Andres S. arbeitete ein Jahr lang für Smartworker, eine Arbeitsintegrationsfirma im zürcherischen Uster. Ihr Ziel: Ausgesteuerte fit machen für den regulären Arbeitsmarkt. Auftraggeber sind Sozialämter diverser Gemeinden. Sie können Sozialhilfebezüger dazu verpflichten, solche Programme zu besuchen.

«Es war wie bei einer Temporärfirma», sagt der 35-Jährige. «Smartworker lieh uns an befreundete Gewerbebetriebe und Privatpersonen aus. Dort schufteten wir zu Dumpinglöhnen, manchmal für 15 Franken pro Stunde.»

Selbst davon sahen die «Arbeitslosen» nichts; das Geld floss aufs Konto der Integrationsfirma. Zudem strich die Firma monatlich rund 1500 Franken für jede zugewiesene Person ein, gezahlt von der jeweiligen Gemeinde – zusätzlich zum Sozialhilfegeld für die Ausgesteuerten. Die erhalten für ihre Einsätze auch etwas: eine Integrationszulage von maximal 300 Franken pro Monat, sofern sie zuverlässig arbeiten – ebenfalls vom Sozialamt gezahlt.

So wenig zahlen wie möglich

«Wir verrichteten Schwerstarbeit, zum Beispiel Steinplatten buckeln für einen Plättlileger. Ich war meistens auf dem Bau, einmal auch bei einem Anwalt, um dessen Keller aufzuräumen.» Eigentlich hatte man Andres S. zugesichert, innerhalb des Jahres einen Bürojob für ihn zu finden, denn er hat einen KV-Abschluss mit guten Noten.

Gegen Ende des Jahres – die maximale Dauer eines Integrationsprogramms – ein Lichtblick: Vorstellungsgespräch für einen Bürojob im Wagerenhof, einem Behindertenheim, ebenfalls in Uster. Nach fünf Tagen Probearbeiten als Assistent in der Personalabteilung die gute Nachricht: Man will ihn anstellen. «Ich war überglücklich. Die Arbeit gefiel mir. Und endlich raus aus der Sozialhilfe.» Die Freude war kurz. Im Anstellungsgespräch bot man ihm einen Lohn von 2200 Franken, 200 Franken unter dem Existenzminimum. Das Sozialamt hätte den fehlenden Betrag aufstocken müssen. Der Vertrag wäre auch nicht mit dem Wagerenhof, sondern mit einer assoziierten Firma, der Bimaris AG, geschlossen worden. Deren Ziel: «Unterstützung auf dem schwierigen Weg zurück in den Arbeitsmarkt.» Ein neues Integrationsprojekt, zurück zum Start.

Hinter dem Rücken von Andres S. klärte die Bimaris zudem ab, ob die Wohngemeinde wiederum die rund 1500 Franken «Integrationsleistung» monatlich entrichten würde. Der von der Firma zu bezahlende Lohn hätte dann noch 700 Franken betragen.

«Ich hätte also ein weiteres Jahr auf Kosten der Steuerzahler arbeiten sollen und wäre Sozialhilfebezüger geblieben», sagt Andres S. Das zuständige Sozialamt in Oetwil am See war ebenfalls von einer Festanstellung ausgegangen. In Absprache mit dem Klienten wies es das Angebot der Bimaris zurück. Weil Andres S. ja in einem Integrationsprojekt war, hätte es «keinen Sinn gemacht, einfach schnell in ein neues Programm zu wechseln».

Ludi Fuchs von Smartworker räumt ein, dass Fehler passiert sind. «Auch wir sind von einer Festanstellung im Wagerenhof ausgegangen. Wir hätten den Klienten aber auch zum Anstellungsgespräch begleiten sollen.» Den Vorwurf, Ausgesteuerte zu Dumpinglöhnen zu vermitteln, weist er dagegen zurück. Auch die 1500 Franken von den Sozialämtern seien angemessen: «Wir coachen Klienten und bauen durch Sport die körperliche Leistungsfähigkeit auf. Das macht keiner gratis.»

«Er hat das Angebot nicht verstanden»

Der Wagerenhof beantwortete die Fragen des Beobachters anfänglich nicht. Auf Nachfrage hiess es, der Klient sei ja von Smartworker «zugewiesen» worden. Für Zuweisungen in Integrationsprogramme sind eigentlich Sozialämter zuständig. Der Lohn von 2200 Franken hat gemäss Wagerenhof-Betriebsleiter Hans-Peter Kienast der Leistung von Andres S. entsprochen, der leider das Angebot der Bimaris nicht verstanden habe. Im Arbeitszeugnis von Smartworker wird er dagegen für seinen «grossen Einsatz», die «besondere Belastbarkeit» und die «rasche Auffassungsgabe» gelobt. «Ich habe sehr gut verstanden, worum es hier geht», sagt Andres S. «Ich hätte von der einen Integrationsfirma in die nächste verschoben werden sollen, damit auch sie Kostengutsprachen vom Sozialamt erhält.»

Peter Schallberger, Dozent für Soziologie im Fachbereich Soziale Arbeit an der Fachhochschule St. Gallen, erstaunt es nicht, wenn sich Teilnehmer von Integrationsprogrammen ausgenutzt vorkommen. «Obwohl sie arbeiten, bleiben sie als Sozialhilfeempfänger stigmatisiert. Die privaten Unternehmen, die den Integrationsfirmen Aufträge erteilen, stehen dagegen schon fast als Wohltäter da, obwohl sie sich aus Geldern der Sozialhilfe bereichern.»

