Die Zeitbombe tickt. Alard du Bois-Reymond soll sie entschärfen. Dafür muss der Chef der Schweizer Invalidenversicherung die mit 14 Milliarden Franken verschuldete Institution aus den roten Zahlen führen. Die Anzahl IV-Rentner hat sich zwischen 1988 und 2008 auf 294'000 fast verdoppelt. Das ist sozialer Sprengstoff, der explodiert, wenn du Bois-Reymond falsch vorgeht – und erst recht, wenn er nichts macht. Letzteres traut ihm aber niemand zu; unter seiner Führung ist bereits das stetige Wachstum der Neuverrentungen gestoppt worden, bei etwa 17'000 im Jahr 2007. In den Vorjahren waren es bis zu 28'000.

Von 1999 bis 2008 fast ­doppelt so viele IV-Bezüger

Die Zahl der Personen, die wegen psychischer Beschwerden eine IV-Rente beziehen, hat jedes Jahr um über sechs Prozent zugenommen. Um über drei Prozent nehmen die Fälle wegen Nervenkrankheiten zu. Bei den Unfällen liegt das Wachstum dagegen unter zwei Prozent pro Jahr.

Die Furcht vor dem «sozialen Kahlschlag»

Die Bombe tickt aber auch für die AHV, die heute das IV-Defizit zu tragen hat. Sie zu entschärfen braucht Zeit. Der IV-Chef verlangt dafür sieben Jahre. Ob er sie bekommen wird, entscheiden die Stimmbürger in drei Wochen an der Urne (siehe nachfolgende Box «Hintergrund»). Was passiert, wenn sie ablehnen?

«Die AHV würde weiterhin jedes Jahr 1,4 Milliarden verlieren, und damit stiege der politische Druck für ungezielte Schnellschüsse», befürchtet du Bois-Reymond. Zum Beispiel indem alle IV-Renten um etwa 40 Prozent gekürzt würden. «Das wäre ein sozialer Kahlschlag, der ausgerechnet die Schwächsten der Gesellschaft treffen würde», so der IV-Chef. Mit dieser Meinung steht er nicht allein: «Die IV kann nur über eine Reduktion der Anzahl Fälle saniert werden», findet Arbeitgeberpräsident Thomas Daum (siehe Artikel zum Thema «Wir haben keinen Plan B»). Die Rasenmäher-Methode kommt für ihn ebenso wenig in Frage wie die Finanzierung der Mehrausgaben über eine Erhöhung der Lohnprozente.

Mit dem Schulterschluss zwischen IV und Arbeitgeberverband werden folglich die heutigen Rentner ins Visier genommen: 12'500 Personen sollen zwischen 2012 und 2018 raus aus der IV und zurück an die Arbeit. So könnte das jährliche IV-Defizit halbiert werden. Nur am Rande hilft dabei das Aufdecken von Rentenschwindel. Auf rund ein Prozent schätzt die IV die Betrugsquote – etwa 50 Millionen Franken. Mit 1,4 Milliarden ist das jährliche Defizit aber fast 30-mal höher.

Darum sollen gut vier Prozent der rechtmässigen Rentner in den Arbeitsmarkt reintegriert werden. So sieht es die 6. Revision der IV vor, die bis Ende Oktober in der Vernehmlassung ist. Wie aber kommt die IV auf die 12'500? Und wer sind die Rentner?

Die IV krankt vor allem an der Psyche. Knapp 40 Prozent der Renten werden in  der Schweiz wegen seelischer Leiden ausgerichtet. 4500 Personen würden mit ihrem Krankheitsbild nach heutiger Praxis und Rechtsprechung aber keine IV-Rente mehr erhalten. Sie leiden unter somatoformen Störungen – Beschwerden, die nicht klar auf eine organische Erkrankung zurückzuführen sind, etwa Schmerzsymptome oder allgemeine Müdigkeit und Erschöpfung. Diese Rentner sollen die IV verlassen.

Für die weiteren 8000 Personen ist deren Eingliederungspotential zentral. «Wir legen den Fokus auf die 25- bis 45-Jährigen, weil die auf dem Arbeitsmarkt noch eine reelle Chance haben. In dieser Altersgruppe kann sich ein Krankheitsbild am ehesten auch wieder verbessert haben», sagt der IV-Chef, der früher die Behindertenorganisation Pro Infirmis leitete.

