Mit Sicherheit überflüssig
Wir Schweizer sind ein sicherheitsliebendes Völkchen. Unbedacht geben wir 6600 Franken pro Jahr für nichtobligatorische Versicherungen aus, die uns vor allerlei Schäden bewahren sollen. Zu viel des Guten, denn unter dem Strich geht die Rechnung sehr oft nicht auf.
Veröffentlicht am 27. Juli 2007 - 15:16 Uhr
Gute Sache, dachte sich Livio Kaiser. Beim Kauf seines Handys liess sich der 17-jährige Lehrling aus Biberist SO eine Versicherung aufschwatzen, die das edle Teil gegen Diebstahl, Beschädigung und Benützung durch Unbefugte schützen sollte. Dafür zahlte Livio Kaiser 55 Franken Prämien pro Quartal. Als das Mobiltelefon bereits nach wenigen Monaten ausstieg, kam für ihn das böse Erwachen. Die Versicherung ersetzte nicht etwa die Anschaffungskosten, sondern stellte lediglich ein Ersatzgerät zur Verfügung - gegen Zahlung eines Selbstbehalts von 60 Franken! Damit und mit den Versicherungsprämien hätte sich Livio Kaiser leicht ein neues Handy kaufen können.
Leere Versprechungen
Schweizerinnen und Schweizer sind bereit, für ihre Sicherheit tief in die Tasche zu greifen. Laut Bundesamt für Statistik geben wir pro Jahr rund 6600 Franken für nichtobligatorische Versicherungen aus, dazu kommen die Prämien für die obligatorischen Sozialversicherungen (AHV, IV und EO, Pensionskasse, Arbeitslosenversicherung) und die Grundversicherung der Krankenkasse. Immer neue, auf vermeintliche Risiken angepasste Versicherungsprodukte versprechen finanzielle Absicherung bei allerlei Schicksalsschlägen und Schäden. Doch im Schadensfall stellt sich nur zu oft heraus, dass die Rechnung unter dem Strich nicht aufgeht.
Auch Elsbeth und Erwin Koller-Hossli aus Neuenhof AG sind enttäuscht. Für ihren Trüffelhund Salvo schlossen sie bei der Assura eine Tierkrankenversicherung ab. Als Salvo zu hinken begann, brachten ihn Kollers auf Rat des Tierarztes zur Abklärung in eine Klinik. Allein die aufwendigen Untersuchungen kamen auf über 2000 Franken zu stehen. Doch die Assura zahlte nicht. Begründung: Laut den allgemeinen Geschäftsbedingungen seien Diagnose- und Behandlungskosten bei chronischen Krankheiten ausgeschlossen. Besonders bitter: Kollers müssen noch fünf Jahre lang Prämien zahlen, bis sie die Police kündigen können.
Das Portemonnaie entscheidet
Wie lassen sich solche Enttäuschungen vermeiden? Versicherungsfachleute raten, nur existenzbedrohende Risiken zu versichern sowie jene, die beim Schadeneintritt das Haushaltsbudget tüchtig aus dem Gleichgewicht bringen. Zum Beispiel wenn man als Tierhalter für den Schaden seines Vierbeiners aufkommen muss. Oder wenn der Hausrat in Flammen aufgeht oder Wertgegenstände von Dieben abtransportiert werden. Hier bieten Hausrat- und Privathaftpflichtversicherungen Schutz. Risiken hingegen, die eher unwahrscheinlich sind oder die auch nicht allzu stark ins Geld gehen - zum Beispiel der Verlust eines Reisekoffers -, kann man bewusst selber tragen und damit auch die entsprechenden Prämien sparen.
«Welche Versicherungen für welche Personen sinnvoll und nötig sind, lässt sich nicht allgemein, sondern eigentlich nur anhand einer individuellen Beratung beantworten», sagt Ruedi Ursenbacher, Mitinhaber der neutralen Fairsicherungsberatung und Autor des Beobachter-Ratgebers «Richtig versichert». «Massgebend sind die persönliche Lebenssituation, das individuelle Sicherheitsbedürfnis, vor allem aber das zur Verfügung stehende Budget.»
