Es sind die Ohren, die Peter Mettler verraten. Seine tadellosen Umgangsformen würden problemlos für einen Direktorenposten in einem Fünf-Sterne-Hotel reichen. Der 20-Jährige ist zwar kräftig gebaut, aber kein Bulle. Doch ein Merkmal weist untrüglich auf den Kämpfer hin: seine «Cauliflower Ears», Blumenkohl-Ohren. So nennen Insider die Verknorpelung der Ohrmuschel, die sich durch schlecht verheilte Blutergüsse nach Schlägen und scharfen Knicks bildet.

Seinen härtesten Kampf erlebte Peter Mettler in Kriens. Der Gegner Jaroslav Poborsky, ein Tscheche, war ihm körperlich überlegen. Der Veranstalter hatte in letzter Minute die Paarungen geändert. «Das kann es jetzt wirklich nicht sein», denkt er, als er Poborsky sieht. Der Tscheche ist ein Bulle, und er schlägt härter als die meisten. Mettler muss viel einstecken. Schläge auf den Kopf, schwere Körpertreffer. Dann kriegt er Poborsky zu fassen, zwingt ihn in einen Würgegriff, zieht zu. Ringen ist Mettlers Stärke; im Grappling, dem sogenannten Aufgebe-Ringen, ist er amtierender Weltmeister. Ein letztes Aufbäumen, Poborsky geht die Luft aus, der Tscheche muss abklopfen. «Ich war körperlich schwächer, aber mein Wille war stärker. Deshalb habe ich gewonnen. Kämpfen lehrt dich, hart zu sein. Lehrt dich, jemand zu sein. Wirklich jemand zu sein», sagt Mettler.

Erbrechen vor jedem Kampf

Vor jedem wichtigen Kampf, in den Stunden davor, muss er sich übergeben. Die Nervosität sei extrem, das Erbrechen die natürliche Reaktion des Körpers. Die Kämpfe finden meist in einer Art Käfig statt, eingesperrt in Maschendraht. «Wenn das Türchen hinter dir zugeht und du halbnackt, nur in deinen Shorts, vor Tausenden von Menschen stehst, dann bist du der einsamste Mensch.»

Mettler will nach oben, ganz hinauf, an die Spitze. Wenn sie Liegestützen machen, die Kämpfer der Yogaka MMA Academy im luzernischen Root, wenn alle anderen erschöpft die Arme kaum noch beugen mögen, dreht Mettler auch bei der 49. Liegestütze noch den Kopf zur Seite. Damit sein Körper noch näher zum Boden kommt, die Muskeln stärker spannen und sich stählen. Sechsmal in der Woche schmiedet Mettler seinen Körper in der Dul-X-geschwängerten Luft der Kampfsporthalle zu einer noch perfekteren, noch wirkungsvolleren, noch gefährlicheren Waffe. «Es ist, wie wenn man ein Messer macht. Je heisser das Feuer ist, desto härter wird das Messer. Und ein Ultimate-Fighting-Kampf ist ein verdammt heisser Ort.»

In den USA ist Ultimate Fighting, gemessen an der medialen Inszenierung, innert weniger Jahre zur zweitbeliebtesten Sportart aufgestiegen. Es gilt derzeit als die härteste und brutalste Kampfsportart. Jetzt schwappt die Welle in die Schweiz. Öffentliche Kämpfe gab es schon in Genf, Zürich und im Kanton Luzern. Ultimate Fighting, auch bekannt unter Mixed Martial Arts (MMA), vereinigt Karate, Jiu-Jitsu, Boxen, Kickboxen und Ringen. Regeln gibt es wenige, verboten sind nur Schläge in die Genitalien, Beissen und Angriffe mit den gestreckten Fingern auf die Augen.

Bundesamt für Sport sieht kein Problem

Dem grünen Luzerner Kantonsrat Andreas Hofer verschlug es fast die Sprache, als er am späten Samstagabend vor dem Fernseher sass. Über einen deutschen Sender flimmerte ein Ultimate-Fight-Kampf. «Ich konnte das, was ich sah, gar nicht richtig einordnen», sagt Hofer.

