Functional Food: Feinkost aus dem Chemielabor
Nach der «Bio»- und der «Light»-Welle drängen neue gesundheitsfördernde Nahrungsmittel auf den Markt: im Labor hergestellte Esswaren, die zum Teil wie Medikamente wirken. Ernährungswissenschaftler sind skeptisch.
Veröffentlicht am 10. August 2000 - 00:00 Uhr
Wer schlemmt, lebt ungesund», hiess einst die Devise. Damit ist heute Schluss. Auch wer sich vor einem Herzinfarkt oder vor Arteriosklerose schützen will, kann frohgemut reinhauen: zum Beispiel Margarine, angereichert mit speziellen Fetten, den so genannten Pflanzensterinen. Oder Omega-3-Eier, die mehrfach ungesättigte Omega-3-Fettsäuren enthalten. Gelegt werden die gesundheitsfördernden Eier von Hühnern, die vorwiegend mit Leinsamen gefüttert werden. Ein Riesengeschäft für die Nahrungsmittelbranche. Denn eigentlich könnte der gesundheitsbewusste Konsument die Leinsamen auch gleich selber essen. Ein Teelöffel pro Tag genügt. Kostenpunkt: weniger als 20 Rappen, deutlich billiger als die Omega-3-Eier.
Vor allem eine teure Kost
«Functional Food» heisst der Trend, der der Nahrungsmittelbranche derzeit den Atem raubt. Die neuen Esswaren zeichnen sich nicht nur durch eine ansprechende Verpackung und einfache Zubereitung aus, sondern sind auch Balsam fürs schlechte Gewissen. Denn sie sind mit all dem angereichert, was sonst auf dem Teller oft zu kurz kommt: Ballaststoffen, Pflanzenfett, Kalzium, Magnesium und Zink. Probiotischer Joghurt beispielsweise enthält spezielle Darmbakterien, die das Immunsystem des Darms stärken und die Verdauung fördern sollen.
Kaufen kann man die Feinkost mittlerweile in fast jedem Supermarkt. Die Spezialitäten sind wahlweise als Grundnahrungsmittel, Drinks, Müesliriegel oder Milchprodukte erhältlich. Auf jeden Fall muss die Kundin oder der Kunde dafür tiefer ins Portemonnaie greifen als für herkömmliche Lebensmittel.
Doch ob Functional Food wirklich gesundheitsfördernd wirkt, ist fraglich. Denn bislang gibt es keine Studie, die beweist, dass cholesterinsenkende Margarine tatsächlich Herzinfarkte verhindern oder der Konsum von kalziumangereicherter Milch Knochenschwund (Osteoporose) verhüten kann.
«Wer einseitig isst, lebt auch mit solchen angereicherten Lebensmitteln nicht viel gesünder», sagt die Ernährungswissenschaftlerin Stephanie Baumgartner Perren kritisch. Und fast unisono tönen die Empfehlungen des Zürcher Sozial- und Präventivmediziners Professor Felix Gutzwiller und seines Kollegen Paul Walter, Präsident der Schweizerischen Vereinigung für Ernährung: Gesundheitsbewusste sollten in erster Linie Gemüse, Obst und Vollkornprodukte essen und nicht künstlich aufgewertete Lebensmittel. Functional Food eignet sich zwar als Nahrungsmittelergänzung. Doch derselbe gesundheitsfördernde Effekt ist auch mit ausgewogener Mischkost zu erreichen.
Wissenschaftliche Beweise fehlen
Zudem ist auch nicht sicher, ob zu viel des Guten langfristig nicht schädlich ist. Laut den bisherigen Studien wirkt sich Designer Food zwar positiv auf diverse Körperfunktionen aus, etwa auf den Cholesterinspiegel. Doch die Untersuchungszeiträume betrugen nur jeweils wenige Wochen oder Monate. Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) hat nun reagiert: Zwar wurden in letzter Zeit mehrere Functional-Food-Produkte zugelassen; die Hersteller müssen aber in Zukunft zusätzliche Studien über die Langzeitwirkung dieser Nahrungsmittel vorweisen.
Probiotischer Joghurt, knochenstärkende Biskuits und «Anti-Cholesterin-Brot» markieren erst den Anfang der Entwicklung. Gezielte Eingriffe in die Erbsubstanz von Pflanzen sollen dazu führen, dass diese noch mehr Vitamine, Eiweisse und Eisen produzieren. So haben etwa Forscherinnen und Forscher der ETH Zürich eine spezielle Reissorte entwickelt, die besonders viel Beta-Carotin und grössere Mengen Eisen enthält als herkömmliche Nahrungsmittel. Zu diesem Zweck schleusten die Wissenschaftler unter anderem zwei Osterglockengene in die Pflanzen ein.
Auch der Chemieriese Novartis setzt voll auf Functional Food. Die Basler Wissenschaftler tüfteln an Gemüsesorten für Zuckerkranke, die Insulin enthalten. Das Diabetikergemüse wird aber frühestens in zehn Jahren auf den Markt kommen.
Fast alle grossen Pharma- und Lebensmittelkonzerne investieren grosse Summen in die Entwicklung von Functional Food. Lebensmittel werden in ihre Bestandteile zerlegt, angereichert, mit künstlichen Aromen versetzt und zu neuen Nahrungsmitteln zusammengesetzt, häufig unter Zugabe von reichlich Zucker.
Der Aufwand lohnt sich: Bei insgesamt sinkenden Preisen für Lebensmittel wachsen die Umsätze mit Functional Food markant. Bis zum Jahr 2002, so die Schätzung der Nahrungsmittelmultis, sollen sie weltweit auf 23 Milliarden Dollar steigen.
Functional Food zum Selbermachen: