Anton und Ursula Ruesch aus Nidau BE machen in einem Brief an die Zürich-Versicherung ihrem Unmut Luft: «Wenn man sieht, was für einen Raubzug schon allein der Lohn von Konzernleiter Rolf Hüppi für die Zürich bedeutet, ist es nicht verwunderlich, dass die Versicherten immer weniger Überschussanteile erhalten.» Ihr Ärger erstaunt nicht. 1995 hatten sie bei der «Zürich» eine ab 1997 laufende Leibrente abgeschlossen. Von den damals prognostizierten Leistungen sind sie heute weit entfernt: Statt einer jährlichen Rente von 27400 erhalten sie 22700 Franken.

Schuld daran ist die so genannte Überschussbeteiligung: Die Zinsen auf der einbezahlten Prämiensumme für Lebensversicherungen und Leibrenten werden teilweise als Überschüsse gutgeschrieben. Werden die Gutschriften gekürzt, hat dies Auswirkungen auf die Rente. Nach den Unterlagen, die der Agent beim Vertragsschluss dem Ehepaar Ruesch präsentierte, hätten die ausbezahlten Überschussanteile nur langsam sinken sollen. Stattdessen hat die «Zürich» diese in den letzten fünf Jahren um volle 61 Prozent gekürzt vorgesehen waren 12 Prozent.

Anders ausgedrückt: Anton Ruesch bezieht heute eine so tiefe Rente, wie er sie gemäss den Prognosen der «Zürich» erst 2027 hätte erhalten sollen. Die «Zürich» hat sich offenbar krass verrechnet um ein ganzes Vierteljahrhundert. Den Beobachter, der sich für Anton und Ursula Ruesch einsetzte, vertröstet die «Zürich» auf die Zukunft: «Die Vergangenheit zeigt, dass sich ein Zinsanstieg rasch positiv auf die Überschüsse auswirken würde.»

So daneben hauen allerdings nicht alle Gesellschaften: Die «Basler», bei der Anton und Ursula Ruesch im selben Jahr ebenfalls eine aufgeschobene Rente abschlossen, hat bisher ihre Vorgaben auf den Rappen genau eingehalten. Beobachter-Leser Fredy Müller aus Riehen BS hingegen, der sich für das gleiche Produkt bei der Helvetia Patria entschloss, wurde ebenfalls Opfer von Fehlprognosen. Er erhält heute nicht einmal mehr die Hälfte der von der Gesellschaft berechneten Überschussrente. Dabei hatte die Geschäftsleitung der Helvetia Patria noch im Frühling 2001 vor der Presse erklärt, die in der Vergangenheit prognostizierten Überschüsse seien durch Rückstellungen gesichert. Starker Tobak.

Kürzungen von solchen Ausmassen sind bei Leibrenten besonders schlimm, weil sie der Altersvorsorge dienen. Umso erstaunlicher ist es, dass die Versicherungsbranche in den letzten Jahren gerade bei diesem Produkt kräftig gehobelt hat. Helvetia Patria und «Zürich» übten dabei am wenigsten Zurückhaltung, aber auch Rentenanstalt und «Winterthur» legten sich ganz schön ins Zeug, wie ein Beobachter-Vergleich zeigt.

Das Bundesamt ist überfordert

Leider gibt es für Betroffene keine Möglichkeit, die Gesellschaften auf ihre Prognosen zu behaften. Zwar kann sich ein Versicherter schriftlich bei der Gesellschaft beschweren. Er erhält dann aber meist jenen Dutzendbrief, mit dem alle empörten Kunden bedient werden. Dieser enthält stets den stereotypen Hinweis auf die Unverbindlichkeit der Prognosen. Im Fall von Anton und Ursula Ruesch klingt das so: «Es ist durchaus möglich, dass gar keine Überschüsse ausgerichtet werden. Wie wir auch schon früher dargelegt haben, sind die rückläufigen Überschüsse zum Teil auch eine Folge der anhaltenden Tiefzinsphase, gepaart mit nun auch schwachen Aktienmärkten», schreibt die «Zürich».

Meist fehlt auch der Satz nicht, dass jede Überschussprognose, aber auch jede Kürzung ja vom Aufsichtsamt in Bern genehmigt sei. Was in den Antworten nicht steht: Die Genehmigung des Bundes ist keineswegs ein Persilschein für die Korrektheit der Prognosen. Denn das von der Versicherungsbranche mitfinanzierte Bundesamt ist seit Jahren völlig überlastet und längst nicht mehr in der Lage, der Branche wirkungsvoll auf die Finger zu schauen. Sonst hätten die Experten des Bundes den grosszügigen Überschussprognosen längst einen Riegel schieben müssen.