Gleichwohl kommt eine umfangreiche Sammlung zusammen, wenn man Fachleute nach Versicherungen fragt, auf die man getrost verzichten kann. Hier die Liste, aufgeteilt in verschiedene Themenbereiche:
Ferien und Reisen
- Wer eine Ferienreise wegen Krankheit, Unfall oder Tod absagen muss, schuldet dem Reisebüro Rücktrittskosten. Dagegen schützt eine Annullierungskostenversicherung. Da jedoch nur ausgewählte Risiken abgedeckt sind (unter anderem keine Deckung bei vorbestehenden Krankheiten), ist diese Versicherung nur bei teuren und schon lange im Voraus gebuchten Reisen sinnvoll.
- Eine separate Reisegepäckversicherung übernimmt den Schaden, wenn unterwegs ein Koffer gestohlen oder beschädigt wird. Da die Policen eine Reihe von Ausschlüssen und Einschränkungen enthalten - Film- und Videoausrüstungen etwa sind nur zum Zeitwert versichert -, lohnt sich diese Versicherung kaum. Das Risiko lässt sich einfach reduzieren, wenn man weder teure Kleider noch wertvollen Schmuck in den Koffer packt.
Diebstahl und Sachschaden
- Kaskoversicherungen für Haushalt- und Sportgeräte versichern zum Beispiel den umgestossenen Plasmafernseher. Doch Achtung: Dieser Zusatz zur Hausratversicherung enthält etliche Einschränkungen - bei den Gegenständen, bei den Schadensummen, bezüglich Selbstbehalt, so dass sich die Prämie oft nicht rechnet.
- Handyversicherungen decken den Schaden bei Verlust, Diebstahl und Benützung durch Unbefugte. Doch der Versicherungsschutz ist begrenzt und die Prämie ausgesprochen teuer.
Gesundheit und Pflege
- Der Brillenzusatz in der Krankenkasse vergütet in der Regel alle zwei Jahre einen Betrag für eine neue Brille oder neue Linsen. Da der Versicherungsschutz limitiert ist, lohnt sich die höhere Prämie für diesen Zusatz nicht.
- Auch der Zusatz für Fitnessabonnements lohnt sich nicht: Zwar erhält der Versicherte jedes Jahr einen Beitrag ans Fitnessabo, dieser ist jedoch etwa gleich hoch wie die zusätzliche Prämie.
- Bei Zahnversicherungen für Erwachsene ist der Versicherungsschutz meist eingeschränkt und an hohe Selbstbehalte gebunden. Zudem werden Leistungen erst nach einer Karenzfrist erbracht. Bei normal gesunden Zähnen sind die Prämien etwa so hoch wie die Behandlungskosten.
- Langzeitpflegeversicherungen richten im Pflegefall ein Taggeld aus. Allerdings haben AHV-Rentner ohne Vermögen Anspruch auf Ergänzungsleistungen. Wer ein Taggeld bezieht, verliert jedoch unter Umständen den Anspruch auf staatliche Ergänzungsleistungen.
- Krebsversicherungen zahlen bei der Diagnose einen einmaligen Betrag aus. Neben Versicherungsgesellschaften bieten auch Kundenkartenherausgeber eine solche Versicherung an. Allerdings ist sie unnötig, denn die notwendigen Behandlungskosten sind bereits durch die Krankenkasse abgedeckt.
- Neben Versicherungsgesellschaften bieten Herausgeber von Kundenkarten auch Spitaltaggeldversicherungen an. Im Krankheitsfall wird pro Spitaltag ein Taggeld ausbezahlt, damit sich der Patient gewisse Extras leisten kann. Da heute Patienten so rasch als möglich aus dem Spital entlassen werden, rechnet sich diese Versicherung kaum. Heikel ist generell der Abschluss von Versicherungen über Kundenkarten, denn dabei findet kaum kompetente Beratung statt; wer sich in dieser Situation eine Versicherung aufschwatzen lässt, riskiert Doppelversicherungen.
