Adam kam auf 930 Jahre, sein Sohn Seth immerhin auf 912. Alle zehn Urväter bis hin zu Noah erreichten das sprichwörtliche biblische Alter. Wenn wir also nebst Erbsünde auch die Gene von Adam bekommen haben, müssten wir ebenfalls biblisch alt werden können.

Dem widerspricht – neben der praktischen Lebenserfahrung – die Wissenschaft: Sie geht davon aus, dass sich nur rund 30 Prozent des Alterungsprozesses auf genetische Faktoren zurückführen lassen. «Ausschlaggebend ist unsere Lebensweise», betont Professorin Heike Bischoff-Ferrari. Sie ist Inhaberin des Lehrstuhls für Geriatrie und Altersforschung an der Universität Zürich und leitet dort die Klinik für Geriatrie. «Unsere Physiologie ist leider limitiert. Das Ziel ist nicht, uralt zu werden.»

Bischoff-Ferrari spricht lieber von einer «Verlängerung der gesunden Lebenserwartung». Dafür müsse jeder und jede selber etwas tun, und zwar schon ab 50. Entscheidend sei, sich oft zu bewegen, auf gesunde Ernährung zu achten, einen allfälligen Vitamin-D-Mangel zu beheben und sich in guter Gesellschaft aufzuhalten.

«Neugierig bleiben, viel lesen, mich weiterbilden: Das ist mein Rezept.» Ruth Gattiker, 93, liebt die Oper und klassische Musik.

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Ob Ruth Gattiker in ihrem Leben immer darauf geachtet hat? Völlig ausser Atem nimmt sie das Telefon in ihrem Haus in Davos ab – sie sei zum Apparat gerannt, «ich habe mein Auto noch nicht einmal in die Garage fahren können». Rennen, Auto fahren – und das mit 93. Sie komme soeben aus Zürich. Dort besucht sie Klassikkonzerte, Opernaufführungen und Ausstellungen. Dort absolviert sie auch einen Altgriechischkurs. «Kulturgenuss hält jung», verrät sie. Aber ihr körperliches Pensum ist auch nicht ohne: Pilates-Übungen gehören zum täglichen Programm und ausgedehnte Wanderungen – in zügigem Tempo.

Einem Glas Wein nicht abgeneigt

Sie muss in einem Jungbrunnen gebadet haben. Dazu gesellt sich ein kaum zu stillender Wissensdurst. Ihm verdankt Ruth Gattiker wohl auch ihre Karriere, die sie bis zur Anästhesistin des schwedischen Starchirurgen Ake Senning gebracht hat. Sie war dabei, als er 1969 die erste Herztransplantation am Unispital Zürich durchführte.

Wieso sie mit ihren 93 Jahren so beneidenswert gesund sei? Gewiss habe sie auf die Ernährung geachtet, erzählt die Seniorin: wenig Zucker, nicht übermässig viel Fett, aber Gemüse und Obst, eher mageres Fleisch. Sie habe jedoch 25 Jahre lang geraucht und sei einem Glas Wein – bis heute – nie abgeneigt gewesen. «Neugierig bleiben, viel lesen, mich weiterbilden: Das ist mein Rezept.» Lachend sagt sie: «Denken ist mein liebster Sport.» Im Übrigen möchte sie «gern 120 werden».

Auch das wäre ein biblisches Alter: Kurz vor der Sintflut hat Gott ja beschlossen, dass die Menschen maximal 120 Jahre alt werden. Dies entspricht auch etwa dem höchstmöglichen biologischen Alter, das ein Mensch erreichen kann. Den Rekord hält die Französin Jeanne Louise Calment: Sie war 122 Jahre und 164 Tage alt, als sie 1997 starb.

Höherer Proteinbedarf im Alter

Die einzige noch lebende Person auf der Welt, die drei Jahrhunderte erlebt hat, ist Emma Morano, geboren am 29. November 1899 in Civiasco im Piemont. Heute lebt sie am Lago Maggiore. Ihre Tipps für ein langes Leben: positives Denken, Ärger vermeiden, ein selbstbestimmtes Leben führen – will heissen: Männer auf Distanz halten – und täglich zwei rohe Eier essen.

Damit liegt sie auf der Linie von Heike Bischoff-Ferrari, die allerdings auf den Zusatz «roh» verzichtet – wohl um nicht den frühzeitigen Tod durch eine Salmonellenvergiftung zu provozieren. «Im Alter braucht man mehr Proteine. Sehr gut wären Molke-Proteine wegen des Leucins. Oder eben täglich ein Ei zu essen. Das wirkt stimulierend auf die Muskeleiweissproduktion.»

