Zur Person

Alexander Grob ist Professor für Entwicklungs- und Persönlichkeitspsychologie an der Uni Basel. Für eine Nationalfonds-Studie sucht er Paare, die viermal innert zweier Jahre zwei Wochen lang unabhängig voneinander täglich einen kurzen Online-Fragebogen ausfüllen: partnerschaft-psychologie@unibas.ch. (Bild: Privat)

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Beobachter: Lässt sich Liebe wissenschaftlich überhaupt erfassen?
Alexander Grob: Das hängt davon ab, wie man Liebe definiert. Eine Liebesbeziehung ist ein andauerndes Teilen von Erfahrungen. Sie zeichnet sich durch Zuneigung, Sexualität, Fürsorge und Gleichberechtigung der Partner aus. Im Rahmen unserer Forschung fragen wir Paare beispielsweise nach Nähe und Verbundenheit, nach Leidenschaft, physischer Anziehung und Sexualität. Mit zunehmender Dauer der Beziehung ist auch das Gefühl der gegenseitigen Verpflichtung und Fürsorge wichtig. Die Antworten zeigen, welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede es gibt. Wenn man diese Dimensionen als Zutaten einer Liebesbeziehung versteht, kann man Liebe durchaus erforschen.

 

Beobachter: Gibt es den einzig richtigen Partner?
Grob: Grundsätzlich kann es sehr viele verschiedene Typen von Partnern geben, mit denen man eine glückliche und stabile Partnerschaft erleben kann. Wichtig ist, dass grundlegende Werte und Ziele übereinstimmen: soziale, politische und religiöse Einstellungen, die Weltanschauung, Karriereziele, Kinder oder dass man gemeinsam alt werden will. Auch die Persönlichkeit spielt eine Rolle. Ob es aber nur ein richtiges Profil oder einen Typ Mensch gibt, der zu einem passt, hängt von den persönlichen Vorlieben ab und davon, was einem wichtig ist. 

 

Beobachter: Die Dating-Plattform Parship vermittelt Partner nach dem Prinzip: «So viele Gemeinsamkeiten wie möglich, so viele Unterschiede wie nötig.»
Grob: Ich kann dazu nur sagen: Die Ergebnisse unserer Forschung zeigen, dass die Ähnlichkeit der Persönlichkeit kaum mit der Zufriedenheit der Partner zusammenhängt. Bevor man sich verliebt, ist man sich zunächst einfach nur sympathisch. 

 

Beobachter: Wie entsteht diese Grundsympathie?
Grob: Sympathie stellt sich sehr schnell ein, manchmal innert Sekundenbruchteilen, indem wir wahrnehmen, wie ähnlich, verschieden und attraktiv wir uns sind. Eine Rolle spielen auch Geruch, Körperhaltung und Muskelspannung, symmetrische Gesichtszüge, offener Gesichtsausdruck und sonore Stimme. Evolutionspsychologisch erkennen wir so einen gesunden Partner. Der Nachwuchs soll ja ein gutes Immunsystem haben. Biologisch trifft das zu, wenn die Eltern eine möglichst unterschiedliche sogenannte Gewebeverträglichkeit haben. Diese wird über Botenstoffe signalisiert und riechbar. Wenn man also jemanden gut riechen kann, ist das ein Hinweis, dass man sich verträgt.

 

Beobachter: Bei der Online-Partnersuche spielt das alles keine Rolle. Ist das nicht fatal?
Grob: Diese Plattformen sind einfach eine Möglichkeit, andere kennenzulernen. Die Kriterien, nach denen wir Sympathie empfinden, zeigen sich erst im persönlichen Kennenlernen.

«Emotional stabile, extravertierte Menschen erleben die Beziehung zufriedener.»

 

Beobachter: In einer Studie zeigen Sie auf: Paare sind zufriedener, wenn beide möglichst extravertiert, verträglich, gewissenhaft und emotional stabil sind.
Grob: Genau. Extravertierte Personen sind gesellig, aktiv, gesprächig und durchsetzungsfähig. Sie geniessen es, Zeit in Gesellschaft zu verbringen, sind begeisterungsfähig und können andere leicht mitreissen. Verträgliche Personen sind kooperativ, einfühlsam und vertrauensvoll im Umgang, und sie haben eine uneigennützige Seite. Sie können leichter nachgeben und sind grosszügiger. Wer sehr gewissenhaft ist, ist zielstrebig, diszipliniert und zuverlässig. Und emotional stabile Menschen lassen sich durch Belastungen und Stress nicht leicht aus der Fassung bringen. Sie sind nicht besonders ängstlich oder besorgt und können in schwierigen Momenten Ruhe und Sicherheit bewahren. 

 

Beobachter: Haben also Leute, die eher introvertiert und emotional wenig stabil sind, schlechtere Chancen auf eine glückliche Beziehung?
Grob: Die Frage ist nicht, ob man eine Eigenschaft besitzt oder nicht. Wichtig ist, dass man seine Persönlichkeit und seine Grenzen kennt. Introvertierte oder emotional instabile Personen, die wissen, welche ihrer Handlungen, Gedanken und Gefühle die Beziehung belasten, können etwas verändern. Interessante Ergebnisse dazu liefert eine deutsche Studie. Danach hegt ein emotional instabiler Mensch negativere Gedanken über die Beziehung zu seinem Partner, wenn er uneindeutigen Situationen ausgesetzt ist. Falls die Partnerin schon länger nicht mehr gesagt hat, dass sie ihn liebt, interpretiert er das als Liebesverlust. Eine emotional stabile Person würde denken, der Partner habe zurzeit viel um die Ohren oder man habe sich in letzter Zeit wenig gesehen. Wenn negative Interpretationen abnehmen, nimmt die emotionale Stabilität zu. Kurz: Man ist seiner Persönlichkeit nicht einfach ausgesetzt, man kann sein Denken und Handeln auch ändern. 