- Krankenkassen für Tiere übernehmen die Behandlungskosten für Hunde und Katzen bei Krankheit und Unfall. Doch der Versicherungsschutz ist limitiert, die Prämie teuer. Die Versicherungsbestimmungen sehen eine ganze Reihe von Leistungsausschlüssen vor. Nicht bezahlt wird etwa bei chronischen Krankheiten oder Geburtsgebrechen.
Leasing- und Kreditgeschäfte
- Restschuldversicherungen übernehmen die offenen Posten auf Kreditkartenrechnungen oder aus Leasingverträgen, wenn der Inhaber wegen einer Arbeitsunfähigkeit oder Arbeitslosigkeit nicht mehr zahlen kann. Doch der Versicherungsschutz ist teuer, und die Leistungen sind begrenzt. So übernimmt die Versicherung beispielsweise nicht alle offenen Rechnungen und zahlt erst nach einer Karenzfrist.
- Kreditkartenversicherungen übernehmen Schäden, die nach einem Diebstahl durch missbräuchliche Verwendung von Kreditkarten entstehen. Allerdings ist der Versicherungsschutz limitiert. Konnte der Dieb den Sicherheitscode knacken, wird gar nichts bezahlt. Wer nach einem Diebstahl die Karte sofort sperren lässt, haftet nicht für Missbräuche und braucht auch diese Versicherung nicht.
Auto
- Je nach Alter des Fahrzeugs ist eine Kaskoversicherung sinnvoll, alles andere ist Luxus. So zum Beispiel die Insassenversicherung. Sie macht nicht einmal Sinn für Automobilistinnen und Automobilisten, die häufig Personen im Fahrzeug haben, die im Ausland wohnen und von denen sie nicht genau wissen, ob sie gegen Unfall versichert sind. Denn die Motorfahrzeughaftpflichtversicherung schützt Mitfahrende umfassend.
- Die zusätzliche Bonusschutzversicherung bewahrt davor, dass man wegen eines Schadensfalls zurückgestuft wird. Doch sollten sich Autofahrer kritisch fragen, ob es ihnen wirklich um die finanzielle Einbusse geht oder doch nicht eher um das bessere Image, das sie sich vom Maximalbonus versprechen.
Ein grosses Sparpotential erreicht generell, wer beim Vertragsabschluss auf kurzfristige Laufzeiten achtet - also auf Jahresverträge oder solche, die einem zumindest ein jährliches Kündigungsrecht einräumen. Das erlaubt, die Police zu kündigen, wann immer sich die Lebensumstände ändern oder man einen günstigeren Anbieter findet.
Achtung, doppelt gemoppelt!
Doppelt genäht hält nicht immer besser. Wer mehrfach versichert ist, bekommt den Schaden nicht mehrfach ersetzt, sondern zahlt bloss höhere Prämien. In folgenden Bereichen sind Versicherte häufig doppelt und dreifach versichert.
- Patientenrechtsschutz: Viele Kassen integrieren Patientenrechtsschutz in ihren Zusatzversicherungen. Wer bereits über eine Rechtsschutzversicherung verfügt, braucht diesen Zusatz nicht.
- Reiseannullation: Viele Leute vergessen, dass sie mit dem ETI-Schutzbrief oft bereits über einen Schutz verfügen, wenn sie eine Reise absagen müssen.
- Pannenhilfe: Manche Automobilisten zahlen gleich zwei- und dreifach für Pannenhilfe: mit der Mitgliedschaft bei einem Verkehrsklub, mit der Haftpflicht- oder Kaskoversicherung (Assistance). Auch wer einen Neuwagen fährt, kann häufig von der Pannenhilfe profitieren, die einem der Autohersteller offeriert (Mobilitätsgarantie).
- Mieterhaftpflicht: Der Mieterverband bietet zusammen mit der Mitgliedschaft eine spezielle Mieterhaftpflichtversicherung an. Mit der Privathaftpflichtversicherung sind Mieterschäden jedoch bereits abgedeckt.
- Diebstahl auswärts: Wer sich im Rahmen seiner Hausratversicherung den Zusatz «Diebstahl auswärts» leistet, besitzt damit auch einen Schutz für gestohlenes Reisegepäck.