Adrian Wirthner ist ein rundum zufriedener Arzt. «Jetzt verdiene ich an der Gesundheit meiner Klienten – und nicht mehr an ihren Krankheiten.» Früher war der Walliser ein ganz gewöhnlicher Hausarzt. Jede Untersuchung, jede Salbe, jedes Röntgen und jeder Labortest mehrte sein Salär. Das sei ihm oft peinlich gewesen, erzählt er.

Heute arbeitet Wirthner in der Berner Gruppenpraxis Bubenberg. Das Spezielle: Für jeden angemeldeten Versicherten bezahlen die beteiligten Krankenkassen der Praxis eine fixe Jahrespauschale. Mit diesem Geld müssen die Bubenberg-Ärzte durchkommen – Spezialarztbesuche, Medikamente und Spitalaufenthalt inklusive.

Die Ärzte-AG ist eine HMO-Praxis. Bei diesem Managed-Care-Modell erhalten die Versicherten bis zu 20 Prozent Prämienrabatt; dafür ist die HMO bei jedem gesundheitlichen Problem die erste Adresse. Die Idee: Wer nicht ständig direkt zum Spezialisten oder ins Spital rennt, verursacht weniger Kosten. Für ländliche Regionen besser geeignet ist das ähnlich angelegte Hausarztmodell. Hier arbeiten die Kassen mit frei praktizierenden Ärzten zusammen.

Nur Versicherte sparen Geld
Fachleute sind sich einig: Die Zukunft gehört den Jahrespauschalen. «Ärzte verändern ihr Verhalten erst, wenn sie die Autonomie über das Budget übernehmen», sagt Felix Huber, leitender Arzt in der Zürcher Medix-Gruppenpraxis. Für einen 35-jährigen Mann bezahlen die Kassen einer HMO jährlich gut 800 Franken, für eine 75-jährige Frau rund 3500 Franken.

Bubenberg oder Medix sind die Vorreiter dieser zweiten Managed-Care-Generation. Noch dominiert die erste Generation dieses Marktsegment – mit mangelhaftem Ergebnis. So sind viele HMO-Ärzte Angestellte der Krankenkassen und haben somit keinen Sparanreiz. Zudem ist es schwierig, die Praxis mit genügend Kundschaft auszulasten. Im Hausarztmodell anderseits geschäften die meisten Ärzte nicht kostenbewusster als früher. Und: Beide Sparmodelle werden ohne spezielle Werbestrategie vor allem von gesunden Versicherten gebucht, die ohnehin kaum Gesundheitskosten verursachen.

Für die Kassen geht die Rechnung deshalb nicht mehr auf. Die Versicherten sparen zwar Prämien, die Kassen aber keine Kosten. «Die Alten und die Kranken finanzieren mit höheren Prämien den Rabatt der HMO- und Hausarzt-Versicherten – das kann nicht die Idee von Managed Care sein», klagt ein Kassenfunktionär. Deshalb folgt jetzt die Flurbereinigung:

  • Branchenleader Helsana ist zwar an 38 Hausarzt- und 13 HMO-Versicherungen beteiligt, auf Anfang Jahr musste sie aber «die Rabatte anpassen». Zum Teil wurden die Prämienreduktionen sogar halbiert oder gestrichen – zum Beispiel bei Zusatzversicherungen im Hausarztmodell. «Grosser Aufwand bei sehr wenig Ertrag», lautet das Helsana-Fazit.

  • Ausser in Genf verabschiedete sich die CSS Ende 1999 von allen Hausarztmodellen. Laut der Kasse konnte in keinem der 13 Netze «statistisch einwandfrei eine Einsparung nachgewiesen werden».

  • Die Swica, die einst auf ihre 15 HMO-Gesundheitszentren setzte, musste im Frühjahr die Praxen in Luzern, Solothurn und Lugano aufgeben. Selbst 23 bis 24 Prozent Prämienrabatt lockten nicht genügend Versicherte an, um die Fixkosten der drei Zentren zu decken.

  • Wincare, einst Pionierin bei den Hausarztmodellen, kürzt den Prämienrabatt in ihren 37 CareMed-Netzen nächstes Jahr von 15 auf 10 Prozent. Auch nach Jahren lasse sich «nicht schlüssig festlegen, ob und in welchem Ausmass Versicherte und Ärzte, die beim Hausarztmodell mitmachen, grundsätzlich kostenbewusster sind».


Mit viel Elan stürzten sich die Kassen in die Managed Care – fünf Jahre später steht die Idee an einem Wendepunkt. Die CSS ist primär an Systemen mit Jahrespauschalen interessiert. Die Helsana will ihr Angebot primär auf die teuren Versicherten ausrichten, weil hier das Sparpotenzial am grössten ist. Und die Wincare behält sich vor, aus Hausarztnetzen auszusteigen, «die ökonomisch keinen Sinn machen». Aber weitermachen wollen alle.

Modelle schlugen nicht voll ein
Die Kundschaft war bisher eher zurückhaltend. Laut einer Beobachter-Umfrage bei den Kassen traten gut 500'000 Personen bei: 400'000 in ein Hausarztmodell, 100'000 in eine HMO. Eigentlich erstaunlich, denn vor allem HMO-Versicherte sind in der Regel sehr zufrieden – und Austritte sind die Ausnahme.

Die Gründe sind unklar. «Die Kassen haben die Angebote zu wenig vermarktet», rügt Fritz Britt, Vizedirektor im Bundesamt für Sozialversicherung. Der Arzt Adrian Wirthner sieht das pragmatischer: «Die Grundversicherung belastet das durchschnittliche Familienbudget immer noch weniger als das Auto – da reicht ein Preisvorteil von 20 Prozent nicht, um dafür die Arztfreiheit aufzugeben.» Offenbar seien die Leute mit dem herkömmlichen System zufrieden, meint die Managed-Care-Expertin Rita Baur. «Wo kein Defizit empfunden wird, kann man auch keines schliessen.» Ihre Zwischenbilanz: «weit entfernt von einem Durchbruch», aber «enorme Erfolge in kurzer Zeit».

Eine Umkehr im Managed-Care-System fordert Michael Rindlisbacher, Direktor der Krankenkasse Innova: Zuschlag statt Rabatt. «Wer sich nicht einer HMO oder einem Hausarztmodell anschliesst, soll eine höhere Prämie bezahlen.» Die freie Arztwahl und den direkten Zugang zum Spezialarzt sollte man sich erkaufen müssen, meint Rindlisbacher. 80 Prozent würden nach seiner Schätzung das Basismodell wählen. Die Folge wären Einsparungen «in erheblichem Ausmass» und eine Abkehr von der Konsumhaltung.

Politisch ist dieser Ansatz momentan ohne Chance. Dennoch geht der Umbau der Modelle weiter. Experten vermuten, dass die bisherigen Hausarztmodelle auslaufen. Dafür werden viele HMOs auf Pauschalfinanzierung umstellen und mit Ärzten ausserhalb der Gruppenpraxis zusammenarbeiten. Und: Sie müssen die Kranken mit hohen Kosten unter Vertrag bringen. «Eine 10-prozentige Kostenreduktion bei einer teuren Patientin ist viel ertragreicher als eine 30-prozentige bei einer billigen», meint Rita Baur.

Eine Gefahr steckt aber auch in den Jahrespauschalen: Je schlechter ein pauschal bezahlter Arzt seine Patientinnen und Patienten versorgt, desto mehr verdient er. Bubenberg-Arzt Adrian Wirthner winkt ab: «Wenn wir eine schwere Krankheit zu spät erkennen, kostet uns das mehr.»