Veröffentlicht am 9. Februar 2024 - 06:00 Uhr
- Worum geht es konkret?
- Wie gross sind die finanziellen Probleme der AHV?
- Was würde ein höheres Rentenalter bringen?
- Was bedeutet ein höheres Rentenalter für die Pensionskassen?
- Gibt es bei einem höheren Rentenalter nicht einfach mehr ältere Arbeitslose?
- Was ist, wenn man nicht bis 66 oder noch länger arbeiten kann?
- Was machen andere Länder?
- Wer ist für die Initiative, wer dagegen?
- Wie wahrscheinlich ist ein Ja zur Initiative?
Worum geht es konkret?
Für die Jungfreisinnigen, die die Initiative lanciert haben, sind «die AHV-Renten im heutigen System akut gefährdet». Ihre Finanzierung verschlechtere sich. Grund ist die gestiegene Lebenserwartung: Beim Start der AHV 1948 lag sie bei 77 (Männer) und 78 Jahren. Heute ist sie rund acht respektive zehn Jahre höher. Das Rentenalter liegt aber wie zu Beginn der AHV bei 65 Jahren. Und weil die Alten länger leben und weniger Kinder geboren werden, kippt das Zahlenverhältnis.
Zusätzlich werden in den nächsten zehn Jahren über eine Million Menschen der Babyboomer-Generation pensioniert. Bei einem Umlagesystem wie der AHV ist das ein Problem. Vor 60 Jahren haben etwa sechs Berufstätige eine Rente finanziert, nun zahlen gut drei Aktive eine Rente, und in 25 Jahren sollen es laut den Initianten nur noch zwei sein.
Für die Initiantinnen gibt es nur eine Lösung, wenn man weder Renten kürzen noch Steuern und Lohnabzüge stark erhöhen will: Das Rentenalter muss steigen. Nach ihrem Vorschlag erhöht es sich zunächst pro Jahr um zwei Monate, so dass bis 2033 Rentenalter 66 erreicht wäre.
Anschliessend wird es mit der Lebenserwartung der 65-Jährigen verknüpft. Wenn die zunimmt, steigt auch das Rentenalter. Allerdings nicht im selben Tempo, sondern mit dem Faktor 0,8. Das heisst: Wenn die Lebenserwartung um zehn Monate steigt, erhöht sich das Rentenalter um acht Monate. Die Initianten rechnen damit, dass es so nach 2033 um ungefähr einen Monat pro Jahr ansteigt. Der Faktor 0,8 soll garantieren, dass man weiterhin mindestens 20 Prozent des Lebens im Ruhestand verbringen kann.
Es gibt noch zwei weitere Regeln:
- Das jeweilige Rentenalter soll für jeden Jahrgang mindestens fünf Jahre vorher bekanntgegeben werden.
- Die Erhöhungsschritte sollen maximal zwei Monate pro Jahr betragen.
Die Initianten rechnen damit, dass mit dem vorgeschlagenen Automatismus das Rentenalter im Jahr 2050 bei etwa 67 Jahren und sieben Monaten liegen wird. Das sei im Vergleich zu anderen westeuropäischen Ländern immer noch sehr moderat. Tatsächlich rechnen einige Staaten wie Dänemark oder Italien wegen der steigenden Lebenserwartung mit einem künftigen Rentenalter von über 70.
Wie gross sind die finanziellen Probleme der AHV?
Hier gehen die Einschätzungen extrem auseinander. Die Initianten sehen ab 2030 ein Umlagedefizit (Saldo aus Einnahmen und Ausgaben) und berufen sich dabei auf die Zahlen des Bundes. Dieses Defizit würde jährlich steigen und im Jahr 2050 über zehn Milliarden Franken betragen.
Der AHV-Ausgleichsfonds, ein Puffer, der per Gesetz mindestens eine Jahresausgabe enthalten soll und heute 50 Milliarden Franken umfasst, würde in den nächsten Jahrzehnten nicht nur komplett aufgebraucht, sondern sich sogar in einen gewaltigen Schuldenberg verwandeln (2050: minus 80 Milliarden). Das allerdings unter der Voraussetzung, dass keine Reform mehr beschlossen würde und man die AHV sehenden Auges in Konkurs gehen liesse – realistisch ist das nicht.