Denn während die Versicherungen mit ihren Leistungskürzungen bestehende Kunden vergraulen, versprechen sie gleichzeitig beim Anwerben von Neukunden weiterhin das Blaue vom Himmel. Die auf neuen Abschlüssen offerierten Überschüsse sind derart generös, dass jedem Anleger das Herz im Leibe lachen müsste: Bis zu 4,3 Prozent Verzinsung bot die «Zürich» noch im Januar auf eine zehnjährige Kapitalversicherung mit Einmalprämie für einen 50-jährigen Mann. Aber auch die anderen grossen Gesellschaften zeigten sich bis vor kurzem äusserst grosszügig.

Dabei verdient die Branche heute kaum die Hälfte dessen, was ihr Aussendienst verspricht. Aktien rentieren längst nicht mehr. Am Jahresende waren alle Gesellschaften zu massiven Abschreibungen auf ihren Dividendenpapieren gezwungen. Und festverzinsliche Papiere in Schweizer Franken die wichtigste Anlage im Portefeuille jedes Lebensversicherers rentieren derzeit gerade noch mit etwa 3,6 Prozent. Davon geht noch rund ein Prozent für die Abschluss-, Verwaltungs- und Risikokosten weg. Anders gesagt: Die Gesellschaften können gar nicht so viel Rendite erzielen, wie sie den Neukunden anbieten. Es ist also wahrscheinlich, dass viele Versicherungen auch ihre heutigen Überschussprojektionen nicht einhalten werden.

Ob Leibrenten, klassische Lebensversicherungen oder Kapitalversicherungen mit Einmalprämien zahlreiche Unterlagen frustrierter Anleger legen die Vermutung nahe, dass einige Gesellschaften in den letzten Jahren gar nie die Absicht hatten, die prognostizierten Renditen auch wirklich einzuhalten.

So muss ein Beobachter-Leser, der 1995 bei der zur Allianz-Gruppe gehörenden «Berner» eine Einmalprämie mit einer Laufzeit von 15 Jahren abschloss, heute massive Einbussen in Kauf nehmen. Pikant an diesem Fall: Die ersten Kürzungen erfolgten zu einer Zeit, als die Börse von einem Hoch zum nächsten eilte. Ob die Gesellschaft je die Absicht hatte, ihre Prognosen einzuhalten, wollte der Beobachter von der «Berner» wissen. Was diese mit einem entschiedenen Ja beantwortete.

Nur massives Wehren nützt

Nicht immer verlaufen Kundenbeschwerden im Sand, wie das Beispiel von Arthur Buschor (Bild) aus St. Gallen zeigt. Bei ihm hat sich dezidiertes Auftreten ausgezahlt.

Als Buschor bei der «Winterthur» im April 2001 seine acht Jahre zuvor abgeschlossene Leibrente antreten wollte, hielt die Lebensversicherung für ihn eine böse Überraschung bereit. Der seinerzeit prognostizierte Überschussanteil an der Rente war inzwischen beinahe halbiert worden. Besonders pikant an diesem Fall: Ein Jahr zuvor hatte die Gesellschaft im grossen Stil Aktien verkauft und entsprechende Kapitalgewinne ins Trockene gebracht.

Buschor gab nicht klein bei, heizte Generalagent und Direktion tüchtig ein und erreichte schliesslich eine substanzielle Korrektur. Trotzdem mag sich der Beobachter-Leser nicht so recht über seinen Erfolg freuen. Ihn stört vor allem, dass die «Winterthur» nicht im Traum daran denkt, das Zugeständnis auf alle Versicherten mit gleichen oder ähnlichen Policen auszudehnen. Zumal sie die Mittel dazu hätte für das Jahr 2000 meldete sie einen Rekordgewinn. Wie heisst es doch so schön in den allgemeinen Versicherungsbedingungen: «Die Überschüsse werden vom Geschäftsgang abhängig gemacht.»

Das Bundesamt für Privatversicherungen in Bern, vom Beobachter auf diesen Fall von ungleicher Behandlung angesprochen, mag partout nicht konkret Stellung nehmen. Die Experten stört es offenbar nicht, dass die Versicherungsgesellschaften mit zwei Ellen messen: Wer sich wehrt, gewinnt, wer nicht, hat Pech.

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Mitarbeit: Christian Kaiser