Die Professorin leitet «Do-Health», die aktuell grösste europäische Studie zum Thema gesundes Älterwerden mit den Forschungsschwerpunkten Muskelkraft und Osteoporose. Untersucht wird die Wirkung von Vitamin D und Omega-3-Fettsäuren, verbunden mit einem moderaten Trainingsprogramm. Die Ergebnisse werden in etwa zwei Jahren vorliegen. Eines weiss man aber bereits: Man sollte sich im Alltag möglichst oft bewegen.

Ab 50 werden Muskeln träge

Joseph Poffet, 82, war stets in Bewegung, allein schon wegen seines Berufs. Als Pöstler hat er in der Stadt Bern lange Touren bewältigt, täglich bis zu 600 Haushalte abgeklappert, meist zu Fuss. Und schon als Kind musste er auf dem elterlichen Bauernhof in Fendringen kräftig mit anpacken. Das habe wohl den Grundstein für seine gute körperliche Verfassung gelegt, meint der passionierte Orientierungsläufer.

«Ich muss immer in Bewegung sein. Wenn ich ruhig in einem Kozert sitzen soll, werde ich kribbelig.» Joseph Poffet, 82, war als Pöstler viel zu Fuss unterwegs.

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Als um die Jahrtausendwende Nordic Walking aufkam, bildete er sich bei Pro Senectute zum Gruppenleiter aus. Bis heute ist Poffet topfit. Er arbeitet im Garten, geht tanzen, betreibt täglich Gymnastik, wandert regelmässig mit den Trekkingstöcken im Wald. «Ich muss immer in Bewegung sein. Wenn ich ruhig in einem Konzert sitzen soll, werde ich ganz kribbelig.»

Man muss sich allerdings gar nicht so intensiv bewegen: «Schon eine halbe Stunde pro Tag senkt die Risiken für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Knochenbrüche. Man kann das auch aufteilen auf dreimal täglich zehn Minuten», rät Heike Bischoff-Ferrari. Dazu gehöre ein wenig Krafttraining: «Die Muskeln werden ab 50 träge. Um sie fit zu halten, muss man aber nicht zwingend ins Fitnesscenter. Treppensteigen, regelmässiges Armmuskeltraining genügen – zum Beispiel während des Fernsehens ab und zu zwei Mineralflaschen stemmen.» Besonders wichtig seien die Armmuskeln: Wenn man stürze, was im Alter öfter vorkomme, könne man sich besser auffangen und so den Sturz abfedern.

Menschen ab 60 Jahren weisen häufig einen Vitamin-D-Mangel auf. Ihnen empfiehlt Bischoff-Ferrari, 800 Internationale Einheiten (IE) Vitamin D als Tropfen oder in Form von Tabletten täglich einzunehmen: «Vitamin D produziert unser Körper, wenn die Sonne auf die ungeschützte Haut scheint. Das gelingt allerdings nur in den Sommermonaten ausreichend. Ein tägliches Sonnenbad von 15 Minuten genügt, wobei Arme und Gesicht unbedeckt sein sollten.»

Nur in wenigen Nahrungsmitteln sei Vitamin D in nennenswerten Mengen vorhanden: in fettreichem Fisch wie Hering oder Lachs, in Eiern oder in Pilzen, die an der Sonne getrocknet wurden. «Man müsste allerdings täglich etwa 14 Eier oder zwei grosse Portionen Wildlachs essen, um seinen Bedarf zu decken», gibt Heike Bischoff-Ferrari zu bedenken und lacht.

Die Kraft der Heidelbeere

Die Professorin hat früher an der renommierten Harvard School of Public Health geforscht. Mit ihren früheren Kollegen arbeitet sie weiterhin eng zusammen. Derzeit stehen Blaubeeren und Nüsse im Mittelpunkt ihres Interesses: Gewisse Inhaltsstoffe sollen vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Gedächtnisschwund schützen. Auch Tomaten gelten als gesund, am meisten nützen sie gekocht. Orangen, Gemüse allgemein und vor allem Karotten stärken das Gedächtnis. Ein Glas Rotwein pro Tag kann auch nicht schaden.

Von wissenschaftlichen Erkenntnissen hält Alfred Herbert wenig: «Die ändern sich ständig», sagt der 80-jährige «Cash-Guru». Er ist Anleger und Kolumnist («Cash online», Radio Energy). Früher war er Ringhändler an den Börsen in Zürich, Mailand, London und New York.

Ein Arzt habe ihm, dem Hobby-Segelflieger, kürzlich beschieden, es gehe ihm besser als manchem 50-jährigen Linienpiloten. Dies bei nur vier Stunden Schlaf plus mittags einem 20-minütigen Powernap. Herbert hält sich mit dem Hometrainer fit, geht täglich sechs bis sieben Kilometer in den Rebbergen walken. «Das macht den Kopf frei.» Ausserdem raucht er nicht, nimmt keine Medikamente, trinkt jedoch regelmässig Wein. Aber nie Schnäpse, denn: «Das ist der Untergang.» Und er sei ein «Fleischtiger». Schon seine Mutter habe gesagt: «Das Geld bringen wir dem Metzger, nicht dem Arzt.»

