Ein Schneekettenobligatorium im Südpiemont? Maria und Fredi von Ballmoos mussten schallend lachen, als sie in der Gegend um Alba entsprechende Verkehrsschilder sahen. Es war Sommer, die Sonne brannte erbarmungslos vom Himmel. Das Ehepaar befand sich auf der Suche nach einem alten Haus mit viel Land, inmitten der Weinberge, wo man gemeinsam alt werden wollte – «ohne direkte Nachbarn und ohne Eigenmietwert», sagt Maria von Ballmoos. Ihr Traum sollte in der Provinz Cuneo in Erfüllung gehen.

2002 wanderten die beiden samt Hund und Katze nach Italien aus. Nachdem sie das Haus renoviert, mit Solarpanel und Holzheizung versehen, einen Schwimmteich angelegt und die 5,5 Hektaren Land urbar gemacht hatten, war fast alles perfekt. Aber eben nur fast. «Es gab Dinge, die wir nicht ändern konnten und die uns zunehmend in die Verzweiflung trieben», resümiert Maria von Ballmoos.

Da waren etwa die Verkehrsschilder mit dem Schneekettenobligatorium – sie lösten schon bald kein Lachen mehr aus. «So harte Winter mit derart viel Schnee haben wir in der Schweiz nie erlebt», sagt der heute 63-jährige Fredi von Ballmoos. Zuletzt hätten sie eine Schneemenge von 2,6 Metern gemessen. Diese «langen und saukalten Winter, in denen immer alle krank sind, weil es nirgends richtige Heizungen gibt», hätten sie letztlich dazu bewegt, wieder in die Schweiz zurückzukehren.

Wahldestination sorgfältig prüfen
Die Sehnsucht nach Wärme hatte sie einst in die Ferne getrieben – wie die meisten Schweizer Auswanderer. «Erstaunlicherweise stellt das Klima dann aber am neuen Wohnort oft das grösste Problem dar», sagt Roland Flükiger vom Bundesamt für Migration. Er hilft Auswanderungswilligen schon seit vielen Jahren und rät: «Wer im Alter ans Auswandern denkt, sollte die Wahldestination vorher mehrmals zu verschiedenen Jahreszeiten bereisen. Da sind schon manchen die Augen aufgegangen.» Wenn etwa in tropischen Ländern die Regenzeit beginne, gefalle es vielen Schweizern in ihrem vermeintlichen Paradies nicht mehr. Auch halte nicht jede Psyche 365 Tage Sonne aus, sagt Flükiger. Es sei halt ein Unterschied, ob man drei Wochen Ferien in einem Land mache oder für immer dort lebe. «Viele unterschätzen auch die Herausforderungen, die das Leben in einer fremden Kultur birgt.» Allein zwischen Deutschland und der Schweiz gebe es Mentalitätsunterschiede, geschweige denn in Ländern wie Thailand. «Was nützt es dann, wenn man dort mit der AHV wie ein Krösus leben kann, sich aber komplett fremd vorkommt?»

Dennoch kehren immer mehr ältere Leute ihrer Heimat den Rücken. Die Gründe dafür sind vielfältig: Nebst dem Klima sind es meist die tiefen Lebenshaltungskosten und niedrigere Immobilienpreise, die locken; oder auch gesundheitliche Gründe – wenn etwa am Meer in Guatemala die Gelenke nicht mehr schmerzen. Viele wollen jedoch nach dem Erwerbsleben ganz einfach ein neues Leben beginnen.

Die beliebtesten Ziele von auswanderungswilligen Schweizer Senioren sind Frankreich, Spanien, Italien – und zunehmend asiatische Länder wie Thailand oder Indonesien. Eine exakte Statistik gibt es dazu nicht, weil bei der Erfassung von Auswanderern nicht unterschieden wird, ob jemand noch erwerbstätig ist oder nicht. Auch lassen sich längst nicht alle Emigranten offiziell registrieren.

Der Sozialgeograph Andreas Huber schätzt die Zahl der mehr oder weniger permanent, das heisst zwischen sechs und zwölf Monaten an der Costa Blanca lebenden Schweizer Rentnerinnen und Rentner auf 4000 bis 6000. Er hat am Beispiel der von Spöttern «Costa Geriátrica» genannten Gegend eine Nationalfonds-Studie zum Thema Altersemigration verfasst.

Dabei ging es unter anderem um die Frage, ob die Pensionäre im Ausland ihr Glück gefunden haben. «Die meisten bezeichnen ihr Leben als abwechslungsreich und befriedigend. Ihre Sehnsucht hat eine Heimat gefunden», fasst Huber zusammen. Dennoch bleibe der Traum vom Leben ohne Sorgen eine Utopie: nächtliches Hundegebell, zunehmende Verbauung, die vielen Engländer, das spanische Gesundheitssystem, Einsamkeit und Isolation – die Probleme seien mannigfaltig.

