Für das Foto zu diesem Artikel wäre Ismail Ertekin gerne zum «Tatort» zurückgekehrt, in die Zürcher Filiale der US-Investmentbank Merrill Lynch. Doch der 49-Jährige hat Hausverbot. Mehr noch: Der ehemalige Unternehmer mit Pizza-Kette, Bar und Restaurant ist wegen versuchter Nötigung verurteilt. Was hat er getan?

Drei Millionen Franken aus Familienvermögen vertraute Ertekin zwischen Ende 2000 und Mai 2003 den Investmentbankern an. Diese machten aus drei Millionen eine. Zum Vergleich: In jenem Zeitraum verlor der Aktienindex Dow Jones mit 17 Prozent deutlich weniger. «Die Bank tätigte Geschäfte ohne meine Ermächtigung», sagt Ertekin. Unter anderem investierte sie in marode Firmen, bei denen sie als deren Bank selber ein finanzielles Interesse hatte. Deswegen haben Geschädigte in den USA eine Sammelklage eingereicht. Es geht aber um mehr: Ertekin sagt, er sei von der Bank über Verluste nicht rechtzeitig informiert worden. Ebensowenig sein Bruder, der sein Stellvertreter war, als Ertekin für mehrere Monate zum Meditieren nach Indien reiste. Und eine mündlich besprochene Stop-Loss-Vereinbarung, die die Verluste begrenzen sollte, sei nicht eingehalten worden.

Als Ertekin über die massiven Verluste ins Bild gesetzt worden war, riet ihm sein Bankberater, eine halbe Million Franken Kredit aufzunehmen, um die Einbussen schnell wieder zu kompensieren. Ertekin weigerte sich anfangs, liess sich aber dann überreden. Später stellte sich heraus, dass mit der halben Million bereits vor der Vertragsunterzeichnung spekuliert worden war. Merrill Lynch bestreitet die Vorwürfe. Der Kunde habe alle Transaktionen autorisiert und jeweils Bestätigungen per Post erhalten.

2005 reichte Ertekin Klage gegen Merrill Lynch ein. Zuvor hatte er vergeblich eine Aussprache mit den verantwortlichen Managern verlangt. Ende September 2005 schaffte er es, ins Büro des Geschäftsleiters zu gelangen, um dort gegen die Methoden der Bank zu protestieren. Er überreichte ihm ein Papier, in dem er drohte, an die Presse zu gehen, eine Demonstration zu organisieren und den Fall im Internet zu publizieren, falls ihm der Schaden nicht ersetzt werde. Zudem warf er dem Banker am Telefon vor, ein schönes Leben in einem grosszügigen Haus an der Goldküste zu führen - er dagegen stehe vor dem Ruin.

Nun muss das Bundesgericht klären
Der Banker informierte die Polizei - angeblich auch aus Angst um seine Kinder - und reichte Klage wegen Nötigung ein. Das Zürcher Bezirksgericht sprach Ertekin frei und attestierte dem Kläger Überängstlichkeit. Das Obergericht aber folgte dem Banker. Es verurteilte Ertekin wegen versuchter Nötigung zu einer bedingten Geldstrafe. Jetzt muss das Bundesgericht entscheiden, wie viele Emotionen jemandem zugebilligt werden müssen, der sich als Bankenopfer sieht. «Heute gehen selbst die Medien mit den Abzockern hart ins Gericht. Ich war wohl einfach etwas zu früh», so Ertekin. Um Ängste oder Drohungen sei es gar nie gegangen. «Die Bank will mich schlicht kriminalisieren. Wenn es vor Gericht dann um das Geld geht, wird es heissen: Der Mann ist ja ein Krimineller. Dem darf man nicht glauben.» Auf diesen Gerichtstermin wartet Ertekin bis heute.

Einen Vergleich hat er abgelehnt. «Es wäre um einen Betrag gegangen, der etwa dem entspricht, was ich allein für Anwalts- und Verfahrenskosten aufwerfen muss.» Insgesamt sollen es mittlerweile über 150'000 Franken sein. Bereut Ertekin die Klage? «Ich würde es wohl nicht mehr tun. Das geht nicht ohne unendlich viel Geduld und noch mehr Geld.» Er bedauert, dass Sammelklagen in der Schweiz nicht möglich sind.

Er meditiert immer noch regelmässig. «Ab und zu habe ich mehr Lust auf Kickboxen. Das geht aber nicht - Merrill Lynch würde das sofort als Drohung auslegen.»

Quelle: Stefan Jäggi