Daniel Meier aus Wallisellen ist wütend. «Ich lasse mich von der National-Versicherung doch nicht erpressen», sagt der technische Kaufmann dem Beobachter-Berater am Telefon. Die Versicherung hatte ihm seine Haftpflichtpolice gekündigt. Noch saurer als die Kündigung macht ihn das Angebot, den Selbstbehalt für Diebstahl in seiner Hausratversicherung zu erhöhen oder eine Lebensversicherung abzuschliessen. Dann könne man über eine Weiterführung der Haftpflichtversicherung reden, signalisierte die Versicherung. Meier lehnte dankend ab. Der letzte Schadensfall betrug 550 Franken, Töchterchen Vivienne hatte einen Stuhl angesengt. «Doch die Kündigung wurde ausgesprochen, bevor die National wusste, wie hoch der Schaden überhaupt war», erzählt Daniel Meier.

Eigentlich eine Bagatelle, doch für die Versicherung Grund genug, Meiers Hausratpolice genau anzuschauen. In den letzten 14 Jahren habe Daniel Meier acht Schadensfälle gehabt, davon fünf allein im Bereich Diebstahl, so die Versicherung. Daraus resultiere ein «insgesamt negatives Rendement der Kundenbeziehung», heisst es in schönstem Versicherungskauderwelsch. Rolf Bürgin von der National-Versicherung hält auf Anfrage des Beobachters entsprechend fest: «Unsere an Herrn Meier vorgetragenen Sanierungsvorschläge sind marktüblich und fair.»

Versichert wird nur, wers nicht braucht
Aus Sicht der Versicherung mag das stimmen. Aus Sicht der Versicherten bleibt damit aber die Solidarität auf der Strecke, der eigentliche Grundgedanke von Versicherungen, das gegenseitige Absichern von Risiken. Richard Eisler, Geschäftsführer des Internetvergleichsdienstes Comparis, scheint sich damit abgefunden zu haben: «Der Wettbewerb konzentriert sich auf die Prämien. Und er ist für jeden Anbieter tödlich, dem es nicht gelingt, seine Kosten tief zu halten», erklärt er die Aussonderung. Die Versicherungen müssten sich deshalb von den schlechten Risiken rascher lösen. Doch wer gilt als «schlechtes Risiko»?

Stefan Pfyl war sehr überrascht, als er das Schreiben der Zürich-Versicherung vom August dieses Jahres in den Händen hielt. «Die Schadensbelastung auf Ihrer Police ist zu hoch», teilte diese mit und kündigte ihm den Vertrag. Stefan Pfyl stand ohne Teilkaskoversicherung für sein Auto da. Das wollte er so nicht auf sich sitzen lassen. Der Gemeindeangestellte forschte nach. Er habe in den letzten Jahren Schäden in der Höhe von etwa 13000 Franken angemeldet, aber nur für 13500 Franken Prämie eingezahlt. Dies sei für die Kündigung ausschlaggebend, erklärte ihm der Generalagent der «Zürich» in Dietikon am Telefon. In dieser Rechnung seien alle Versicherungen, die er bei der «Zürich» abgeschlossen habe, berücksichtigt. All seine Beteuerungen, er könne für die Marderschäden und den Einbruchversuch an seinem Auto nichts, verhallten ungehört. Ebenso wie sein Appell an die Verantwortung und den Solidaritätsgedanken der Versicherung.

Auch die Ombudsfrau wird skeptisch
«Bei der Überprüfung der Schadensbelastung berücksichtigen wir in der Tat die Kundenbeziehung in ihrer Gesamtheit und nicht nur eine einzelne Police», erklärt dazu Peter Sommer von der Zürich-Versicherung. Beurteilungskriterium sei neben der Höhe auch die Anzahl der angemeldeten Schäden. Langjährige Kunden kommen dabei nicht in den Genuss, dass ihr Total der bisher eingezahlten Prämien als Ganzes betrachtet wird. Die Zeitabschnitte zur Risikobemessung werden von den Versicherungen frei festgelegt.

