Es war ein Schock für die 19'000 Angestellten der Grossbank Credit Suisse. Anfang Jahr teilte ihnen die Pensionskasse mit, ihre Renten würden radikal gestutzt. Bis in zehn Jahren soll der Umwandlungssatz – also der Prozentsatz des angesparten Kapitals, das den Pensionierten als Rente jährlich ausbezahlt wird – von aktuell 6,054 Prozent auf 4,865 Prozent sinken. Was nach wenig aussieht, hat grosse Konsequenzen:

Mit 600'000 Franken Altersguthaben erhält man heute 3027 Franken Rente pro Monat. Wer nach 2025 pensioniert wird, bekommt noch 2435.50 Franken pro Monat.

In den letzten Monaten hat eine Pensionskasse nach der anderen den Umwandlungssatz gesenkt. 2015 lag der Schnitt für Kassen ohne Staatsgarantie nur noch bei 5,83 Prozent, bei Kassen mit Staatsgarantie bei 6,12. Der gesetzliche Umwandlungssatz von 6,8 Prozent hat kaum mehr Bedeutung. Er ist bloss noch Augenwischerei. Denn die meisten Versicherten sind über das Minimum hinaus versichert, und im sogenannten Überobligatorium können die Kassen diese Renten frei bestimmen, solange sie die gesetzlichen Mindestleistungen einhalten.

Der gesetzliche Umwandlungssatz sei zu hoch angesetzt, weil die Renditen sinken und die Rentner immer älter werden, sagen die meisten Experten.

Männer leben nach 65 im Schnitt noch 19,4 Jahre, Frauen gar 22,4 Jahre. Gemäss dem VZ Versicherungszentrum ist bei einem Umwandlungssatz von 6,8 Prozent das Alterskapital aber bereits nach 14,7 Jahren verbraucht.

Die Furcht vor sehr tiefen Renten

 

Daher müssen Versicherte befürchten, dass in fünf Jahren Umwandlungssätze von weniger als 5 Prozent die Regel sein werden. Wenn jemand kurz vor der Pension steht, bedeutet das heftige Rentenkürzungen. Darum wollen viele Kassen die tieferen Umwandlungssätze mit Sonderzahlungen abfedern. Bei jüngeren Versicherten werden die Kürzungen jedoch voll durchschlagen.

Wie stark die Renten sinken, hängt jedoch immer mehr von der Pensionskasse ab, bei der man versichert ist. Gut ist, wenn sich der Arbeitgeber zum Beispiel der Profond-Sammelstiftung angeschlossen hat. Der aktuelle Umwandlungssatz von derzeit 7 Prozent wird bis 2018 auf 6,8 Prozent gesenkt. Das sind ausgezeichnete Bedingungen für Versicherte. Bei dieser Strategie will Profond-Stiftungsratspräsident Olaf Meyer bleiben. An die Konkurrenz gerichtet, sagt er: «Ich plädiere für eine massvolle Veränderung der Umwandlungssätze.»

Für seine Kasse ist die Rechnung seit 1991 fast immer aufgegangen. Profond erzielte im Schnitt 5,6 Prozent Rendite pro Jahr. Die Altersguthaben wurden zu 4,2 Prozent verzinst. Der Deckungsgrad lag Ende 2015 trotzdem bei guten 106,2 Prozent.

«Ich plädiere für eine massvolle Veränderung der Umwandlungssätze.»

Olaf Meyer, Präsident der Anlagestiftung Profond

 

Profond ist jedoch eine Ausnahme. Gemäss der Anlagestiftung Swisscanto rechnen die vorsichtigsten Kassen aktuell mit einem Umwandlungssatz von nur 4,3 Prozent, die mutigsten mit bis zu 7,2.

Im besseren Fall erhält man für 100'000 Franken Sparkapital pro Jahr 7200 Franken Rente, im schlechtesten bloss 4500 Franken. Das sind gut 40 Prozent weniger.

So grosse Unterschiede lassen sich nicht rechtfertigen. Und nur zum Teil erklären. Die Kassen fahren unterschiedliche Anlagestrategien und haben unterschiedliche Erwartungen an die Zukunft, von Rosarot bis Dunkelschwarz.

 

Die Rechnung von Profond ist aufgegangen, weil sie die Hälfte der Gelder in Aktien anlegt. Andere Kassen gehen nur halb so grosse Risiken ein. Für die Profond-Versicherten ging diese Wette in den letzten 25 Jahren auf. Nur einmal, auf dem Höhepunkt der Finanzkrise 2008, sank der Deckungsgrad kurzfristig unter 83 Prozent.

