Jean-Pierre Gloor, Geschäftsführer der Pensionskasse der SAir Group, hat gute Nachrichten für seine Leute: «Auf den 1. April werden wir die Renten um 4 Prozent erhöhen. Die Alterskapitalien der aktiven Versicherten verzinsen wir für 1998 mit 8 Prozent.» Bis zum 30. Juni dieses Jahres gilt zudem noch eine Beitragspause. Den 15'500 Mitarbeitern werden ein Jahr lang keine Beiträge für die zweite Säule vom Lohn abgezogen. Diese werden aus dem prallen Stiftungsvermögen bezahlt.

Schon 1997 hatten die SAir-Versicherten Grund zum Feiern. Anstatt der gesetzlich vorgeschriebenen 4 Prozent Zins auf das Vorsorgekapital gab es mit 17 Prozent mehr als das Vierfache. So wurde etwa ein «zweites Säuli», genährt mit 100'000 Franken, auf einen Schlag um 17'000 Franken fetter.

Dass die SAir-Pensionskasse floriert, verdankt sie einer weitsichtigen Anlagepolitik. Über 40 Prozent sind seit Jahren in Aktien angelegt. Mit einem Deckungsgrad von 130 Prozent ist genügend Substanz vorhanden, auch schlechtere Börsenjahre zu verkraften.

Wieviel mit Aktien herauszuholen ist, zeigt auch die Vorsorgestiftung von Dow Chemical, dem Schweizer Ableger des US-Multis mit Hauptsitz in Horgen ZH: 16,7 Prozent Performance 1996 und 26 Prozent 1997. Auch das börsenturbulente letzte Jahr dürfte überdurchschnittlich ausfallen: Das Kassenvermögen von über 430 Millionen Franken ist zu 60 Prozent in Aktien angelegt – 10 Prozent mehr, als das BVG-Gesetz erlaubt.

Die kantonale Stiftungsaufsicht hat dazu ihren Segen gegeben, weil sich die Firma verpflichtet, allfällige Defizite auszugleichen. Der Anlageerfolg kommt den Versicherten direkt zugute: etwa durch ein Frühpensionierungsmodell, das einem 55jährigen nach 30 Versicherungsjahren erlaubt, mit voller Rente seinen Ruhestand zu geniessen.

Riesige Unterschiede
Zwischen den einzelnen Pensionskassen liegen Welten. Das zeigt ein repräsentativer Risiko-Check-up für das Geschäftsjahr 1997 bei 290 Vorsorgeeinrichtungen, durchgeführt von der St. Galler Complementa Investment Controlling und der Zürcher AG für Wirtschaftspublikationen (AWP): Während die beste Vorsorgeeinrichtung ihr Vermögen um stolze 30,6 Prozent mehrte, schaute beim Schlusslicht gerade noch ein Plus von 1,8 Prozent heraus.

Wie lässt sich eine Differenz von fast 30 Prozent erklären? Die Pensionskassen mit schlechtem Resultat – vorwiegend kleinere Vorsorgeeinrichtungen – haben die Gelder ihrer Versicherten vor allem in Obligationen und Immobilien investiert. Wegen sinkender Immobilienpreise in den letzten Jahren mussten vielerorts herbe Abschreiber hingenommen werden.

«In den USA würden Pensionskassenmanager mit solch niedriger Performance schadenersatzpflichtig und gerichtlich belangt. In der Schweiz passiert nichts. Risiko kann nicht nur durch Handeln, sondern auch im Unterlassen entstehen», kritisiert Werner Nussbaum, BVG-Experte und Präsident der «Innovation Zweite Säule».

Es ist erstaunlich. Schlägt das Brot um ein paar Rappen auf oder verlangt die Post Spesen für das PC-Konto, wogt eine Welle der Entrüstung durch die helvetischen Lande. Werden hingegen Hunderttausende Zwangsversicherte in der zweiten Säule durch Missmanagement um faire Renten und bedeutende Zusatzleistungen gebracht, scheint das niemanden zu kümmern.

Versicherte wissen zuwenig
Die verschiedenen Säulen der Altersabsicherung sind für viele Versicherte immer noch ein Buch mit sieben Siegeln. Eine Umfrage des Instituts für Marktanalysen IHA-GfM im letzten Jahr ist ernüchternd: 40 Prozent der Versicherten können nicht beziffern, welchen Lohnanteil sie jeden Monat an

die zweite Säule abliefern. Lediglich ein Fünftel weiss, dass der Stiftungsrat aus Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertretern die Verantwortung trägt. Verbreitet (12 bis 30 Prozent der Befragten) ist die irrige Meinung, dass der Arbeitgeber oder der Personalchef der Firma das alleinige Sagen hat.

Es kommt doch nicht darauf an, ob mein Vorsorgekapital mit vier, fünf oder sechs Prozent verzinst wird, mögen viele denken. Ein fataler Irrtum, wie die Complementa-Fachleute vorrechnen: Bei einem versicherten Jahreslohn von 80'000 Franken, einer Beitragsdauer von 40 Jahren und einer jährlichen Verzinsung von vier Prozent gibt dies eine Monatsrente von 2308 Franken. Verzinst die Pensionskasse mit fünf Prozent, steigt die Rente auf 2697 Franken. Bei sechs Prozent sind es schon 3182 Franken im Monat. Je höher der versicherte Lohn, desto stärker schenkt es ein. Die Rendite ist der wichtigste Beitragszahler.

