Wenn Eugen Dörrer, Walter Zünd und Paul Baumgartner an ihre Zeit als Automechaniker zurückdenken, kommen bei allen dieselben unangenehmen Bilder hoch: «Jahrelang wurden die Bremsen und Kupplungsgehäuse mit Druckluft vom angesetzten Staub befreit. Wir waren in dunkle Wolken eingenebelt.» Baumgartner sagt es deutlich: «Wir mussten da viel Gift schlucken. Niemand sagte uns, dass diese Stäube gefährlich sind.»

Zünd erzählt, dass in den achtziger Jahren bei seinem damaligen Arbeitgeber eine Absaugvorrichtung getestet, aber gleich wieder abmontiert wurde: «Zu aufwendig und zu viel Zeitverlust, hiess es.» An Kontrollen durch die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (Suva) oder das Gesundheitsinspektorat mag sich keiner erinnern. Der Zürcher Dörrer, 64, und die beiden 20 Jahre jüngeren St. Galler Zünd und Baumgartner haben aus der Autowerkstatt in andere Berufe gewechselt und fühlen sich heute gesund. Sie können nur hoffen, dass dies auch so bleibt.

Die Detailstatistik der Suva liefert auf den ersten Blick beruhigende Zahlen zu asbestbedingten Berufskrankheiten bei Mitarbeitenden von Autogaragen: Ende 2004 waren in dieser Risikoklasse fünf Fälle registriert. Das ist wenig, gemessen an der Zahl von 1'500 anerkannten Berufserkrankungen infolge Asbest – rund die Hälfte endete bisher tödlich. Schweizweit stehen rund 5000 Personen unter medizinischer Beobachtung – kein einziger Garagenangestellter befindet sich darunter. Also kein Grund zur Besorgnis?

Die Gefährdung von Garagenmitarbeitern werde unterschätzt, heisst es beim Verein für Asbestopfer und Angehörige (VAO). «Hierzulande sterben nach wie vor Automechaniker an Asbestfolgen, ohne dass sie es wissen. Viele Ärzte stellen keine richtige Diagnose», kritisiert VAO-Präsident Massimo Aliotta. Der VAO geht zudem davon aus, dass die tatsächliche Zahl der Asbesttoten – bezogen auf alle Branchen – dreimal höher liegt als offiziell erfasst.

Die Suva sorgt für Kopfschütteln



Hat die Suva zu wenig getan, um die Garagen auf die Risiken hinzuweisen? Nein, sagt Sprecher Erich Wiederkehr und nimmt die Garagisten in die Pflicht: «Die Suva hat ihre Bemühungen immer nach dem anerkannten Wissen ausgerichtet. Für die Sicherheit der Angestellten am Arbeitsplatz ist nicht die Suva verantwortlich, sondern der Arbeitgeber.» Und weshalb unterstehen Automechaniker nicht dem arbeitsmedizinischen Beobachtungsprogramm? Weil die «Asbestexposition nur sporadisch» gewesen sei, so Wiederkehr. Ob dieser Aussage schütteln die Exmechaniker Zünd und Baumgartner nur den Kopf: Es seien zu ihrer Zeit fast täglich Bremsstäube ausgeblasen worden, sagen sie.

Die Suva-Statistik erfasst Risikoklassen und nicht Branchen, das erschwert Vergleiche mit dem Ausland. Dennoch gibt es frappante Unterschiede. Etwa zu Deutschland: Dort vermeldet die amtliche Auswertung der asbestbedingten Krebserkrankungen über den Zeitraum 1978 bis 2003 mehr als 9500 Fälle von Lungen- oder Kehlkopfkrebs. Dabei ist die Berufsgruppe der Mechaniker und Schlosser mit über 2500 Fällen mit Abstand am stärksten betroffen. Das Gleiche gilt bei bösartigen Tumoren in Rippen- und Bauchfell (Mesotheliom): Annähernd 2400 von gut 8900 Fällen werden Mechanikern und Schlossern zugerechnet.