Auch die umstrittenen Schleudertraumata sollen überprüft werden. Diese können zwar auch künftig Grund für eine Rente sein. «Es ist aber auffallend, dass solche Fälle vor allem in der Deutschschweiz vorkommen. Im Welschland ist das Phänomen beinahe unbekannt.» Du Bois-Reymond spricht von einer «Deutschschweizerkrankheit», deren Hintergründe genauer untersucht werden müssten.

Peter Keller (Name geändert) leidet an einem solchen Schleudertrauma und erhält seit über 15 Jahren eine IV-Rente. Kann er sich vorstellen, wieder zu arbeiten? «Es gibt tatsächlich Phasen, in denen ich das könnte. Dann ist es wieder unmöglich, weil ich sehr starke Kopfschmerzen habe. Wenn es einen Job gibt, der dies berücksichtigt, werde ich auch arbeiten.»

«Jedes Unternehmen ab einer gewissen Grösse sollte einige Personen mit gesundheitlichen Problemen aufnehmen. Es ist aber sehr schwierig, Stellen für IV-Rentner zu finden, die oft jahrelang nicht gearbeitet haben.»

Adrian Kohler, Geschäftsleiter Ricola

Quelle: Gian Marco Castelberg
Zurück im Beruf heisst weniger Einkommen

Die Auserwählten der 6. IV-Revision sollen nicht einfach aus der Versicherung fliegen, es gibt ein Auffangnetz. Scheitert eine Reintegration, soll der Betroffene innert zweier Jahre in einem vereinfachten Verfahren in die Rente zurückkehren können. Bereits nach 30 Tagen Arbeitsausfall wird diese automatisch wieder ausbezahlt.

Liegt es also in der Hand der Rentner, ob sie künftig arbeiten oder weiter Rente beziehen? Mit durchschnittlich 1600 Franken erhalten sie zwar nicht viel, hinzu kommen aber je nach Fall ansehnliche Beiträge aus der Pensionskasse oder IV-Ergänzungsleistungen. Mit der Arbeitstätigkeit fallen diese Einkünfte weg. «In der ersten Erwerbsphase wird das Einkommen eines ehemaligen Rentners sogar meist tiefer sein», räumt du Bois-Reymond ein. Wiedereinsteiger müssten mit einem bescheidenen Anfangslohn rechnen. Dennoch könne nicht jeder, der nicht kooperiere, einfach zurück in die Rente. «Nur jemand, der aus gesundheitlichen Gründen wieder arbeitsunfähig wird, hat dieses Recht. Die IV-Stelle klärt dann ab, ob tatsächlich ein Anspruch besteht», so der IV-Chef. An aufwendigen Abklärungen dürfte es somit auch in Zukunft nicht mangeln. Denn die IV muss bereits vor einem Arbeitseinsatz beurteilen, ob eine Person arbeitsfähig ist. Und der Revisionsentscheid über die Rente fällt ebenfalls vor der Arbeitsaufnahme – allenfalls nach einem kurzen Probearbeiten.

Behindertenorganisationen wie die Pro Mente Sana, die sich für psychisch Kranke einsetzt, wehren sich nicht grundsätzlich gegen die Überprüfung bestehender Renten. «Das Ziel, 12'500 Personen wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren, ist aber völlig unrealistisch», sagt Geschäftsleiter Jürg Gassmann. Dafür fehlten die Stellen. Vor allem die gesuchten Nischenarbeitsplätze würden immer weniger.

Personenflüsse in der Invalidenversicherung zwischen Januar 2004 und Dezember 2006

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Quelle: Gian Marco Castelberg
Unternehmen setzen auf Prävention

Was halten Unternehmer vom Projekt, das vom Arbeitgeberverband unterstützt wird? «Für uns ist es bereits eine sehr grosse Herausforderung, die eigenen Mitarbeitenden mit entsprechenden Problemen sinnvoll zu reintegrieren», sagt Thomas Aebischer, stellvertretender Personalchef der SBB, mit 26500 Angestellten eine der grössten Arbeitgeberinnen. Hinzu komme, dass es immer weniger Schonarbeitsplätze gebe – nicht nur bei der Bahn. «Ich befürchte daher, dass kaum im erforderlichen Ausmass Stellen gefunden werden.»

