«Als ich versuchte auszuweichen, schwenkte die andere Skifahrerin leider in die gleiche Richtung und prallte frontal auf mich.» Marie-Louise Heer aus Kriens LU erinnert sich noch genau an den Unfall vom Februar 2002. Mit einem gebrochenen Handgelenk, diversen Prellungen und Schürfungen lag die damals 73-Jährige im Schnee. Für alle Umstehenden war klar, dass die junge Frau, die fast ungebremst in eine sich nur langsam bewegende Gruppe hineinfuhr, die Schuld trug. Familie Heer notierte die Adresse der forschen Skifahrerin. Weitere Abklärungen zum Unfallhergang schienen nicht nötig.

Da Marie-Louise Heer als selbstständige Gymnastiklehrerin keine Unfallversicherung hat, übernahm ihre Krankenkasse die Arztkosten. Franchise und Selbstbehalt blieben jedoch an ihr hängen. Zudem entstanden ihr aufgrund der länger dauernden Behandlung und der Einschränkung in der Arbeitsfähigkeit zusätzliche Kosten. Sie meldete den Fall deshalb bei der Haftpflichtversicherung der Unfallverursacherin an - zunächst ohne Erfolg. Heer ärgert sich bis heute: «Die Versicherung legte eine regelrechte Salamitaktik an den Tag und brachte immer wieder neue Argumente, um ihre Zahlungspflicht abzulehnen.»

Zuerst wurde behauptet, es liege kein schuldhaftes Verhalten der jungen Skifahrerin vor; ein solches müsse erst bewiesen werden. Tatsächlich kann die Beweislage zum Problem werden, denn es gilt der Grundsatz: Die geschädigte Person muss das Verschulden des Unfallverursachers und die übrigen Haftungsvoraussetzungen beweisen können. Darum steht am Anfang des richtigen Verhaltens nach einem Unfall, möglichst viele Beweise zu sichern.

Bei einem Verkehrsunfall würde man die Polizei rufen, die ein Protokoll erstellt. Aber bei einem Skiunfall? Auch hier gilt es, den Sachverhalt möglichst genau zu protokollieren. Dafür benachrichtigt man am besten den Pistenpatrouilleur des jeweiligen Skigebiets. Adressen von Zeugen sollten aufgenommen und die Unfallstelle allenfalls fotografiert werden. Aus Beweisgründen kann es auch ratsam sein, selbst leichtere Verletzungen sofort von einem Arzt untersuchen zu lassen: Gewisse Verletzungen werden von den Versicherungen nur als Unfallfolgen anerkannt, wenn sie in einen unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit dem Unfallereignis gesetzt werden können.

Nächstes Argument: Verjährung
Da Marie-Louise Heer nicht lockerliess und der Haftpflichtversicherung nach Behandlungsende die Belege über die Kosten einreichte, teilte diese als Nächstes mit, es müssten noch Abklärungen im Zusammenhang mit der Verjährung getroffen werden. Denn inzwischen waren über drei Jahre vergangen, und Versicherungsansprüche verjähren in der Regel nach zwei Jahren. Liegt beim Unfallgeschehen jedoch eine strafbare Handlung vor, besteht eine längere Frist: Fahrlässige Körperverletzung verjährt erst nach sieben Jahren - auch wenn kein Strafantrag gestellt wurde. Der Stolperstein Verjährung kann übrigens umschifft werden, indem man frühzeitig von der Versicherung eine schriftliche Erklärung verlangt, dass sie darauf verzichten wird, Verjährung geltend zu machen.

Mit dem Hinweis auf die längere strafrechtliche Verjährungsfrist hatte Heer zwar Erfolg, Geld sah sie aber weiterhin keines. Denn die Versicherung der Unfallverursacherin anerkannte nach wie vor nur ein Teilverschulden ihrer Klientin und kündigte an, sie werde die mit der Krankenkasse vereinbarte Kostenaufteilung auch bei Heers zusätzlichen Forderungen anwenden. Die rüstige Krienserin hatte von einer solchen Kostenaufteilung jedoch noch nie etwas gehört. «Jetzt reicht es!», sagte sich die nunmehr 77-Jährige und suchte professionelle Hilfe bei der Rechtsberatungsstelle UP für Unfallopfer und Patienten. Ein kluger Entschluss: Der vermittelte Anwalt sah für ihren Fall gute Chancen und ergänzte ihre Forderungen sogar noch. So erfuhr Marie-Louise Heer erstmals, dass sie als Teilzeit-Hausfrau auch einen so genannten Haushaltschaden geltend machen und dafür einen Schadenersatz von mehreren tausend Franken fordern konnte - schliesslich war sie nicht nur als Gymnastiklehrerin, sondern auch im Haushalt längere Zeit ausgefallen. Ebenfalls neu auf die Liste ihrer Forderungen kam eine Genugtuungssumme für die erlittenen Schmerzen.

Heers Geschichte zeigt es exemplarisch: In Fällen mit längeren Heilbehandlungen, die meist mit Einschränkungen in Beruf und Alltag einhergehen, ist es oft nicht einfach, den finanziellen Schaden sowie eine Genugtuungsforderung zu beziffern und bei der Versicherung durchzubringen. Hier kann ein spezialisierter Anwalt gute Dienste leisten. Die entstehenden Anwaltskosten können bei der Haftpflichtversicherung als zusätzlicher Schaden eingefordert werden. Marie-Louise Heer erhielt am Ende in einem aussergerichtlichen Vergleich einen Betrag, mit dem sie zufrieden sein konnte. Ihr Fazit: «Allein hätte ich wohl noch lange um jeden Rappen kämpfen müssen.»

Vorgehen nach einem Unfall

  • Beweissicherung: Protokoll erstellen, Adressen von Zeugen aufnehmen, Fotos machen
  • ärztliche Untersuchung
  • den Unfall bei der Unfallversicherung oder der Krankenkasse melden
  • für Selbstständigerwerbende: einer allfällig bestehenden Taggeldversicherung Meldung machen (Verjährungsfrist: zwei Jahre)
  • allenfalls Strafantrag gegen den Unfallverursacher stellen (innert dreier Monate)
  • ungedeckte Schadensposten bei der Haftpflichtversicherung geltend machen (Verjährungsfrist bei Körperverletzung: meistens sieben Jahre)
  • gegebenenfalls einen spezialisierten Anwalt beiziehen