Beobachter: Sie raten Menschen mit Gesundheitsproblemen häufig von einer IV-Anmeldung ab. Warum?
Hans Schmidt: Sobald ein gesundheitlich angeschlagener Mensch einen Rentenantrag gestellt hat, sinkt seine Chance drastisch, je wieder arbeitsfähig zu werden. Mit der IV-Anmeldung verlieren die Klienten und Klientinnen oft ihre Eigeninitiative. Für den Antrag auf Umschulung muss dasselbe Formular ausgefüllt werden wie für einen Rentenantrag. Kranke fühlen sich so von Anfang an invalid. Dann folgen Abklärungen, die Monate oder Jahre dauern können. Überspitzt gesagt: Die IV macht zusätzlich krank.

Beobachter: Sie haben viele Menschen mit Gesundheitsschäden reintegriert. Was machen Sie besser als die IV?
Schmidt: Wer erkrankt oder verunfallt, gerät auf die Verliererstrasse, verliert die Lebensperspektive. Wir müssen alles tun, um sie wieder zu Gewinnern zu machen. Die IV prüft zuerst, was nicht mehr geht. Man sollte die Klienten umgekehrt fragen, was sie noch können. Und was sie am liebsten tun würden. Sobald jemand mit leuchtenden Augen von einem Beruf spricht, ist viel gewonnen. Wer motiviert ist, kann trotz Gesundheitsproblemen durch eine berufliche Umorientierung viel erreichen.

Beobachter: Wer soll das bezahlen?
Schmidt: Viele Haftpflicht- und Unfallversicherungen haben begriffen, dass Umschulungen billiger sind als lebenslange Renten. Pensionskassen und IV sind noch zu träge. So darf die IV Umschulungen nicht finanzieren, die zu einer höheren Qualifizierung führen. Einem verunfallten Hilfsarbeiter kann die IV in der Regel nur eins anbieten: eine Rente.

Beobachter: Wie viel könnte mit aktiver Wiedereingliederung eingespart werden?
Schmidt: Zuerst einmal kostet Reintegration. Weil bereits sehr viele Menschen in die Rente abgeschoben wurden, dürfte es lange dauern, bis die Ausgaben der IV sinken. Mittelfristig wären aber etwa 20 Prozent der IV-Kosten vermeidbar.