Die grössten Knacknüsse ortet Huber jedoch nicht im persönlichen Umfeld der Auswanderer, sondern in der regionalen Infrastruktur. Er hat ausgerechnet, dass in der Provinz Alicante nicht einmal die Hälfte an Alters- und Pflegeheimplätzen vorhanden ist, die für die ausländischen Betagten notwendig wären. «Viele Pensionäre zieht es denn auch wieder zurück in die Schweiz, sobald sich ihr gesundheitlicher Zustand verschlechtert.»

So wie Verena Kindlimann Pfister und ihren Mann. Er wollte für immer an der Costa Blanca bleiben, sie nicht. Aber Verena Kindlimann betont, dass es glückliche 15 Jahre in der Fremde gewesen seien. «Und ich vermisse heute die Fröhlichkeit und Hilfsbereitschaft der Spanier.» Doch wegen des Gesundheitszustands ihres Mannes seien das Haus, der Garten, der Poolunterhalt und vor allem die medizinische Versorgung zu einer Belastung geworden. «Man träumt mit 50 – wenn man noch voll im Saft ist – vom Leben an Spaniens Sonnenküste und vergisst, dass mit zunehmendem Alter alles anders aussieht.»

Andere Länder, andere Sitten
Betreutes Wohnen gebe es in Spanien erst punktuell, sagt Rita Strassmann, Auslandschweizerrats-Delegierte in Spanien. Die heute 61-Jährige ist vor sechs Jahren mit ihrem Mann an die Costa Blanca ausgewandert. Die beiden sind glücklich. Aber das spanische Gesundheitssystem habe schon seine Tücken, mit denen ältere Normalversicherte nicht so leicht zurechtkämen, sagt Rita Strassmann: «Medikamente, die man in der Apotheke holt, werden von der Privatkasse nicht bezahlt. Und wer einen Arzttermin respektive einen Termin im Spital braucht, wartet im öffentlichen kostenfreien System mitunter monatelang.»

In Italien gibt es je nach Region nicht einmal fixe Arzttermine. «Man geht morgens ganz früh zum Arzt, setzt sich ins Wartezimmer und hofft, im Lauf des Tages dranzukommen», erzählt Irène Beutler-Fauguel, die seit 40 Jahren in Italien lebt. Sie war Lehrerin an der Schweizer Schule in Rom, bevor sie in die Toskana zog und nun dort den Auswanderern als Präsidentin des Dachverbands der Schweizer Vereinigungen (Collegamento Svizzero) mit Rat und Tat zur Seite steht.

Dabei gehe es meist darum, die Bürokratie zu bewältigen. «Mich wirft es heute fast um, wenn ich mal in der Schweiz bin, weil ich von einer Behörde etwas brauche – und dann komme ich nach kurzer Zeit heraus mit allem, was ich haben wollte», meint Beutler lachend. In Italien laufe man dafür oft von Pontius zu Pilatus. «Die schicken einen einfach von Büro zu Büro. Jüngere Leute arrangieren sich irgendwie – stecken einem Beamten Geld zu, und der erledigt dann alles für sie.» Aber ältere Schweizer hätten damit Mühe.

Eine Überraschung könne man auch auf der Post erleben, wenn man zum Beispiel sechs Einzahlungen erledigen wolle. «Nach langem Anstehen heisst es, dass man nur fünf Einzahlungen aufs Mal machen könne. Für die sechste müsse man erneut hinten anstehen», erzählt die heute 65-Jährige. Gleichwohl betont sie, sehr gern in Italien zu leben: «Solche Dinge gehören hier einfach zum Leben.»

Man muss als Auswanderer akzeptieren können, «dass in anderen Ländern ein anderes Zeitverständnis und ein anderes Ordnungssystem herrschen», sagt Roland Flükiger, «sonst geht man die Wände hoch». Natürlich war dies auch dem Ehepaar von Ballmoos klar, bevor es nach Italien zog. «Aber in der Theorie so etwas zu wissen und es selber zu erfahren ist etwas ganz anderes», sagt Maria von Ballmoos heute und liefert dazu ein Beispiel: «Da ist man nach stundenlangem Anstehkrampf endlich in der Questura, um sich registrieren zu lassen – und dann fehlt von einem Dokument eine Fotokopie. Die kann man dann nicht einfach schnell vor Ort machen. Dafür muss man in eine Cartoleria gehen, um dann wiederum stundenlang anzustehen.» Die Registrierung von Ausländern sei allerdings vor zwei Jahren in den Kompetenzbereich der Gemeinden delegiert worden und dadurch etwas kundenfreundlicher geworden, sagt von Ballmoos.

