Severin Hauser* ist ein hilfsbereiter Mensch. Doch das endete für den heute 54-Jährigen tragisch. 1998 eilte er einem Autolenker zu Hilfe, der eine Panne hatte – und wurde dabei von einem herbeigerufenen Streifenwagen der Kantonspolizei Basel-Landschaft angefahren und schwer an den Beinen verletzt. Zwei Dutzend Operationen musste er seither über sich ergehen lassen, weitere werden folgen. «Ich habe früher manchmal drei Schichten gearbeitet, für 40 Wohnungen die Hauswartung gemacht und Fussball gespielt», sagt der Vater von vier Kindern. Das geht alles nicht mehr: Hauser, einst strotzend vor Kraft und Energie, ist seit dem Unfall auf Schmerzmittel angewiesen. «Meine Beine», sagt er, «sind kaputt.»

Als er sich wehrte, verlor er die Rente

2003 sprach die Invalidenversicherung Hauser rückwirkend auf das Jahr 1999 eine volle Rente zu – nicht wegen seines körperlichen Zustands allerdings, sondern weil er traumatisiert und aus psychischen Gründen arbeitsunfähig sei. 2011 aber verordnete das Parlament der IV Sparmassnahmen; Hauser wurde, genau wie Tausende andere IV-Rentner, zur Begutachtung aufgeboten, auch wenn sein Gesundheitszustand zuvor schon regelmässig überprüft und nie eine Veränderung festgestellt worden war.

«Dass die IV sich auf Kosten von Unfallopfern bereichert, ist stossend.»

Christian Flückiger, Anwalt

Die IV strich ihm nun die halbe Rente. Hauser wehrte sich, legte beim Verwaltungsgericht Beschwerde ein, geriet aber vom Regen in die Traufe: Vor Gericht beantragte die IV nämlich, die Rente gleich ganz aufzuheben. Mit Erfolg. Nachdem Severin Hauser seine Gesundheit eingebüsst hatte, verlor er nun auch noch die Rente.

Derweil zog die IV Profit aus seinem Unfall, indem sie Geld einsackte, das eigentlich für Hauser vorgesehen war. Weil nämlich ein Polizeifahrzeug den Unfall verursacht hatte, nahmen die IV und Hausers private Versicherung, die «Zürich», Regress auf die Haftpflichtversicherung der Kantonspolizei Basel-Landschaft, die Axa Winterthur. Und die zahlte anstandslos. Sie ging dabei davon aus, dass Hauser nie mehr werde arbeiten können, bestätigt der zuständige Axa-Sachbearbeiter dem Beobachter. Als «Abschlagszahlung», mit der der Fall erledigt wurde, überwies die Axa der IV 290'000 Franken. Davon hat die IV Hauser bis heute weniger als 200'000 Franken als Rente ausbezahlt. Das bedeutet: Nach der Rentenstreichung verbleibt der IV ein «Gewinn» von 100'000 Franken.

«Dass die IV von solchen Abschlagszahlungen profitiert und sich auf Kosten von Unfallopfern bereichert, ist ausserordentlich stossend», sagt Christian Flückiger, Hausers Anwalt. Wie oft das passiert, ist unklar. Ein Sachbearbeiter einer Versicherung, die im Fall Hauser verschiedene solche Abschlagszahlungen geleistet hat, meint, dass es sich um eine «Vielzahl» von Fällen handle.

*Name geändert

Dem widerspricht Harald Sohns vom Bundesamt für Sozialversicherungen. In nur gerade 30 Fällen seien Regressleistungen zur IV geflossen, sagt er. Zudem habe die IV meist zum Zeitpunkt der Rentensenkung bereits mehr an Leistungen ausgezahlt, als ihr mittels Regress vergütet worden seien. Unter dem Strich habe die IV also «keinen Gewinn gemacht».

Selbst wenn dem so ist: Die Art und Weise, wie die IV Severin Hauser die Rente entzog und selber 100'000 Franken daran verdiente, bleibt fragwürdig. Denn, sagt Anwalt Flückiger, «die wesentlichen Beschwerden meines Klienten wurden bei der Rentenüberprüfung gar nicht in Betracht gezogen». Die untersuchende Ärztin, eine Psychiaterin, attestierte Hauser nach der Begutachtung 2011 eine Arbeitsfähigkeit von 50 bis 70 Prozent – und zwar allein wegen seines psychischen Zustands. Den körperlichen Folgen des Unfalls schenkte sie keine Beachtung. «Es ist für mich völlig unverständlich, dass die körperlichen Beschwerden nicht in die Beurteilung miteinbezogen wurden, denn dort liegen Hausers ursprüngliche Probleme», sagt Flückiger.

Das Leiden sei «überwindbar»

Doch die IV kam damit durch – auch vor Bundesgericht, wo sich Hauser gegen die Rentenstreichung wehrte. Auf seine körperlichen Leiden ging es nicht ein, bei den psychischen stellte es sich auf den Standpunkt des untergeordneten Verwaltungsgerichts: Dieses will bei Hauser «ein unklares syndromales Beschwerdebild ohne nachweisbare organische Grundlage» festgestellt haben, das überwindbar sei.

Das Problem für Hauser: Renten, die aufgrund eines solch unspezifischen Leidens zugesprochen wurden, müssen laut Parlamentsbeschluss innerhalb von drei Jahren nach der 6. IV-Revision überprüft und allenfalls gestrichen werden. Bisher ist das in gut 500 Fällen geschehen. Auch Hauser fiel unter diese Bestimmung – als ob Beschwerden bei jemandem, der zwei Dutzend Mal operiert worden ist, keine organische Grundlage hätten. Zudem hatte er das Pech, dass er erst seit 13 Jahren IV-Rentner war. Hätte er zwei Jahre länger eine Rente erhalten, wäre er vom Beschluss nicht mehr betroffen gewesen.

Das RAV vermittelt nur Gesunde

Die IV hat 100'000 Franken an Severin Hauser verdient, er selber steht im Regen. Nach der Niederlage vor Bundesgericht und der endgültigen Streichung der Rente meldete er sich bei den regionalen Arbeitsvermittlungszentren (RAV) an. «Dort sagte man mir aber, dass sie nur gesunde Leute brauchen könnten», sagt er. «Sie machten auch gar keinen Versuch, mir eine Stelle zu vermitteln.»

Heute lebt Hauser von einer Rente von 2000 Franken einer privaten Versicherung seines früheren Arbeitgebers und dem bescheidenen Einkommen seiner Frau. Zeitweise musste das Paar Sozialhilfe beanspruchen. Hauser ist stark eingeschränkt: tägliche Schmerzen, kleiner Bewegungsradius, Trauma. Dazu kommen Spätfolgen einer schweren Infektion, die er sich bei einer Operation zugezogen hatte und derentwegen er wochenlang in einem Isolationszimmer leben musste.

Noch hat Severin Hauser die Hoffnung aber nicht aufgegeben, dass er in Zukunft wieder eine IV-Rente erhält. «Wir haben eine Neubeurteilung des Falls beantragt», sagt Anwalt Christian Flückiger. «Und ich bin zuversichtlich, dass die IV zu einer anderen Einschätzung kommt, wenn sie die körperlichen Beschwerden gewichtet.»