auch die Prävention von sexuellen Übergriffen unterlaufe.

Barbara Keller, Präsidentin des Verbands Kindergärtnerinnen Schweiz, relativiert das: Entscheidend sei, dass man Kindern den Unterschied zwischen guten und schlechten Geheimnissen erkläre.

Ähnlich argumentieren auch die Experten der Fachstelle zur Prävention sexueller Ausbeutung von Mädchen und Jungen (Limita). In ihrer Elternbroschüre halten sie fest: «Gute Geheimnisse machen Freude und sind spannend, schlechte Geheimnisse lasten schwer.» Kindern müsse klar gemacht werden, dass sie schlechte Geheimnisse weitersagen dürfen auch wenn sie versprochen hätten zu schweigen. Das sei eine der wirksamsten Regeln, sagt auch Urs Hofmann, Leiter der Fachstelle Prävention sexueller Ausbeutung im Freizeitbereich (Mira). Sie verhindere Übergriffe zwar nicht, motiviere Kinder aber, sich zu äussern.

Doch können Kinder überhaupt zwischen guten und schlechten Geheimnissen unterscheiden? «Für Vorschulkinder ist das nicht ganz einfach», glaubt Limita-Leiterin Corina Elmer. Erst im Alter von zwölf Jahren wisse ein Kind in einem abstrakten Sinn, was positive und negative Geheimnisse sind. Laut dem Psychologen Heinrich Nufer, Leiter des Marie-Meierhofer-Instituts für das Kind in Zürich, spürten Kinder jedoch durchaus, «welche Gefühle ein Geheimnis auslöst». Deshalb sei es wichtig, im Alltag immer wieder Situationen aufzugreifen, «in denen Geheimnisse eine Rolle spielen, und die Kinder erzählen zu lassen, wie sie sich dabei fühlen». Denn wichtig sei, dass sie ihre Emotionen wahrnehmen und benennen können. Kleine Kinder drücken sich dabei eher über Handlungen, Spiele und Zeichnungen aus.

Limita-Fachfrau Corina Elmer trifft immer wieder auf Eltern, die ihr Kind allzu sehr einschränken, um es vor traumatischen Erfahrungen zu schützen. Damit erweist man seinem Kind allerdings keinen guten Dienst: «So wird es nur noch unsicherer, ängstlicher und angreifbarer.» Statistiken zeigen, dass Sexualtäter gezielt unsichere Kinder aussuchen, weil diese sich leichter ausbeuten lassen.

Der beste Schutz vor sexuellen Übergriffen ist ein starkes Selbstbewusstsein. Kinder müssen lernen, Nein zu sagen. «Dass dieses Nein auch respektiert wird, muss in der Familie vorgelebt werden», sagt Kinderpsychologe Heinrich Nufer.

Kinder, die sich wehren können, sollen auch Geheimnisse haben dürfen. «Denn sie brauchen Freiräume eine Baumhütte oder ein Versteck , wo sie in ihrer eigenen Welt leben und ihre eigenen Gesetze entwickeln können», so Nufer. «Da kann sich zum Beispiel auch das Tökterle abspielen, das letztlich zur Sexualentwicklung gehört.»

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