Anders die Position des Hauptgegners der Initiative, des Gewerkschaftsbunds (SGB): Er sieht bei der AHV überhaupt kein Finanzierungsproblem und zitiert ebenfalls die Zahlen des Bundes, die in die eigene Argumentation passen. 2026 soll das Betriebsergebnis (also Umlageergebnis plus Kapitalerträge) bei 3,5 Milliarden liegen.
Was der SGB aber nicht sagt: Danach wird es gemäss Bund schnell sinken. Auch das Argument, dass der AHV-Ausgleichsfonds in den nächsten Jahren immer mehr Geld enthalten wird, ist nicht falsch. Bloss: Gleichzeitig steigen auch die jährlichen Rentenausgaben. Laut dem Bund dürfte in etwa 20 Jahren der Fonds leer sein, wenn die AHV ständig Defizite erwirtschaftet.
Wobei die Szenarien beider Seiten sowieso nur beschränkte Aussagekraft haben. Der Bund selbst weist darauf hin, dass Finanzprognosen über einen Zeithorizont von mehr als zehn Jahren prinzipiell wenig verlässlich sind.
Der Gewerkschaftsbund argumentiert damit, dass frühere Prognosen zu den AHV-Finanzen zu pessimistisch gewesen seien. Das Initiativkomitee entgegnet, dass dies für die Zeit vor Einführung der Personenfreizügigkeit – die eine grosse Zunahme von neuen Beitragszahlenden gebracht hat – tatsächlich zutreffe. Die 2011 für die folgenden zehn Jahre erstellten Prognosen des Bundesamts für Sozialversicherungen seien jedoch sehr exakt gewesen.
Was würde ein höheres Rentenalter bringen?
Es wirkt gleich doppelt: Die AHV nimmt länger Beiträge ein und muss für weniger Jahre Renten zahlen. Gemäss den Zahlen des Bundes würde die Renteninitiative das Umlagedefizit im Jahr 2050 von zehn auf fünf Milliarden Franken halbieren. Sie würde das Finanzierungsproblem entschärfen, aber noch nicht lösen. Höhere Steuern und/oder Lohnabzüge wären also zusätzlich nötig.
Die Initiantinnen sehen als weitere positive Effekte: weniger Zuwanderung, mehr Steuereinnahmen für Bund, Kantone und Gemeinden sowie eine Linderung des Fachkräftemangels.
Was bedeutet ein höheres Rentenalter für die Pensionskassen?
Sie würden es wohl übernehmen. Auch hier gibt es dann zwei positive Effekte: Die Versicherten sparen länger und sparen deshalb mehr Altersguthaben an. Und zugleich muss dieses höhere Kapital für weniger Rentenjahre als bisher reichen. Das heisst, die monatlichen Renten der Pensionskasse würden steigen.
Gibt es bei einem höheren Rentenalter nicht einfach mehr ältere Arbeitslose?
Der Gewerkschaftsbund findet, die Initiative ignoriere die Realität auf dem Arbeitsmarkt. Wer über 55 ist, werde zuerst entlassen und habe dann Mühe, einen neuen Job zu finden.
Die Zahlen des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) zeigen ein genaueres Bild. Demnach lag die Arbeitslosenquote der 50- bis 64-Jährigen seit Anfang der Neunzigerjahre praktisch immer unter der Quote der 25- bis 49-Jährigen. Das hänge damit zusammen, dass Ältere häufiger zur Stammbelegschaft von Betrieben gehören und in Krisen weniger von Entlassungen betroffen seien. Allerdings brauchen sie länger, um einen neuen Job zu finden. Dass der Anteil an älteren Arbeitslosen stetig zugenommen hat, liegt laut dem Seco daran, dass es auch mehr Ältere in der Erwerbsbevölkerung gibt.
Offen ist die Frage, was bei einem höheren Rentenalter passieren würde. Gäbe es dann zusätzliche Jahrgänge von Älteren, die Mühe hätten, einen neuen Job zu finden, weil die Personalverantwortlichen sie «zu alt» finden? Oder würde sich dieser Effekt nach hinten verschieben, wäre man also später als heute «zu alt»?
Was ist, wenn man nicht bis 66 oder noch länger arbeiten kann?