Ultimate-Fighting-Kämpfe pulverisieren innert Minuten gesellschaftliche Werte wie die Vermeidung von Schmerz, den geordneten Abbau von Aggressionen. Die Athleten stellen ihre sportlichen Talente in den Dienst der Zerstörung des Gegners. Noch wenn dieser schon am Boden liegt, schlägt der Überlegene auf ihn ein, bis er k.o. geht. Oder bis der Ringrichter dazwischengeht. Der aber lässt sich Zeit, oft.

Auf manche Zuschauer bleibt das nicht ohne Folgen, fürchtet Kantonsrat Hofer. Als ausgebildeter Sozialpädagoge hat er im Jugenddorf in Knutwil LU täglich mit Jugendlichen zu tun, die andere verprügelt haben. «Gerade junge Männer in einer prekären persönlichen Situation und mit mangelndem Selbstwertgefühl können durch Ultimate-Fight-Veranstaltungen dazu verleitet werden, zu denken, es sei erlaubt, auf am Boden liegende Opfer einzutreten.»

Für das Ausüben von «niederschlagsorientierten Kampfsportarten» gibt Anton Lehmann, zuständig für Prävention und Integration beim Bundesamt für Sport, allerdings Entwarnung. «Wir können davon ausgehen, dass Jugendliche, die von Kampfsport begeistert sind, in der Regel nicht durch Kampfsport gewalttätig werden», sagt Lehmann.

Kampf spielt in Peter Mettlers Biographie seit seiner Jugend eine zentrale Rolle. Der Bub wächst auf einem abgelegenen Hof ob Brunnen auf. Drei Kilometer Schulweg, für das Velo zu steil; so geht er ihn auch bei Regen und Schnee jeden Tag zu Fuss. Er hat vor allem eines im Kopf: Er muss sich sputen, darf nicht zu spät kommen. Ja nicht zu spät kommen! Zu Hause wartet seine Mutter. Wenn er sich verspätet, schlägt sie ihn. Es sind die ersten harten Schläge in seinem Leben. Davon weiss sein Vater nichts. Der Sohn will nicht, dass die Liebe des Vaters zur Mutter getrübt wird.

Mit elf beginnt Peter Mettler Kung-Fu zu trainieren. Kampfsportlegenden wie Bruce Lee und Chuck Norris bevölkern seine Träume. Er versucht sich im Boxen, im Ringen. Nichts befriedigt ihn wirklich. Die ritualisierten Kampfformen sind ihm zu inszeniert, zu künstlich. Er sucht den echten Kampf.

Rafael Perlungher weist ihm dabei den Weg. Die Begegnung mit dem Leiter der Yogaka MMA Academy in Root verändert sein ganzes Leben. Mettler setzt jetzt ganz auf die Karte Kampfsport, bricht seine Lehre als Automatiker bei Victorinox ab. Über den 43-jährigen Perlungher sagt er: «Als ich das erste Mal mit Rafael kämpfte, hatte ich den Eindruck, ich hätte in den vergangenen Jahren nichts gelernt.»

Perlungher erzählt: «Ich sah Peter das erste Mal an einem Turnier.» Dem Yogaka-Leiter fällt sofort Mettlers herausragendes ringerisches Talent auf. Er spricht ihn an, sie trinken einen Kaffee. Seither trainiert Mettler bei ihm. Die Beziehung wird in den nächsten fünf Jahren immer enger. Heute sagt Perlungher: «Er ist wie ein Sohn für mich. Ich möchte, dass er später meine Schule übernimmt.» Bis dahin will er ihm alles beibringen, was er kann.

Andreas Hofer ist nicht untätig geblieben. Öffentliche Ultimate-Fighting-Veranstaltungen und auch Bilder davon sollen in Schweizer Medien verboten werden. Er hat im Luzerner Kantonsrat einen Vorstoss eingereicht – als Kantonsinitiative. Überweisen sie die Luzerner, entscheidet das Parlament in Bern.