 

Beobachter: Sie haben auch entdeckt, dass das Selbstwertgefühl einer Person zunimmt, wenn der Partner in der Beziehung zufrieden ist. Kann eine Beziehung also auch heilende Aspekte umfassen?
Grob: Ja, wenn man nur wenig Selbstwertgefühl hat, kann man sich mit einem Partner, der zufrieden und glücklich ist, auf die Dauer positiver erleben.

 

Beobachter: Und doch ist es entscheidend, was wir über uns selber denken.
Grob: Absolut. Wenn man weiss, wie sich jemand selbst einschätzt, kann man in gewissem Masse sogar die Zufriedenheit in der Beziehung vorhersagen. Emotional stabile, extravertierte, gewissenhafte, sozial verträgliche Menschen mit hohem Selbstwertgefühl erleben Partnerschaften zufriedener. 

 

Beobachter: Welche Rolle spielt, was wir über den Partner, die Partnerin denken?
Grob: Das ist vergleichbar mit der Selbsteinschätzung, vielleicht sogar noch wichtiger. Wie ich meine Partnerin wahrnehme, hängt damit zusammen, wie zufrieden sie in der Beziehung ist. Das beeinflusst die Beziehung stärker als die Wahrnehmung der eigenen Persönlichkeit. Diese Beeinflussungen verlaufen natürlich gegenseitig.

«Mit einem glücklichen Partner kann man sich selbst positiver erleben.»

 

Beobachter: In Ratgebern steht, man müsse sich in einer Beziehung gemeinsam entwickeln. Was heisst das konkret?
Grob: Man muss für sich selber und auch als Paar reflektieren, woher man kommt, wo man steht und wohin man sich gemeinsam und als Einzelner entwickeln will. Was bedeutet mir die Beziehung, und wie stark gebe ich mich in sie ein? Die Antworten können sich im Lauf einer langjährigen Beziehung verändern. Herausforderungen und Konflikte sind eine Möglichkeit, miteinander zu wachsen und sich weiterzuentwickeln. Sie können aber auch darauf hinweisen, dass die Beziehung wenig oder keine Zukunft mehr hat. Die Partner müssen sich nicht immer im Einklang befinden. Aber sie müssen sich und einander den Freiraum zugestehen, in dem sie sich persönlich entwickeln und entfalten können. Was das für die Beziehung heisst, ist offen. 

 

Beobachter: Beziehungen sind also nichts Fixes.
Grob: Das ist so. Gewisse Paare wachsen gemeinsam, andere entwickeln sich als Einzelpersonen je unterschiedlich und kommen vielleicht zum Schluss, dem anderen mehr Freiraum zuzugestehen und die Partnerschaft neu zu definieren. Das lässt den Partner in einer veränderten Dimension erscheinen. Andere können den Partner jedoch nicht mehr in ihr bisheriges Konzept der Partnerschaft integrieren. Sie erleben Unverständnis, Schmerz und Trauer, dass die Beziehung nicht mehr so ist, wie sie war. Dieser Punkt der Krise kann ein Neubeginn oder das Ende der Beziehung sein.

 

Beobachter: Klingt wie ein Glücksspiel.
Grob: Ich weiss nicht, inwieweit Liebesbeziehungen mit Glück zusammenhängen. Letztlich geht es darum, den Mut aufzubringen, sich in der Partnerschaft zu der Person zu entwickeln, die man sein möchte. Diese Entwicklung kann man nicht vom Gegenüber abhängig machen. Aber man kann in der Beziehung seine Verhaltens- und Denkmuster kritisch überdenken und allenfalls ändern. Oder man kann alltägliche Situationen mit neuen Strategien anpacken. Wer offen genug ist, kann auch eine für ihn schwer nachvollziehbare Entwicklung des Partners aushalten. Die Beziehung muss deshalb nicht völlig in Frage gestellt werden. Wenn sich der Partner aber fundamental in eine andere Richtung begibt, als man sie für sich und die Beziehung für gut erachtet, muss man den Schmerz zulassen. Man kann sich aktiv um den Fortbestand der Beziehung bemühen oder sie beenden. 

 

Beobachter: Schaffen es viele Paare, sich gemeinsam zu entwickeln?
Grob: Das gelingt Paaren, die sich kritisch reflektieren können und sich, dem Partner und der Partnerschaft Gestaltungsspielraum eingestehen. Diese Grundhaltung weisen viele Paare auf; doch sie müssen den Weg dorthin finden und bereit sein, das zu wollen. Veränderungen in der Partnerschaft passieren übrigens oft während Übergängen im Leben – wenn man zusammenzieht, Kinder bekommt, umzieht, die Kinder flügge werden oder wenn man pensioniert wird.