Bis Ende 1994 durften asbesthaltige Brems- und Kupplungsbeläge in die Schweiz eingeführt werden. Und während Jahrzehnten wurden Asbestfasern ungefiltert in die Atemluft der Mechaniker geblasen. Selbst das Eidgenössische Gesundheitsamt verharmloste das Risiko lange Zeit. In einem Schreiben aus dem Jahr 1973 heisst es: «Der Abrieb von Bremsbelägen kann als Umweltproblem nach den bisherigen Feststellungen absolut vernachlässigt werden. Die Lungenkrebsrate durch Asbest ist nicht erhöht.»

Neue Altlasten tauchen auf



Mittlerweile weiss man es besser. Martin Rüegger, Arbeitsmediziner bei der Suva, beschreibt das Heimtückische an der Allzweckfaser: «Alle Formen asbestbedingter Erkrankungen treten erst mit einer langen Latenz von zirka 15 bis 45 Jahren nach Expositionsbeginn in Erscheinung.» Und: «Für karzinogene Stoffe wie Asbest können keine mit Sicherheit unwirksamen Konzentrationen definiert werden.» Mit anderen Worten: Wer Asbeststäube einatmet, kann noch 45 Jahre später an Krebs erkranken. Ab wie viel eingeatmeten Fasern es kritisch wird, ist letztlich unklar. Besonders gefährlich ist das so genannte maligne Mesotheliom der Pleura – ein bösartig verlaufender Tumor des Brustfells, der meist innerhalb von zehn Monaten nach Ausbruch tödlich endet.

Fahrzeuge mit den Hochrisikobelägen durften in der Schweiz bis Ende 1991 importiert werden – Ersatzreibbeläge aus Asbest bis Ende 1994. Laut Bundesamt für Statistik waren in der Schweiz Ende 2004 knapp 377'000 Fahrzeuge zugelassen, die älter sind als 15 Jahre. «Mit Ausnahme von Oldtimerfahrzeugen wurden bei den meisten dieser älteren Fahrzeuge die asbesthaltigen Beläge ersetzt. Asbest ist kein Thema mehr», erklärt Adrian Aeschbach, Leiter Technik, Kundendienst und Umwelt beim Autogewerbeverband Schweiz (AGVS). Wie viele Autos aber heute noch die gefährlichen Fasern an die Luft abgeben können, weiss niemand.

Wabern also immer noch Asbestwolken durch hiesige Autogaragen? Es geht immerhin um 40'000 Personen, die in den 5400 Garagen beschäftigt sind. Viele Firmen ersetzten zwar in den letzten Jahren die Druckluftreinigung von Reibbelägen und installierten Bremswaschanlagen: Asbestfasern wurden dadurch gebunden. Dank Scheibenbremsen fiel auch weniger Staub an. Keiner der angefragten Garagisten will aber ausschliessen, dass nicht da und dort weiter staubgewirbelt wurde.

«Für Arbeiten mit Asbest geeignet»



Und es gibt bereits neue Altlasten: In Deutschland warnt die Handelskammer Dresden vor asbesthaltigen Bremsbelägen aus Staaten wie Russland, wo kein Asbestverbot gilt. Auch im Internet werden ungeniert Asbestbeläge angeboten, zeigt eine Untersuchung der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen. Demnach enthielten im Jahr 2004 von 100 Bremsbelägen für alte Autos rund 90 Asbest. Gut möglich, dass solche Produkte auch in die Schweiz gelangen. Wer diese Beläge importiert oder verkauft, macht sich strafbar.

Karl Klingler, Lungenfacharzt und VAO-Vorstandsmitglied, sagt, was Standard sein sollte: «Asbesthaltige Bremsbeläge dürfen nicht mehr bearbeitet, müssen als Ganzes ersetzt und als Sondermüll entsorgt werden.» Klingler überrascht auch nicht, dass im Suva-Beobachtungsprogramm keine Garagenangestellten erfasst sind. Auch bei anderen asbestexponierten Arbeiten sei die Erhebung nicht konsequent erfolgt. Und: «Noch Ende der achtziger Jahre verschickte die Suva Bestätigungen, auf denen stand: ‹Sie sind geeignet für Arbeiten mit Asbest.›»

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