Viele Unternehmen bemühen sich bereits im Rahmen der seit 2008 geltenden 5. IV-Revision, möglichst keine neuen IV-Fälle entstehen zu lassen. Die SBB bauten dazu ein Case-Management mit 26 Mitarbeitenden auf, das aktiv wird, sobald ein Angestellter mehr als 30 Tage der Arbeit fernbleibt. Anpassungen am Arbeitsplatz oder Umschulungen sollen helfen. «Rund 60 Prozent der Personen können wir behalten oder extern reintegrieren. In knapp einem Drittel der Fälle wird das Arbeitsverhältnis aber trotz professioneller Betreuung aufgelöst, in der Regel begleitet durch Leistungen der IV, Suva oder Pensionskasse», so Aebischer.

Hintergrund: Die Abstimmung

Der Schuldenberg der Invalidenversicherung beträgt 14 Milliarden Franken. Und jedes Jahr werden es 1,4 Milliarden mehr. Beim Urnengang vom 27. September geht es darum, die Mehrwertsteuer zugunsten der IV während sieben Jahren (2011 bis 2017) zu erhöhen, um jährlich rund 1,1 Milliarden Franken zusätzlich in die Kasse zu spülen.

Weil die AHV heute für die jährlichen Verluste der IV geradesteht, könnte mit der Zusatzfinanzierung die AHV entlastet und die finanzielle Kopplung zwischen IV und AHV gelöst werden. Alle grossen Parteien ausser der SVP, ein Grossteil der Wirtschaft (Economiesuisse und Arbeitgeberverband), die Gewerkschaften sowie Behinderten- und Gesundheitsorganisationen befürworten die Vorlage.

Die Zusatzfinanzierung ist nur einer von drei Schritten, mit denen der Bund die IV sanieren will. Die 2008 in Kraft getretene 5. IV-Revision setzt bei der Früherkennung und Prävention in Unternehmen an.

Die 6. IV-Revision soll für eine langfristig ausgeglichene Rechnung sorgen. Unter anderem sollen 12'500 Rentner wieder ins Erwerbsleben zurückkehren.

Gewerkschaften kritisieren die Migros

Die Migros mit rund 80'000 Mitarbeitenden beschäftigt rund ein Prozent IV-Bezüger. Darunter sind bereits heute Menschen, die von der IV an das Unternehmen vermittelt wurden. «Jeder Fall ist mit anspruchsvollen Abklärungen verbunden, was eine effiziente Zusammenarbeit mit der IV erfordert. Zum Teil sind die administrativen Hürden zu gross. Es geht dann wertvolle Zeit verloren», sagt Hans-Rudolf Castell, Leiter der Direktion Human Resources Management. Derweil wird die Migros von Betroffenen und Gewerkschaften kritisiert, weil sie zu wenig für die Integration von Problemfällen unter langjährigen Angestellten unternehme. Immer wieder komme es deshalb zu unverständlichen Entlassungen (siehe Artikel zum Thema «Migros: Schlecht belohnte Firmentreue»).

Das Schweizer Traditionsunternehmen Ricola, mit 420 Angestellten eine mittelgrosse Firma, beschäftigt Leute, die sonst wohl auf eine IV-Rente angewiesen wären. «Wir denken, dass jedes Unternehmen ab einer gewissen Grösse einige solche Personen aufnehmen sollte», sagt Geschäftsleiter Adrian Kohler. Eher schlechte Erfahrungen hat Ricola mit der Neuanstellung von Teilinvaliden gemacht. «Während der ersten Phase mit Temporäranstellung lief alles noch bestens. Kaum waren die Personen aber fest angestellt, kam es zu schwerwiegenden Problemen, die mit der Auflösung des Arbeitsverhältnisses und einer Vollinvalidität endeten. Unsere Pensionskasse musste diese Fälle dann mitfinanzieren», sagt Kohler. Ein Problem, das die IV in der anstehenden Revision beheben will: Für IV-Bezüger, die neu angestellt werden, bleibt während der zweijährigen Versuchszeit die Pensionskasse des ehemaligen Arbeitgebers leistungspflichtig. «Die alte Kasse verliert dadurch nichts, und die neue wird nicht mit einem schlechten Risiko bestraft», so du Bois-Reymond.