Nach einem Schadensfall sieht das Versicherungsvertragsgesetz vor, dass die Police von beiden Seiten gekündigt werden kann. Die Kündigungen sind also rechtens. Trotzdem wirft diese Praxis ein sehr schiefes Licht auf die Branche: «Auffällig sind im Bereich der Hausrat-, Haftpflicht- und Rechtsschutzversicherungen die sich häufenden Klagen über Kündigung im Schadensfall. Aufgrund der zunehmenden Zahl deswegen unterbreiteter Fälle entsteht der Eindruck, einzelne Gesellschaften würden so Policensanierung betreiben», schreibt zu diesem Thema die Ombudsfrau der Privatversicherungen, Lili Nabholz, in ihrem letzten Jahresbericht.

Neue Versicherungen werden teuer
Nach der Kündigung fangen für viele Versicherte die Probleme erst richtig an. Die neue Versicherung will detailliert Auskunft über die Anzahl der Schadensmeldungen und die Höhe der Zahlungen der vergangenen fünf Jahre. Die wahrheitsgetreue Auflistung aller Fälle ist oberste Pflicht. Nach einer Kündigung sind die Versicherungsnehmer für eine neue Versicherung wenig attraktiv. Sie müssen sich den Schutz vor Risiken meist mit einer massiv teureren Prämie erkaufen.

Dies blüht auch Sandrine Hut (Name geändert), wenn sie sich eine neue Kaskoversicherung suchen muss. Die Basler Versicherung kündigte der 70-jährigen Frau per 31. Dezember dieses Jahres. «35 Jahre lang war ich schadensfrei und habe immer pünktlich meine Prämien bezahlt», sagt die Rentnerin. Innerhalb der letzten fünf Jahre hatte sie jedoch eine defekte Frontscheibe und eine Auffahrkollision als Schäden angemeldet.

Meistens würden die Prämieneinzahlungen der letzten fünf Jahre und der Anteil der bezahlten Prämien des laufenden Jahres zusammengezählt, erklärt Roman Clavadetscher von der Generali-Versicherung. Diese Summe wird der Zahl der bisher ausbezahlten Schadenssumme gegenübergestellt. Liegt man darunter, gilt die Schadensbelastung als zu hoch. «Dies bedeutet aber nicht, dass man damit gleich ein schlechtes Risiko ist», fügte Roman Clavadetscher noch an.

Ein schwacher Trost, genauso wie die Erklärung von Peter Sommer von der «Zürich», dass Kündigungen nur in Einzelfällen ausgesprochen würden beziehungsweise «wenn die Weiterführung des Vertrags nicht mehr im Interesse der Versicherungsgemeinschaft» liege.

Dass dabei das Interesse der Versicherungsgesellschaft über das der Versichertengemeinschaft gestellt wird, bleibt nicht unbemerkt. «Die Solidarität ist die Grundidee des Versicherungsgedankens», sagt Martin Wechsler, Stiftungsrat der Stiftung zum Schutz der Versicherten (ASSI). Genau deshalb schliesse man ja eine Versicherung ab.

Die Versicherungen sehen das anders. Solidarität sei ein «verstaubtes Selbstverständnis, das wieder auflebt und immer von den schlechteren Risiken gefordert, von den besseren jedoch abgelehnt wird», schreibt Albert Lauper, Präsident des Schweizerischen Versicherungsverbands, in der Zeitschrift «Schweizer Versicherung». Der Grund für die mangelnde Solidarität wird also dem Widerwillen der Kundschaft zugeschrieben.

Risikoausgleich gilt nur einseitig
Wenn die Versicherungen schlechte Risiken mit höheren Prämien belasten oder sich schneller von ihnen trennen, müssten sie konsequenterweise gute Risiken mit einer entsprechenden Bonusvergabe belohnen, erklärt Martin Wechsler. Doch von dieser Art des Risikoausgleichs will man seitens der Versicherungen nichts wissen. Wäre ja auch höchst unsolidarisch.