Beobachter: Pawlo Dlaboha, viele wollen helfen. Was braucht es momentan am meisten?
Pawlo Dlaboha: Den Soldaten fehlt es an Medikamenten und lebensrettenden Geräten. Tausende Flüchtlinge an der polnischen, rumänischen oder ungarischen Grenze sind auf Kleider, Windeln oder Übernachtungsmöglichkeiten angewiesen. Die Not der Soldaten ist aber dringlicher; denn wer es über die Grenze schafft, ist gerettet.


Die Schweizer Bevölkerung soll also die ukrainischen Soldaten unterstützen?
Aus meiner Sicht sind es die Soldaten, die am dringendsten Hilfe benötigen. Sie brauchen Schutzwesten und Helme. Es gibt private Organisationen, die mit dem Spendengeld direkt die ukrainische Armee unterstützen. Natürlich ist aber jede Hilfe wichtig, auch die institutionelle wie von der Glückskette, Caritas oder dem Roten Kreuz.

Wie erleben Sie die Solidarität in der Schweiz?
Ich lebe seit 55 Jahren hier, bin Schweizer Bürger und Luzerner. Von meinen Mitmenschen spüre ich eine enorme Warmherzigkeit. Es ist sehr berührend, welche Hilfsbereitschaft ich in den letzten Tagen und Wochen erleben durfte. Ich bin sehr dankbar dafür.


Gleichzeitig zögerte der Bundesrat, die Sanktionen der EU zu übernehmen. Fühlten Sie sich von der offiziellen Schweiz im Stich gelassen?
Es war ein Skandal, dass die Schweiz zuerst nicht mitgemacht hat. Wir wissen alle, wie viel Geld Putins Leute hier in der Schweiz parkiert haben. Es war amoralisch, diese Besitztümer nicht von Russland abschneiden zu wollen. Wie kann sich die Schweiz «business as usual» erlauben, wenn in Europa ein Gemetzel stattfindet?


Was hat das Zögern des Bundesrats mit Ihrem Bild der Schweiz gemacht?
Als ich hörte, dass der Bundesrat die Sanktionen der westlichen Länder übernimmt, spürte ich eine unglaubliche Erleichterung und Dankbarkeit. In den Tagen zuvor war ich sehr enttäuscht gewesen. Es hat mich zerrissen. Denn ich liebe die Schweiz und habe praktisch mein ganzes Leben hier verbracht. Die Gelder der Russen aus der Schweiz finanzieren diesen Krieg mit. Ist es neutral, wenn 80 Prozent des russischen Ölhandels über die Schweiz abgewickelt wird?


Auch bei uns finden nun Demonstrationen gegen den Krieg statt. Nützen Proteste denn überhaupt etwas?
Proteste sind da, um wachzurütteln. Wenn sich dadurch nur ein paar Menschen mehr informieren und dafür interessieren, was in der Ukraine abgeht, ist es gut. Selbst wenn es nur minim ist, ist es auch eine moralische Unterstützung für uns Ukrainer. Allein bleiben leider unsere Soldaten. Das ist das Problem. Mir ist es wichtig, zu sagen: Die Ukrainer, die jetzt sterben, sterben für ganz Europa.

Zur Person

Pawlo Dlaboha

Pawlo Dlaboha, 70, ist Musiker und Vorstandsmitglied im Ukrainischen Verein in der Schweiz. 1946 musste er aus der Ukraine flüchten, weil sein Vater im politischen Untergrund aktiv war.

Quelle: ZVG

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