«Für die SBB ist die Herausforderung gross genug, die eigenen Angestellten mit gesundheitlichen Problemen zu reintegrieren. Für die 12500 zu reintegrierenden
IV-Rentner werden kaum genug Stellen gefunden.»

Thomas Aebischer, stellvertretender Personalchef SBB

Quelle: Gian Marco Castelberg
Grosse Firmen, wenig Engagement

Wer beschäftigt bereits heute gesundheitlich eingeschränkte Personen? 2008 hat die Stiftung IPT 1733 Unternehmen befragt. Wichtigste Resultate: Kleine und mittlere Unternehmen stellen prozentual deutlich mehr Betroffene an als Grossunternehmen. Schlusslicht sind Banken und Versicherungen mit 1,3 Prozent Angestellten mit einem Handicap, gefolgt von der Gastronomie, dem Transportwesen und dem Gross- und Detailhandel (1,4 Prozent). Dagegen bringt es die verarbeitende Industrie auf 4,1 Prozent. In der öffentlichen Verwaltung, im Gesundheitswesen und in sozialen Institutionen sind es immerhin 3,2 Prozent.

Doch warum sind kleinere und mittlere Unternehmen in der Integration viel aktiver? «Vor allem in internationalen Grossunternehmen fehlt es oft an der Verbundenheit mit der Schweiz und einem entsprechenden Verantwortungsgefühl für die hiesigen Probleme», sagt Jürg Gassmann von Pro Mente Sana.

«Unternehmen, in denen nur Renditedenken Platz hat, werden niemanden integrieren», ist Tobias Juchler überzeugt, der in seiner Gärtnerei Behinderte beschäftigt. Skeptisch gegenüber der geplanten Massenreintegration ist auch das für seine Integrationsleistung preisgekrönte Unternehmen First Catering, das Bordverpflegung für Fluggesellschaften herstellt. «Es ist eine Illusion, aus IV-Rentnern wieder voll einsatzfähige Angestellte zu machen», sagt Firmengründer Markus Oberholzer. Die First Catering mit rund 160 Angestellten beschäftigt über ein Subunternehmen bis zu 50 Handicapierte. Sie beziehen aber weiterhin eine Rente. Was sie verdienen – bis zu sieben Franken pro Stunde –, scheint wenig, es ermöglicht ihnen aber, in einem Unternehmen integriert zu sein.

Personen in der Schweiz, die 2007 zu IV-Rentnern wurden: Anteil der Bevölkerung in Promille, aufgeteilt nach Ursache und Alter

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Quelle: Gian Marco Castelberg
Sozialämter müssen die Revision ausbaden

Eigentlich eine schöne Idee: Die IV schickt 12500 Rentner zum Arbeiten, befreit diese vom Rentnerdasein und spart sich gleichzeitig gesund. Zu schön, um wahr zu werden. Die nötigen Arbeitsplätze für diese Wiedereinsteiger wird es kaum geben. Erst recht nicht, solange Mitbewerber auf dem Markt sind, die wegen der Rezession gerade ihren Job verloren haben. Bei genauerem Hinschauen entpuppt sich die Reintegrationsübung als Wunschdenken – oder Augenwischerei.

Werden die 12'500 als arbeitsfähig eingeschätzten Rentner folglich Rentner bleiben? «Die IV unterstützt die Betroffenen bei der Stellensuche, so weit es geht. Wir können aber keine Arbeitsgarantie geben. Eine fehlende Stelle wird noch kein Grund sein, wieder eine Rente zu erhalten», sagt IV-Chef du Bois-Reymond. Im Mai noch hatte das Bundesgericht entschieden, dass jenen IV-Bezügern, deren Leiden heute nicht mehr anerkannt würden, nicht einfach die Rente gestrichen werden darf. Dafür fehle die gesetzliche Grundlage. Die 6. IV-Revision soll diese schaffen. Dies verlangt zudem eine im Parlament eingereichte Motion, die der Bundesrat zur Annahme empfiehlt.