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Magere Verzinsung des Sparkapitals

Vorsichtigere Kassen mit überdurchschnittlich vielen Rentnern investieren dagegen mit angezogener Handbremse. Ihre Erwartungen an die Rendite sind viel tiefer, daher senken sie den Umwandlungssatz stärker. Doch das allein kann die riesigen Unterschiede bei den Renditen von bis zu 20 Prozentpunkten nicht erklären.

Der Umwandlungssatz ist nur eine der Stellschrauben im System der zweiten Säule. Eine weitere ist die Verzinsung der Altersguthaben. Einzelne Kassen zahlten 2014 noch über 5 Prozent Zins, das Gros aber nur das gesetzlich vorgeschriebene Minimum von 1,75 Prozent. Kassen, die saniert werden müssen, verrechneten vereinzelt sogar nur 0,5 Prozent. Bei 300'000 Franken Sparkapital fielen so bei der besten Kasse gut 15'000 Franken Jahreszins an, im schlechtesten Fall magere 1500 Franken.

«Die zweite Säule steckt wegen der Tiefstzinsen in der Krise.»

Doris Bianchi, Schweizerischer Gewerkschaftsbund

Die Unterschiede zwischen den Kassen werden angesichts dürftiger Renditen noch grösser werden, prophezeien Experten. Wenn das so weitergeht, ist das Pensionskassensystem bald ein Auslaufmodell.

Die zweite Säule «steckt wegen der Tiefstzinsen in der Krise», sagt Doris Bianchi vom Schweizerischen Gewerkschaftsbund. Als Reaktion darauf fordert sie eine Stärkung der AHV, wie sie die Gewerkschaftsinitiative «AHV plus» vorsieht. Mit jeder schlechten Nachricht steige die Zustimmung zur Initiative, über die im Herbst abgestimmt wird. Anders Jérôme Cosandey, Vorsorgeexperte bei Avenir Suisse: «Ohne Erhöhung von Rentenalter und Mehrwertsteuer wird die AHV bis 2030 über 50 Milliarden Franken Defizit aufweisen. Ist die erste Säule deshalb ein Auslaufmodell?», fragt er. Wie die zweite Säule stehe auch die AHV vor grossen Herausforderungen.

Die Versicherten haben keine Wahl

 

Trotz den «gewaltigen Herausforderungen» bringe die Kombination von AHV und zweiter Säule eine «optimale Risikominimierung für die Altersvorsorge», sagt Ignazio Cassis, FDP-Nationalrat und Präsident der Sozialkommission. Beide Säulen hätten dringenden Reformbedarf.

In solchen Aussagen schwingt viel Politik mit. Eine kühle Analyse der Probleme ist daher hilfreich. So gibt es bis heute rund 1800 Vorsorgeeinrichtungen. Darunter findet sich von der Kleinstkasse mit ein paar wenigen Versicherten bis zur Grosskasse mit mehreren 10'000 alles. Die Grossen sind im Vorteil. Wer Milliarden anlegt, bekommt viel bessere Konditionen. Zudem sind die Kosten für Verwaltung und Experten tiefer, je mehr Versicherte eine Kasse zählt.

Doch die Versicherten können nicht wählen, auf welcher Kasse ihr Altersbatzen liegt. Das entscheidet der Arbeitgeber. Wer beim falschen landet, hat Pech gehabt. Wäre die freie Kassenwahl vorteilhafter? «Sofern daraus tatsächlich echter Wettbewerb entsteht, ist sie die beste Alternative», sagt Profond-Stiftungsratspräsident Meyer. Konzentration werde ja in jedem Fall stattfinden, und das sei gut so.

Für die anderen Experten ist die freie Kassenwahl die falsche Lösung. «Zu kompliziert, teuer und ungerecht», findet Gewerkschafterin Bianchi. FDP-Sozialpolitiker Cassis sagt: «Wir müssen das System der beiden Säulen AHV und BVG stabilisieren.» Avenir-Suisse-Vertreter Cosandey sieht in der freien Kassenwahl nicht die Lösung für die «realitätsfremden gesetzlichen Umwandlungssätze».

Fazit: Die Zeiten sind schwierig; die Altersvorsorge wird für die Versicherten immer mehr zur Lotterie.

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