Wer an Denkmälern rüttelt, muss mit Steinhagel rechnen. Als die Schweizerische Patientenorganisation (SPO) Anfang Jahr den St. Galler Chirurgieprofessor Jochen Lange kritisierte, quollen die Leserbriefspalten über. Von «unqualifizierten Attacken», «sinnlosen Angriffen» und einer «persönlichen Fehde» war die Rede.

Auslöser der Debatte war ein Operationsplan des Kantonsspitals aus dem Jahr 1999. Gemäss dem Programm hatte Chefarzt Jochen Lange innert neun Stunden in vier Sälen dreizehn zum Teil sehr komplexe Operationen durchgeführt. Was SPO-Präsidentin Margrit Kessler zur nahe liegenden Frage anspornte, wie intensiv der Chefarzt die zum Teil privat versicherte Kundschaft wohl betreuen konnte.

Berner stoppen Akkordbüezer
Die beiden Spitalzusätze «Privat» und «Halbprivat» kosten Geld – viel Geld. Ältere Versicherte müssen mit Monatsprämien von mehreren hundert Franken rechnen. Dafür versprechen die Krankenkassen ein Einer- oder Zweierzimmer sowie die freie Wahl des Spitals und des Arztes. Nur: Was der teuer gewählte Arzt als Gegenleistung bietet, ist unklar. Jeder Kanton hat da eigene Vorschriften – St. Gallen gar keine. Das heisst: Ein Chefarzt kann eine Operation von Assistenz- und Oberärzten durchführen lassen, kurz ins Geschehen eingreifen, den Operationssaal verlassen – und das lukrative Privathonorar kassieren.

Um das zu verhindern, hat der Kanton Bern eine Vorschrift erlassen, wonach das Honorar nur fällig wird, wenn eine Leistung «durch den Arzt oder unter seiner persönlichen Aufsicht und interventionsbereiten Verfügbarkeit» erbracht wird. «Der Arzt muss Handschuhe tragen und im Saal sein», präzisiert Thomas Straubhaar vom kantonalen Spitalamt. Der Chef erbringe aber auch dann eine Leistung, wenn er die weniger routinierten Assistenz- und Oberärzte operieren lasse und sie dabei instruiere und überwache.

Betrug wird selten publik. Die Tessiner Spitalbehörden entliessen vor einigen Jahren einen Chefarzt, der während seiner Ferien Privatleistungen verrechnete. Ein ähnlicher Fall machte im Kanton Zürich Schlagzeilen. Doch die Grauzone ist gross. Wer sich in Ärztekreisen umhört, erfährt Erstaunliches. So erzählt ein Chirurg von «einem mir bekannten Oberarzt, der in einem kleinen Peripheriespital Privatpatienten operiert – das ganze Honorar streicht aber der Chef ein».

Vor planbaren Eingriffen haben privat versicherte Patientinnen und Patienten die Möglichkeit, sich abzusichern. Sie können eine schriftliche Vereinbarung mit dem Arzt treffen und festhalten, ob er den Eingriff von A bis Z selber macht oder nur die massgebenden Schnitte setzt.

Noch besser wäre es, das Lohnsystem zu ändern. Das meint auch eine Arbeitsgruppe, die die Konferenz der kantonalen Sanitätsdirektoren (SDK) eingesetzt hat. Die Experten schlagen vor, den Ärzten in öffentlichen Spitälern einen Grundlohn mit «leistungs- und ergebnisbezogenen Zuschlägen» zu bezahlen. Die freie Tätigkeit mit Privatpatienten würde abgeschafft. Eine Idee, die den Spitzenverdienern gar nicht passt. Das Projekt liegt auf Eis. Offiziell wegen offener Fragen zur Spitalfinanzierung und zum neuen Arzttarif Tarmed.

Gleiche Arbeit fünfmal teurer
Einen anderen Ansatz verfolgt die Krankenkasse Innova. «Gleicher Lohn für gleiche Arbeit», fordert sie seit Jahren. Dass Ärzte bei Privatpatienten mehr verlangen könnten, mache keinen Sinn. Die Unterschiede sind in der Tat enorm, wie ein Beispiel aus dem Kanton Bern zeigt. Arzttarife für eine Augenoperation (grauer Star) je nach Status des Patienten: allgemein 736 Franken, halbprivat 2787 Franken, privat 3717 Franken.

Die Innova glaubt, im Krankenversicherungsgesetz einen Passus gefunden zu haben, der ein Verbot der Privattarife möglich macht. Doch zu einem Gerichtsverfahren ist es bisher nicht gekommen. Es sei schwierig, einen konkreten Fall für einen Musterprozess zu finden, sagt Innova-Manager Martin Horisberger. «Entweder hat der Arzt schon zum Rückzug geblasen, oder die Kundinnen und Kunden sind zu einer Klage nicht bereit – leider.» Denn auch hier gilt: Wer an Denkmälern rüttelt, muss mit Steinhagel rechnen.