Schnelldenker machen schneller Denkfehler
Veröffentlicht am 10. August 2000 - 00:00 Uhr
Sie können in diesem Heft einen Artikel über verunsicherte Jugendliche lesen. Oder ein Interview mit dem Wirtschaftspublizisten Beat Kappeler. Oder einen Test über die Qualität der Schweizer Bahnhofbuffets. Ich empfehle Ihnen die Lektüre aller drei Artikel, und zwar genau in dieser Reihenfolge.
In allen drei Texten gehts ums Tempo. Das ist auch das Lieblingsthema von Credit-Suisse-Chef Lukas Mühlemann. Damit die Schweiz endlich so erfolgreich wird wie seine Bank, gab er unserem Land zehn Gebote – wie einst der liebe Gott seinem Diener Moses. Und leitete das Ganze mit folgender Weisheit ein: «In einem dynamischen Umfeld bleibt stehen, wer sich langsam bewegt.»
Was für ein tiefgründiger Satz! Nur leider falsch. Wer sich langsam bewegt, der bewegt sich trotzdem. Er kann zwar überholt werden, aber er bleibt nicht stehen. Und unter Umständen ist er sogar schneller. Falls die andern in die falsche Richtung rennen. Soll ja vorkommen.
Denn Schnelldenker machen schneller Denkfehler, aber für solche Kleinigkeiten haben wir jetzt keine Zeit. Die Schweiz muss nämlich in allen Bereichen noch dynamischer werden, sagt Vor(schnell)denker Mühlemann. «Wir nähern das Entscheidungstempo in der Politik jenem der Wirtschaft an», lautet sein Rat.
Und bitte mehr Leistung, auch in der Schule. Dabei laufen die Kids schon jetzt auf dem letzten Zacken. «Nie wird ein Mensch so stark über seine Leistung definiert wie in der Schulzeit», heisst es in unserem Artikel. Die Folge: Immer mehr Kinder leiden unter psychischen Problemen. «Das Ausmass der seelischen Not unter Jugendlichen ist alarmierend», warnen Fachleute.
Was solls: Hauptsache, wir alle rennen um die Wette, im Dienste des Wettbewerbs. Es gibt da allerdings ein wunderbares Spiel namens «Eile mit Weile». Gewinnen tut nicht der Schnellste, sondern der taktisch Klügste.
Damit sind wir beim ehemaligen Gewerkschafter Beat Kappeler. Er warnt die Anleger davor, nur «dem kurzfristigen Gewinn nachzurennen». Das ist eine gefährliche Sache – genau wie allzu viel Tempo im Berufsleben: Wer zu schnell rennt, muss die Arbeit oft doppelt machen. Lesen Sie das Interview.
Ich hoffe, der Appetit ist geweckt. Und zur Nachspeise gibts den grossen Bahnhofbuffet-Test. Auch in den Bahnhöfen, so zeigt der Bericht, hat sich das Tempo verschärft: Wer rennen muss, hat weniger Zeit zum Essen. Vielerorts sind deshalb Fast-Food-Lokale entstanden. Und trotzdem gibt es sie noch: die Orte, die zum Verweilen einladen. Dort darf dann in aller Ruhe darüber sinniert werden, warum wir zwar immer schneller arbeiten und essen, aber trotzdem keine Zeit gewinnen. Vielleicht denkt sogar der Chef der Credit Suisse mal etwas länger darüber nach. Zum Beispiel in einem guten Bahnhofbuffet.