Die Fleischempfehlung kann Altersforscherin Heike Bischoff-Ferrari allerdings nicht unterschreiben. Nach wie vor gelte die sogenannte mediterrane Ernährung als optimal: wenig rotes Fleisch, viel Gemüse und Hülsenfrüchte, wenig Süsses, Vollkornprodukte. Generell lohne es sich, auf das Gewicht zu achten.

Wer eine Aufgabe hat, regeneriert rascher

Und wichtig seien im Alter die sozialen Kontakte: Der Mensch brauche eine Motivation, er müsse im Leben gebraucht werden. Zu dem Thema liegt derzeit eine Diplomarbeit an der Universität Zürich vor, die den Heilungsprozess von 84-Jährigen nach einer Hüftbruchoperation untersucht. «Nach einem Jahr hatten diejenigen Patienten schneller ins normale Leben zurückgefunden, die etwas oder jemanden zu betreuen hatten. Einen Menschen, eine Katze, Pflanzen. Anders gesagt: die, die gebraucht werden», verrät Bischoff-Ferrari ein Resultat der Studie.

«Genauso wichtig wie der Sport ist das Beisammensein.» Robert Gamma, 80, leitet bei Pro Senectute eine Sportgruppe für Senioren.

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Eine mindestens so wichtige Rolle spielen die gesellschaftlichen Kontakte. Das weiss auch Robert Gamma, 80. Der gelernte Maurer arbeitete sich vom Polier zum Bauführer hoch und gründete in den sechziger Jahren sein eigenes Bauunternehmen. Heute führen es seine Söhne, und er hat viel Zeit für die Pro Senectute im Kanton Uri.

Dort leitet er die Langlauf- und Radsportgruppe. Dabei lege er grossen Wert darauf, dass der Sport nur ein Teil sei. «Genauso wichtig ist das Beisammensein, zu Mittag essen und ein Glas Wein trinken, miteinander reden.» Man müsse es locker nehmen. Selber habe er «nie übertrieben» Sport gemacht. Gesundheit müsse man eben haben. «Wenn du sie nicht hast, bist du ein armer Teufel.»

Womit wir wieder bei den Genen wären. Man kennt diese biologische Ungerechtigkeit vielleicht von Klassenzusammenkünften im höheren Alter: Manche altern einfach schneller als andere. «Man spricht heute aber mehr vom biologischen Alter als von den Genen», präzisiert Heike Bischoff-Ferrari. Und sie verweist auf das Resultat einer Studie: «Es gibt einen Indianerstamm in Nordamerika, der genetisch zu Diabetes Typ 2 neigt. Ein Teil dieses Stamms der Pima wanderte nach New Mexico aus und lebte dort den American Way of Life.» Die Folge: Bei fast allen Nachkommen der Auswanderer brach Diabetes aus. Sie waren übergewichtig oder gar adipös. Ganz anders diejenigen, die in ihren Stammlanden geblieben waren. «Offenbar spielt der Lebensstil doch die entscheidende Rolle.»

Tipps für Menschen ab 50

Zurzeit liegt die durchschnittliche Lebenserwartung bei der Geburt
in der Schweiz bei 80,8 Jahren für Männer und 84,9 Jahren für Frauen. So bereiten Sie sich auf ein langes, gesundes und interessantes Leben
im Alter vor:

Gesundes Verhalten

  • Bewegung, Fitness (Krafttraining)
  • Ernährung, Vitamine

Gute gesundheitliche Vorsorge

  • Zahnkontrolle, rechtzeitige Zahnsanierung (verkraftet man mit 80 weniger gut als mit 60)
  • regelmässige medizinische Kontrolle

Soziale Integration

  • Freundschaften, Familien- und Vereinsleben, nachbarschaftliche Beziehungen pflegen

Tätigkeit nach der Pensionierung

  • Hobby rechtzeitig aufbauen
  • neue Aufgaben suchen: zum Beispiel Kinderbetreuung in der Familie, Hunde der Nachbarn spazieren führen, ehrenamtliche Tätigkeit übernehmen
  • am Zeitgeschehen aktiv teilnehmen: Kultur, Politik, Sport, Reisen

Wirtschaftliche Sicherheit

  • AHV-Einzahlungen kontrollieren
  • zweite und dritte Säule so weit wie möglich ausbauen
  • sparen (nebst den Möglichkeiten des Rentensystems)