Die Initianten werden da nicht sehr konkret. Sie sagen, sie unterstützten individuelle Branchenlösungen wie etwa auf dem Bau, wo man mit 60 pensioniert werden kann.
Für den Gewerkschaftsbund hingegen wären solche Modelle durch ein höheres Rentenalter bedroht. Die Arbeitgeber würden sie dann nicht mehr finanzieren wollen. Tatsächlich würden sie teurer, wenn das Alter für die Frühpensionierung so bleibt wie jetzt.
Heute sind Frühpensionierungen vor allem attraktiv für Angestellte mit einem hohen Lohn, denn sie können die damit verbundenen Rentenkürzungen besser verkraften. Tatsächlich haben Frühpensionierte statistisch eine höhere Rente als diejenigen, die bis 65 arbeiten. Für die Gegner der Initiative würde ein Rentenalter 66 plus diese Ungerechtigkeiten noch vergrössern. Allerdings: Es wäre auch möglich, dass dann das Alter der Frühpensionierten steigt, die Kluft also nicht grösser als heute wird.
Was machen andere Länder?
Eine Reihe von europäischen Ländern hat das Rentenalter bereits auf über 65 erhöht. Darunter die Niederlande, Dänemark, Deutschland, Grossbritannien, Irland, Island, Italien, Spanien und Portugal. Einige von ihnen verknüpfen auch eine steigende Lebenserwartung mit der Höhe des Rentenalters. Darunter die Niederlande und Dänemark, deren Altersvorsorgesysteme in Rankings regelmässig zu den besten der Welt zählen.
Das Initiativkomitee betrachtet solche Automatismen als Vorbild – zugleich sind genau sie ein wichtiger Kritikpunkt für die Gegnerinnen. Aus Sicht des Bundesrats berücksichtigt ein Automatismus weder die tatsächliche Situation auf dem Arbeitsmarkt noch die soziale Lage. Ausserdem hält er es für nicht vereinbar mit dem politischen System der Schweiz – Politik und Volk hätten dann keinen Spielraum mehr, um auch andere Kriterien bei der Festlegung des Rentenalters zu berücksichtigen.
Zugespitzt gesagt: Das Rentenalter liesse sich kaum mehr für politische Deals nutzen – was man bedauern oder begrüssen kann. Angesichts der Schwierigkeiten, mit denen Reformen der Altersvorsorge in der Schweiz üblicherweise zu kämpfen haben, hätte hingegen ein Automatismus den Effekt, dass nicht über jeden Erhöhungsschritt neu debattiert werden müsste.
Wer ist für die Initiative, wer dagegen?
Für die Initiative der Jungfreisinnigen hat sich im Parlament vor allem die FDP eingesetzt. National- und Ständerat lehnten sie jedoch deutlich ab. Mittlerweile hat sich auch die SVP zu den Befürwortern gesellt, ausserdem zählen die Wirtschaftsverbände dazu.
Abgelehnt wird die Initiative vom Gewerkschaftsbund und von Travail Suisse, der SP, den Grünen, der GLP und der Mitte.
Wie wahrscheinlich ist ein Ja zur Initiative?
Ziemlich unwahrscheinlich. Nach einer Tamedia-Umfrage vom 10./11. Januar waren nur 35 Prozent für ein höheres Rentenalter und 61 Prozent dagegen. Lediglich bei den über 65-Jährigen überwog die Zustimmung.
Auch die erste SRG-Umfrage kurz danach lässt ein Nein erwarten. Demnach sind 53 Prozent bestimmt oder eher gegen ein höheres Rentenalter und nur 41 Prozent bestimmt oder eher dafür. In der Regel verlieren Volksinitiativen während des Abstimmungskampfs an Zustimmung. Auf SRF sagte Martina Mousson vom Forschungsinstitut GFS Bern, das die Umfrage durchführte: «Wenn eine Initiative mit unter 50 Prozent startet, hat sie einen schweren Stand.»
1 Kommentar
Da viele arbeitende Menschen das "Pensions-Alter " gar nicht erst (gesundheitlich - Tod)erreichen, die entsprechende Rente gar nicht, oder kaum "geniessen" können, muss diese Rentenalter-Verschiebung nach oben sehr gut überlegt werden....natürlich von den Betroffenen!!