Piero Oellers kochte vor Wut, als er den Zahlungsbefehl auf der Post abholte: Das Inkassobüro der SBB hatte ihn wegen einer längst bezahlten Rechnung betrieben. «Ich habe dem Inkassobüro sämtliche Zahlungsbelege zugestellt», ärgert sich der Germanist aus Alvaneu GR. Statt einer Antwort flatterte Wochen später die Betreibung ins Haus. Oellers stoppte das Verfahren mit dem Rechtsvorschlag. Trotzdem: Der Eintrag im Betreibungsregister bleibt.

Oellers ist kein Einzelfall: In der Schweiz kann jeder jeden betreiben – ohne vorgängige Mahnung und ohne dass überhaupt eine beweisbare Forderung besteht. Annähernd 2,5 Millionen Betreibungen wurden im letzten Jahr in der Schweiz verschickt, so viele wie noch nie zuvor; all diese Einträge erscheinen während fünf Jahren im Betreibungsregisterauszug.

Wer in diesem Register eingetragen ist, gilt als zahlungsunfähig, hat Probleme bei der Wohnungssuche oder Mühe, einen Kredit zu bekommen. Auch viele Arbeitgeber verlangen vor der Einstellung einen Registerauszug.

Bezahlen aus lauter Angst
Viele Betroffene wollen es gar nicht auf eine Betreibung ankommen lassen: Sie machen die Faust im Sack und zahlen – selbst dann, wenn sie die Forderung bestreiten oder wenn überhaupt keine Forderung besteht. Umsatzbewusste Verkäufer und Inkassobüros machen ungeniert Kasse mit der Angst der Konsumentinnen und Konsumenten. Die Erfahrungen aus dem Beobachter-Beratungszentrum zeigen: Vor allem ältere Menschen oder einbürgerungswillige Ausländer zahlen für Waren, die sie gar nie bestellt haben. Oder säumige Zahler berappen horrende Mahn- und Inkassospesen, die von Gesetzes wegen gar nicht geschuldet sind.

Eine Betreibung verschwindet erst dann vom Registerauszug, wenn sie der Gläubiger beim Amt schriftlich zurückzieht. Und auch diesen Notausgang versuchen sich längst nicht mehr nur Inkassobüros zu vergolden, indem sie das Begehren erst gegen eine Umtriebsentschädigung zurückziehen. Rechtslage hin oder her – wer eine reine Weste will, muss in die Tasche greifen. Besonders stossend: Das Inkassobüro des Telekomanbieters Sunrise wollte an eigenen Fehlern Geld verdienen: Zivko Mircetic aus Baden AG sollte 25 Franken zahlen – für den Rückzug einer zu Unrecht erhobenen Betreibung. Obwohl Mircetic die Zahlung zu Recht verweigerte, hat er jetzt einen Eintrag im Betreibungsregister. «Man ist diesen Leuten einfach völlig ausgeliefert», ärgert er sich.

Das Gesetz gehört geändert
Eine Gesetzesänderung könnte diesen Missstand beheben. Der inzwischen zurückgetretene Neuenburger SP-Ständerat Jean Studer regte 2004 in einer parlamentarischen Initiative an, was Fachleute schon lange fordern: Betreibungen sollen nur auf dem Auszug auftauchen, wenn der Gläubiger auch nach einem Rechtsvorschlag des Schuldners auf seiner Forderung beharrt. Mario Roncoroni, Geschäftsleiter des Vereins Schuldensanierung Bern, geht da sogar noch einen Schritt weiter: «Man sollte bereits beim Einleitungsverfahren Beweise verlangen. Kann der Gläubiger die Forderung nicht belegen, würde die Betreibung zwar weiterverfolgt, auf einem Registerauszug aber nicht erwähnt.»

Diesem Vorschlag steht Dominik Gasser vom Bundesamt für Justiz kritisch gegenüber: «Die meisten Alltagsgeschäfte werden mündlich abgeschlossen», gibt er zu bedenken. «Schon beim Einleitungsverfahren Beweise zu verlangen würde das Alltagsleben unnötig bürokratisieren. Vor allem kleinere Betriebe müssten ihre Aufträge entweder schriftlich bestätigen lassen oder Vorauskasse verlangen, um sich abzusichern.»

Doch auch Roncoroni will nicht, dass nur betreiben kann, wer etwas Schriftliches in der Hand hat: «Die formalistischen Hürden sollten nicht zu hoch sein, sonst greifen diese Leute rasch zu anderen Methoden, um ihr Geld einzutreiben.»

Solche «anderen Methoden» werden heute schon angewandt: Manche Gläubiger machen mit Drohbriefen, Telefonterror oder Besuchen am Arbeitsplatz mächtig Druck auf säumige Zahler. Und obschon das Gesetz klar vorschreibt, dass Inkassokosten nicht auf den Schuldner abgewälzt werden dürfen, verlangen private Geldeintreiber von ihren Schuldnern zum Teil horrende Gebühren.

Jetzt ist die Kommission an der Reihe
Robert Simmen, Geschäftsleiter des Verbands Schweizerischer Inkassotreuhandinstitute (VSI), hält nicht viel von den Forderungen der Schuldenexperten: «Das Betreibungsregister gibt Auskunft über die Zahlungsmoral einer Person. Wenn dort nicht mehr alle Betreibungen eingetragen werden, verliert das Register seine Aussagekraft.»

Der Ball liegt jetzt bei der ständerätlichen Kommission für Rechtsfragen. Sie wird aufgrund der Initiative von Jean Studer einen Entwurf zur Gesetzesänderung ausarbeiten und ihn in die Vernehmlassung schicken. Bis es so weit ist, kann sich nur wehren, wer sich auch die Konsequenzen leisten kann.