Aber generell herrsche Willkür. Niemand könne einem Auskunft geben, was man, die Steuern betreffend, erledigen müsse. Man habe eine permanente Holschuld, ohne aber genau zu wissen wofür. «Wenn man nichts macht, riskiert man plötzlich eine hohe Busse.» Auch ermüde der Kampf mit alltäglichen Dingen. Die da wären: eine auch im Winter funktionierende Telefonleitung, eine befahrbare Strasse zum Haus, eine Stromversorgung ohne temporäre Unterbrüche oder Totalausfälle, sobald einmal Waschmaschine und Backofen gleichzeitig laufen. Immerhin sei der Kauf der Liegenschaft problemlos über die Bühne gegangen, sagt Maria von Ballmoos.

Vorsicht beim Immobilienkauf
Das ist nicht die Regel. Für viele Schweizer endet der Traum vom eigenen Haus im Ausland im Ruin. Ein beliebter Trick ist der mehrfache Verkauf der gleichen Immobilie. Oder aber es fehlt ein Zufahrtsweg, der Untergrund des Bodens rutscht weg, das Grundstück liegt ausserhalb der Bauzone.

Es ist auf jeden Fall ratsam, sich bei der Botschaft nach seriösen Notaren zu erkundigen. In Thailand zum Beispiel können Ausländer überhaupt kein Land kaufen, obwohl von Immobilienhändlern gern das Gegenteil behauptet wird. «Hier braucht es einen einheimischen Mittelsmann, dem aber im Streitfall auch die Liegenschaft gehört», warnt Regina Mäder vom Schweizer Club in Bangkok. Nur eine Eigentumswohnung könnten Ausländer kaufen. Doch es gebe generell viele Probleme mit der Aufenthaltsbewilligung.

Trotzdem wird Thailand als Auswanderungsdestination immer beliebter. Es gibt auch schon eine ganze Reihe von Altersresidenzen samt Pflegestation. «Diese funktionieren in der Regel auf privater Basis und sind qualitativ den Schweizer Angeboten ebenbürtig, aber viel günstiger», sagt Roland Flükiger. Doch er warnt: «Man sollte nicht allein aus finanziellen Gründen auswandern.» Das Leben in anderen Ländern erscheine oft nur auf den ersten Blick günstiger. So sei etwa in Thailand die Basisversorgung für IV-Bezüger zwar äusserst preiswert, «aber ab einem gewissen Level wird die medizinische Betreuung so teuer wie bei uns in der Schweiz».

Apropos Geld: In Südeuropa ist das Leben seit der Einführung des Euro generell viel teurer geworden. Wer früher mit AHV und Rente sehr gut leben konnte, kommt heute nur mehr knapp über die Runden. «Viele Rentner an der Costa Blanca wollen nun ihre Finca verkaufen und in die Schweiz zurückkehren, doch der Immobilienmarkt ist zusammengebrochen, und niemand kauft», hat Rita Strassmann festgestellt. Und Beatrice Jäger vom Schweizer Generalkonsulat in Spanien ergänzt: «Zu uns kommen immer mehr Schweizer, die um finanzielle Unterstützung bitten. Auf dem spanischen Sozialamt bekommt man nur Einkaufsgutscheine für Basisprodukte, Vermittlung von billigem Wohnraum oder eine Platzierung in einem staatlichen Pflegeheim – aber eher selten Geld.»

Bei solchen Verhandlungen zeigt sich dann auch ein zentrales Problem, das von vielen, die mit 50 plus auswandern, unterschätzt wird: die mangelhaften Sprachkenntnisse. «Integration funktioniert über die Sprache. Man braucht sie, um ein tragfähiges Beziehungsnetz aufbauen zu können. Sonst steht man, wenn man alt und gebrechlich ist, plötzlich einsam und isoliert da», sagt Rita Strassmann.

In dieser Situation bleibe vielen nur noch die Rückkehr in die Schweiz. Die ist dann allerdings auch nicht immer so einfach und wird oft als Gesichtsverlust, als Scheitern empfunden. Für Maria und Fredi von Ballmoos ist die Rückkehr kein Problem. «Wir haben im Piemont eine grossartige Zeit verbracht, haben gegessen und gefestet – so wie es die Schweizer nie können. Nun beginnt für uns halt ein neuer Lebensabschnitt.» Diesmal im Bündnerland, im Prättigau. Auf die Bemerkung, dass es dort auch lange Winter mit viel Schnee gebe, meint Fredi von Ballmoos lachend: «Aber da muss ich nicht selber Hand anlegen und für die gesamte Energieversorgung in die Hosen und auf Freileitungsstangen steigen.»

Vor dem grossen Aufbruch: Vorsorgen!