Krass sind auch die Unterschiede im weiteren Leistungsangebot der Pensionskassen. Das zeigt die Pensionskassenstatistik des Bundes. So halten sich gute Kassen nicht an die obere Grenze des versicherten Lohnes von 72'360 Franken, sondern gehen weit darüber hinaus oder kennen überhaupt keine Limite nach oben. Auch nach unten verzichtet ein Drittel der Kassen ganz auf den Koordinationsabzug (24'120 Franken). Entsprechend höher fällt die Rente aus.

Wenige Kassen kennen flexible Limiten für Teilzeitangestellte. Vorbildliche Vorsorgeeinrichtungen ermöglichen Frühpensionierungen, einige gar ohne Renteneinbusse. Mehr als zwei Drittel der Versicherten erhalten den vollen oder zumindest teilweisen Teuerungsausgleich, während über eine halbe Million zu kurz kommt.

Den Kassen ausgeliefert
Obwohl die Verfassung Gleichberechtigung verspricht, verweigern viele Kassen die Witwerrente. Konkubinatspartner gehen erst recht leer aus. Die anstehende BVG-Revision will diesen alten Zopf abschneiden. Gross sind die Leistungsunterschiede auch bei Witwen- und Waisenrenten. Oder beim Tod eines Versicherten ohne Frau und/oder Kinder: Da kassieren viele Versicherungen – und das gesetzeskonform – das ganze Vorsorgekapital.

Wohlverstanden: Die zweite Säule ist obligatorisch. Der Versicherte ist seiner Pensionskasse also auf Gedeih und Verderb ausgeliefert, seine Eigenverantwortung bleibt in der Praxis eine Illusion.

«Die Stadt Zürich saniert sich mit unseren Vorsorgegeldern», ärgert sich Enrico German, Präsident der Konferenz der Personalverbände. Der Streitpunkt: Die PK der Limmatstadt hat dank geschickter Anlagestrategie 800 Millionen Franken mehr, als sie braucht, um ihre vertraglichen Leistungen zu finanzieren. Einen Teil dieser Millionen verwendet sie nun aber dafür, Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträge für 1999 und 2000 um 60 Prozent zu kürzen. Die notleidende Stadtkasse wird so mit insgesamt 116 Millionen Franken entlastet.

Für German ist das ein Raubzug: «Auch der Gewinn aus den Vorsorgegeldern gehört allein den Versicherten. Die Stadt bedient sich aus Vermögen, das ihr gar nicht gehört.» Zudem komme eine Beitragsenkung nur den Beschäftigten, nicht auch den Rentnern zugute.

Die Stadt Zürich und viele Arbeitgeber wie auch die SAir Group sehen es anders. Die Bosse bestehen darauf, aus den freien Mitteln auch ihre Beiträge zu finanzieren. Das kantonale Amt für berufliche Vorsorge hat als Aufsichtsorgan dazu seinen Segen gegeben. Doch German lässt nicht locker: «Zurzeit liegen unsere Klagen bei der Eidgenössischen Beschwerdekommission. Notfalls gehen wir bis zur letzten Instanz.»

Nach Berechnungen des Wirtschaftsmagazins «Bilanz» haben die Pensionskassen zurzeit rund 45 Milliarden Uberschussreserven für zusätzliche Leistungen zur Verfügung. Wie diese Beute verteilt wird, dafür fehlen in vielen Pensionskassen Richtlinien. Bund und Kantone als Aufsichtsorgane lassen die Kassen an der langen Leine.

Milliarden versickern
Der Basler SP-Nationalrat und BVG-Fachmann Rudolf Rechsteiner kommt in seinem Buch «Sozialstaat am Ende?» zum Schluss, dass mittlerweile fast jeder sechste Prämienfranken für die zweite Säule von den Verwaltungskosten aufgezehrt wird – insgesamt über vier Milliarden Franken. Knapp die Hälfte davon kassieren die Vermögensverwalter.

Vor allem viele kleine und mittelgrosse Kassen sind unprofessionell geführt – zulasten der Versicherten, wie eine Umfrage der Robeco Bank, der «Bilanz» und der Fachzeitschrift «Schweizer Personalvorsorge» zeigt.

Nur vier von zehn Vorsorgeeinrichtungen gelang es 1997, marktgerechte Gebühren bei externen Vermögensverwaltern durchzusetzen; die andern lassen sich willig über den Tisch ziehen. Aus Bequemlichkeit wählt man lokale Anbieter oder setzt auf bestehende Geschäftsbeziehungen. «Viele Pensionskassen haben sich selber neue goldene Fesseln angelegt», kritisiert Rechsteiner. Wollen sie ihren Vermögensverwalter wechseln, muss oft mit Verlusten von bis zu acht Prozent des Kapitals gerechnet werden. Höchste Zeit für eine BVG-Revision, die bei der zweiten Säule die Weichen anders stellt.