Andi* öffnet seine Tür widerwillig. Obwohl wir uns seit Jahren kennen. Und es in seiner Wohnung immer gleich aussieht: Schmale Trampelpfade schlängeln sich durch senkrechte Materialberge, die bis zur Decke reichen. Andi bezeichnet sich als Sammler, ich ihn als Messie.

Stereoanlagen, CD-Player und Verstärker aller Art ziehen ihn magnetisch an. Auch kaputte. Andi ist Audio-Freak, und einige Ersatzteile sind bestimmt noch verwendbar. Theoretisch. Also stapeln sich die Geräte in seiner Wohnung. Unzählige. Und halt noch weiterer Müll.

«Ich hab dir ein Buch mitgebracht», sage ich. Ich grinse. Er schaut sich den Titel an: «Ordnung halten für Dummies». Andi lacht.

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Nein, natürlich habe ich Andi das Buch nicht mitgebracht. Obwohl es Tipps enthält, die durchaus förderlich wären für ihn. Zum Beispiel «Vier Schritte zu einem unchaotischen Kühlschrank: Nehmen Sie alles heraus, was drin ist. Dabei brauchen Sie bestimmt einen Müllbeutel für all die vergammelten (eklig, aber wahr) und uralten Sachen, die Sie nie wieder brauchen werden.»

Dann den Kühlschrank reinigen, und am Ende «geben Sie ein offenes Päckchen Backpulver hinein, das unangenehme Gerüche aufsaugt». Ein backpulverdesodorierter Kühlschrank, typisch amerikanisch. Das Buch «Ordnung halten für Dummies» stammt von einer Amerikanerin, Berufsbezeichnung «Organizer».

Aber Andi ist kein Organizer. Andi ist ein Messie. Da hilft auch kein Backpulver.

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Es gibt ein noch grösseres Problem: Andi ist kein «Dummie». Und der Buchtitel «Ordnung halten für Dummies» ist angemessen: Der Schmöker richtet sich offensichtlich an Leute mit dem IQ einer Zimmerlinde.

Da wird zum Beispiel geraten, Dinge in Behältern statt lose verstreut aufzubewahren.

Aha.

Dazu gibts Nachhilfe in Geometrie: «Runde Behälter verschwenden Platz. Wollen Sie wissen, warum? Stellen Sie mehrere runde Boxen nebeneinander, und sehen Sie sich den Platz an, der dazwischen ungenutzt bleibt. Suchen Sie sich also wenn möglich quadratische oder rechteckige Behälter. Natürlich werden Sie ein paar runde Vasen haben oder einen runden Korb für die Bälle der Kinder. Bleiben Sie aber, wo immer es geht, bei der eckigen Variante.»

Aha. Das Runde muss ins Runde, das Eckige ins Eckige.

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Ausserdem: «An die Damenwelt: Sie sollten zuerst in alle Oberteile schlüpfen, die Sie sich über den Kopf ziehen müssen, bevor Sie sich schminken und frisieren. Lippenstiftspuren auf weissen Oberteilen sehen wenig repräsentativ aus. Zu knöpfende Blusen, Strickjacken und Jacken kommen allerdings erst nach dem Schminken. Dann können Sie sicher sein, dass weder Puder noch lose Haare auf ihnen landen.»

Auf solche Tipps hat die «Damenwelt» atemlos gewartet.

Und noch ein Beispiel aus der Abteilung «Wer hätte das gedacht?»: «In einem einzigen Schrank kann man eine Menge Dinge unterbringen. Gute Schränke haben verschiedene Möglichkeiten wie Fächer, Stangen und Plätze zum Hängen.»

Eine nützliche Info für Zehnjährige, die ihre erste eigene Wohnung beziehen.

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Wertvolle Erkenntnisse vermittelt auch der Eintrag «Mobiltelefone»: «Sie sind aus der heutigen Welt nicht mehr wegzudenken. Sie können mit dem Mobil- oder Smartphone nicht nur telefonieren, sondern auch SMS und E-Mails versenden. Ausserdem sind Sie jederzeit auch unterwegs erreichbar.»

In Jubel bricht das Buch bei einer weiteren technischen Neuerung aus: «Ein Faxgerät ist eine wunderbare Möglichkeit, ein Stück Papier zu einem Geschäftspartner zu bekommen und umgekehrt. Faxen ist heute so wichtig, dass es nicht mehr nur beruflich eingesetzt wird.»

Das sind News aus der Steinzeit. Das hat wohl auch damit zu tun, dass die «2., aktualisierte Auflage 2015» offensichtlich nicht sehr ordentlich aktualisiert wurde. Dazu hätte jemand die geschwätzigen 250 Seiten nochmals lesen müssen. Verständlich, dass es niemand getan hat.

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Unordnung ist ein psychologisches Phänomen. «Ordnung halten für Dummies» hilft da wenig. Wohl etwa so viel wie ein Raucherentwöhnungsbuch, das sich auf die Aussage beschränkt, Zigaretten seien doch pfui, man solle sie wegwerfen.

Unordnung beginnt eben nicht in der Wohnung, sondern im Kopf. Mit albernen Allgemeinplätzen und altbackenen Alltagstipps ist ihr nicht beizukommen. Egal, ob man Profi-Messie ist oder bloss leicht angemesst wie ich.

Das findet auch Andi. Er hat jetzt übrigens versprochen, dass er mal darüber nachdenken will, einige Altlasten aus der Wohnung zu schmeissen.

Mal sehen.

* Name geändert

Buchtipp

  • Eileen Roth: «Ordnung halten für Dummies»; Verlag Wiley, 2015, 256 Seiten, CHF  17.90

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