Mit der Revision dürfte also eintreten, was Sozialvorstände bereits heute befürchten: Die IV-Rentner werden in die Sozialhilfe abgeschoben. Du Bois-Reymond sieht das anders. «Ein Wechsel zur Sozialhilfe ist nicht einfach ein Abschieben: Wenn jemand kein schwerwiegendes gesundheitliches Problem hat, dann ist nun einmal die Sozialhilfe und nicht die Invalidenversicherung zuständig.»

Für Pro Mente Sana ist diese Abschiebestrategie Ausdruck eines «Kässeli-Denkens» im Sozialsystem. Die Sozialämter aber seien für Betreuung und Reintegration von Behinderten fachlich gar nicht ausgestattet. Pro-Mente-Sana-Geschäftsleiter Gassmann fordert darum eine bessere Zusammenarbeit der Institutionen.

Über diesen Mangel beschweren sich regelmässig auch Betroffene. «Nach einem Arbeitsunfall empfahl mir die Suva eine Umschulung. Eine vor Jahren im Ausland begonnene Ausbildung sollte ich jetzt abschliessen», sagt Reto Klar (Name geändert). «Es dauerte dann über ein Jahr, bis die angefangene Ausbildung anerkannt wurde.» Kurz darauf der Rentenentscheid: Die Arbeitsunfähigkeit wurde auf nur 13 Prozent festgelegt – eine Finanzierungspflicht für die Umschulung entfiel. Reto Klar hat aber kein Geld, diese selber zu bezahlen. Statt einer unkomplizierten Unterstützung bei der Umschulung erwartet er nun ein Abgleiten in die Sozialhilfe.

«Es gibt viele ungerechtfertigte IV-Bezüge – etliche Rentner wurden von früheren Arbeitgebern in die IV gezwungen. Es ist eine Illusion, aus den Rentnern jetzt wieder voll einsatzfähige Angestellte zu machen.»

Markus Oberholzer, Gründer First Catering

Quelle: Gian Marco Castelberg
Die Revision 6b ist schon in Arbeit

Selbst wenn die IV die 12'500 Renten aufheben könnte, würde erst die Hälfte des jährlichen IV-Defizits abgebaut. Im Hintergrund wird darum bereits an der Revision 6b gearbeitet, mit der weitere 700 Millionen Franken gespart werden sollen. Du Bois-Reymond will sich noch nicht in die Karten blicken lassen. Nur so viel: «Ein solcher Betrag kann nicht einfach durch Reorganisationen der IV eingespart werden. Die administrative Verwaltung macht heute nur etwa drei Prozent des Gesamtaufwands aus. Es muss noch einmal bei den Leistungen gespart werden.»

Jede fünfte Person im erwerbsfähigen Alter hat zwischen 2004 und 2006 Arbeitslosengeld, Sozialhilfe oder IV-Leistungen bezogen, wenn auch nicht alle über die gesamte Zeit. Dies in einer Periode mit wirtschaftlichen Wachstumsraten zwischen zwei und vier Prozent, wie eine Nationalfonds-Studie zeigt. Für die folgenden, schlechteren Jahre liegen noch keine Ergebnisse vor. Es werden aber zweifellos noch mehr Personen Leistungen von diesen Institutionen erhalten haben.

Die IV ist dabei nicht das einzige Sozialwerk, das sich kaum mehr finanzieren lässt. Mit Sensibilisierungskampagnen für mehr Stellen in den Unternehmen dürfte das Problem aber nicht zu lösen sein. Der stellvertretende SBB-Personalchef Thomas Aebischer: «Es braucht jetzt eine gesellschaftliche und politische Debatte darüber, wer in welcher Form einen Beitrag zur Entschärfung der Situation zu leisten hat.» Das kennen wir doch schon: aus dem Gesundheitswesen. Die Bombe tickt.

«Jeder Fall ist mit anspruchsvollen Abklärungen verbunden, was eine effiziente Zusammenarbeit mit der IV erfordert. Zum Teil sind die administrativen Hürden zu gross. Es geht dann wertvolle Zeit verloren.»

Hans-Rudolf Castell, Leiter Direktion Human Resources der Migros

Quelle: Gian Marco Castelberg