Diese Vorsorgemassnahmen sollten Sie dringend treffen:

Aufenthaltsbewilligung für Pensionierte

  • EU-Länder: Wer den Nachweis über genügend finanzielle Mittel und eine Krankenversicherung erbringt, hat Anspruch auf eine Aufenthaltsbewilligung für fünf Jahre. Die Behörden können aber nach zwei Jahren eine Erneuerung verlangen.
  • Übriges Ausland: Wer finanziell unabhängig ist, hat meist keine Probleme. Es gibt aber Länder, die die Hinterlegung eines Depots auf einer Bank verlangen. Gewisse Staaten wie Australien oder das südostasiatische Malaysia erteilen spezielle Visa für Rentner. Achtung: In die USA können Rentner nur mit einem Touristenvisum einreisen, dieses ist nur sechs Monate lang gültig.


Versicherungen

  • Arzt- und Spitalkosten sind für Ausländer oft sehr teuer, darum ist ein guter Versicherungsschutz wichtig und muss mit der Krankenkasse rechtzeitig geregelt werden. Je nach Land gelten für Rentner spezielle Regelungen. Informationen zu EU- und Efta-Staaten: www.kvg.org/rentner. Für andere Länder bietet zum Beispiel Solisuisse als privater Vermittler eine international gültige Krankenversicherung an: www.soliswiss.ch.
  • Schweizer Zusatzversicherungen laufen mit dem Wegzug meist ab. Ältere Menschen haben dann Mühe, umfassenden Versicherungsschutz zu erhalten. Tipp: Schweizer Zusatzversicherungen kann man gegen ein kleines Entgelt ruhenlassen. Das erspart bei einer eventuellen Rückkehr in die Schweiz die Gesundheitsprüfung und höhere Prämien.
  • Haftpflichtversicherung und Hausratversicherung: Im Ausland müssen neue Versicherungen abgeschlossen werden.


Steuern

  • Beim Wegzug aus der Schweiz endet die unbeschränkte Steuerpflicht. Eine beschränkte Steuerpflicht besteht jedoch weiterhin für das in der Schweiz befindliche unbewegliche Vermögen (etwa Immobilien) und für Geschäftserträge.
  • Leistungen von schweizerischen Pensionskassen unterliegen der Quellenbesteuerung. Sofern ein Doppelbesteuerungsabkommen das Besteuerungsrecht dem Wohnsitzstaat zuweist, wird auf die Quellensteuer verzichtet oder diese auf Gesuch hin zurückerstattet.
  • Auskünfte zu den einzelnen Ländern und zu deren (sehr unterschiedlichen!) Steuersystemen erteilt die Abteilung für internationales Steuerrecht der Eidgenössischen Steuerverwaltung.


Rente oder Kapital?

  • Der Kapitalbezug drängt sich auf bei der Auswanderung in Länder wie Frankreich, die die Rente stärker besteuern als den Kapitalbezug. Meist lohnt es sich, Kapitalleistungen nicht mehr in der Schweiz zu beziehen, sondern erst auszuwandern und dann die Guthaben zu einer Freizügigkeits- respektive Vorsorgestiftung mit Sitz in einem Kanton mit günstigen Quellensteuertarifen zu transferieren. Einige Stiftungen erheben jedoch hohe Gebühren, wenn sie lediglich als Durchlaufstelle benutzt werden.
  • Achtung: Die Kapitalauszahlung der zweiten Säule wird bereits einen Tag nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses fällig. Zu diesem Zeitpunkt müssen Wohnsitz und Lebensmittelpunkt bereits im Ausland sein.


Immobilienbesitz

  • In einigen Ländern ist der Erwerb von Liegenschaften für ausländische Staatsangehörige beschränkt oder gar unmöglich (etwa in Thailand). Bei der Auswahl eines passenden Objekts deshalb unbedingt seriöse Fachleute beiziehen – die Schweizer Botschaften können bei der Vermittlung von Anwälten helfen.


AHV

  • Die AHV wird praktisch in jedes Land versandt beziehungsweise auf ein Schweizer Konto überwiesen. Ergänzungsleistungen können allerdings im Ausland nicht beansprucht werden.
  • Was seit 2002 nicht mehr geht: Wer in ein EU-Land zieht, darf nicht mehr freiwillig in die AHV einzahlen, um später die volle Rente zu erhalten.
  • Der Domizilwechsel muss der AHV-Ausgleichskasse und der zuständigen Pensionskasse mitgeteilt werden.
     

Weitere Infos


Beratung


Buchtipp

  • Andreas Huber: «Auswandern im Alter. Acht Lebensgeschichten von Schweizer Senioren an der Costa Blanca – ein Lesebuch und Ratgeber»; Seismo, 2004, 292 Seiten, CHF 38.90