Wie viele Integrations – und Sozialfirmen es inzwischen gibt, ist unklar. Jede Gemeinde entscheidet selber, mit wem sie zusammenarbeiten will. Experten gehen von mehreren hundert schweizweit aus. Ein neues Forschungsprojekt soll jetzt das Ausmass erfassen.

«Wir müssen auf jeden Fall verhindern, dass dieser Parallelarbeitsmarkt weiter anwächst», mahnt Peter Schallberger. Er zerstöre Arbeitsplätze, die Firmen sonst regulär besetzen müssten.

Dass auch strengere Kontrollen dringend nötig sind, zeigt ein Beispiel aus der Stadt Zürich. Der gemeinnützige Verein Effekta bietet dort Arbeitsintegrationsprogramme an, für 1090 Franken pro Klient und Monat relativ günstig. Allerdings verlangt Effekta von den Sozialämtern zusätzlich eine Kopfprämie von bis zu 12'000 Franken – abzüglich bereits geleisteter Zahlungen – für Klienten, die den Sprung in den ersten Arbeitsmarkt schaffen. Effekta-Geschäftsführerin Danya Rychly arbeitet Teilzeit in einem Zürcher Sozialzentrum, wo sie Quartiereinsätze für Ausgesteuerte vermittelt. Ein Interessenkonflikt? «Nein, denn die Stadt Zürich arbeitet nicht mit Effekta zusammen. Es fliesst darum auch kein Geld an den Verein», versichert Michael Rüegg, Sprecher des Sozialdepartements.

Ausgesteuerte betreuen Ausgesteuerte

Dennoch arbeiten mehrere Zürcher Sozialhilfebezüger für Effekta, als sogenannte «Freiwillige». Auch sie erhalten für ihren Einsatz bis zu 300 Franken mehr Sozialhilfe, ohne dass der Verein aber finanziell unterstützt würde. Die zahlenden Gemeinden kommen aus der Region Zürich.

Seit einigen Wochen ist bei Effekta Feuer unter dem Dach. «Freiwillige» und Klienten beschweren sich über unhaltbare Zustände. Recherchen des Beobachters zeigen, dass die Betreuung der Sozialhilfebezüger in grossem Aussmass durch andere Sozialhilfebezüger stattfand.

Einer wurde auf der Effekta-Website sogar als «Leiter Tagesgeschäfte, Betreuung und Koordination und Akquisition neuer Aufträge» geführt. Bis vor kurzem leitete er innerhalb des Vereins Effekta eine Art Start-up-Firma, in der Rucksäcke genäht wurden, die auch als Notzelt dienen. «Ich habe keine Ausbildung im sozialen Bereich, betreute aber bis zu ein halbes Dutzend Klienten», bestätigt er dem Beobachter. Für diese holte Effekta Kostengutsprachen in den zuweisenden Gemeinden ein.

Quelle: Thinkstock Kollektion

«Personenpauschale»: E-Mail von Effekta-Geschäftsführerin Danya Rychly an einen Ausgesteuerten, der andere Ausgesteuerte beschäftigte. Rychly arbeitet für den Integrationsverein und zugleich in einem Zürcher Sozialzentrum.

Quelle: Thinkstock Kollektion

Für sein Rucksackprojekt erhielt der «Freiwillige» zudem zinslose Darlehen für Materialeinkäufe, insgesamt 20'000 Franken. Darüber wird seit dem Eklat gestritten. Effekta will das Geld zurückhaben, der «Freiwillige» verweist auf einen Deal zwischen ihm und der Geschäftsführerin: «Für jeden Klienten, der in meinem Projekt arbeitete, hätte ich 500 Franken pro Monat erhalten sollen, die Hälfte der Kostengutsprachen aus den Gemeinden.» Tatsächlich mailte ihm Rychly nach einem erneuten Darlehen: «Wird verrechnet mit der Personenpauschale, die du Ende Monat bekommst, für die Pers., die bei dir arbeiten (dürfen).»

«Geschickte Täuschung»

Solche Zahlungen an Sozialhilfebezüger wären klar illegal. Rychly: «Das Geld hätte er erst bekommen, wenn wir ihn mit seinem Projekt in die Selbständigkeit entlassen hätten.»

Unklar ist, wer für die Rucksackfirma und andere Start-ups rechtlich überhaupt verantwortlich ist. Die Internetadresse für ein weiteres Effekta-Unterprojekt, Hilfskraefte.ch, wurde ebenfalls vom Sozialhilfeempfänger registriert. Heute fühlt sich Rychly von ihm hintergangen; das Rucksackprojekt sei eine geschickte Täuschung gewesen, ein markttaugliches Produkt nicht absehbar. Das entbindet sie kaum von der Verantwortung für das fragwürdige Geschäftsmodell. Immerhin will Effekta «in nächster Zeit» keine neuen Start-ups von Ausgesteuerten fördern oder Darlehen sprechen.

Geld fliesst derweil an einen benachbarten Getränkelieferanten, der 2011 in Konkurs gegangen war. Heute muss er für seine Arbeitskräfte nichts mehr zahlen. Er erhält von Effekta sogar Zuschüsse für Ausgesteuerte, die er beschäftigt. Geld aus den Kostengutsprachen der Gemeinden. Auch die Firma zählt sich zu den Guten: «Wir beschäftigen aus Überzeugung Menschen, die sich in einer persönlich schwierigen Situation befinden und übernehmen so soziale Verantwortung», heisst es auf der Website.