Lea Boll* ist in juristischen Belangen erfahren: Fünf Jahre lang arbeitete sie als Anwältin. Doch dann erkrankt sie an einem Hirntumor und muss während der Behandlung ihre Tätigkeit einstellen. Als ihre Ehe in die Brüche geht, sieht sie sich ausserstande, das Scheidungsverfahren ohne Anwalt durchzuziehen. «Meine gesundheitliche Situation, die damit verbundenen Ängste, die Scheidung nach fast 20 Jahren Ehe – das war zu viel auf einmal», sagt sie.

Plötzlich fordert er 30'000 Franken

Boll wendet sich an einen Rechtsanwalt, den eine befreundete Juristin ihr empfohlen hat. Sie vereinbart mit ihm einen Stundenansatz. Von da an flattern in regelmässigen Abständen Anwaltsrechnungen in ihren Briefkasten, alle zwischen einigen hundert und rund 2000 Franken. Der Advokat habe mit akribischer Genauigkeit jede Tätigkeit für ihren Fall aufgeführt, erinnert sie sich – jedes Telefongespräch, beinahe jede Minute, in der er Aktenstudien betrieb. «Ich getraute mich schliesslich kaum mehr, ihn anzurufen – aus Angst, das treibe die Kosten noch weiter in die Höhe.»

Boll, gesundheitlich geschwächt, begleicht die Forderungen – insgesamt rund 15'000 Franken. Doch einige Monate nachdem sie den Anwalt mit der Abwicklung ihrer Ehescheidung betraut hat, stellt dieser erneut gut 7500 Franken in Rechnung. Und doppelt kurz darauf mit einer Honorarforderung von über 6500 Franken nach. Mit Schrecken stellt Lea Boll fest: Ihr Rechtsbeistand kostete sie über 30'000 Franken – «und dabei hatte er noch nicht einmal die Klage geschrieben».

Boll zieht die Notbremse: Sie entzieht dem teuren Juristen das Mandat und übergibt den Fall einem neuen Rechtsvertreter. Dieser ist erstaunt darüber, was er vorfindet. «Ich musste von vorne anfangen, das Ergebnis der Arbeit meines Vorgängers war gleich null», sagt er.

Was Lea Boll widerfuhr, erleben Menschen, die rechtlichen Beistand benötigen, immer wieder: Sie sind eingeschüchtert im Umgang mit einem Anwalt, vielleicht geblendet von seinem juristischen Sachverstand – und sprechen die Honorarfrage zu wenig deutlich an. Ein Fehler, sagt Michael Hüppi, Anwalt in St. Gallen und Sprecher des Schweizerischen Anwaltsverbands: «Anwaltshonorare sind Verhandlungssache, und wer nur ein beschränktes Budget zur Verfügung hat, tut gut daran, die finanziellen Modalitäten ganz am Anfang zu klären.»

Anwälte sind verpflichtet, den Klienten gleich zu Beginn ihren Stundenansatz zu nennen. Dieser variiert je nach Streitwert und Komplexität eines Falls. Zudem gibt es regionale Unterschiede: In Zürich liegt der Stundenansatz eines Anwalts für Familienrecht bei 300 bis 500 Franken, in der übrigen Deutschschweiz in der Regel zwischen 250 und 300 Franken. Hinzu kommen Spesen für administrativen Aufwand wie Telefonate oder Reisen. Möglich sind auch Spesenpauschalen: Üblich sind drei bis vier Prozent des Stundenhonorars, die zusätzlich verrechnet werden.

Am besten vereinbart man ein Kostendach

Feilschen um die Stundensätze ist durchaus erlaubt: «Wer überzeugend darlegen kann, dass er nur über wenig Geld verfügt, kann allenfalls damit rechnen, dass ein Anwalt auch für ein tieferes Honorar arbeitet», sagt Experte Michael Hüppi. Allerdings: Für weniger Geld betreibe ein Anwalt womöglich auch weniger Aufwand.

Doch es ist nicht nur wichtig, die Höhe des Honorars zu kennen – sondern auch zu wissen, wie der Anwalt es einzufordern gedenkt. «Manche Anwälte rechnen nur einmal im Jahr ab oder gar erst, wenn ein Fall abgeschlossen ist», sagt Hüppi. «Da kann es für die Klienten zu Überraschungen kommen.»

Grundsätzlich gilt: Ein Klient kann von seinem Rechtsvertreter zu jedem Zeitpunkt eine Zwischenabrechnung verlangen, um sich so einen Überblick über die aufgelaufenen Kosten zu verschaffen. Noch besser: Er bittet ihn, seine Leistungen im Monatsrhythmus in Rechnung zu stellen. Besonders bei beschränkten Mitteln ist es zudem sinnvoll, ein Kostendach zu vereinbaren. Der Anwalt arbeitet, bis sein Honorar eine bestimmt Höhe erreicht hat, dann entscheidet sein Klient über das weitere Vorgehen.

Illusionen darf man sich aber keine machen: Günstig sind Anwälte nie. Sämtliche Tätigkeiten, die in Zusammenhang mit einem Fall stehen, werden als Arbeitszeit verrechnet. Rechtsschriften verfassen, Akten studieren – und die Anrufe ihrer Mandanten entgegennehmen. «Besonders bei familienrechtlichen Fällen sind die Klienten sehr emotional und greifen schnell zum Telefon, um dem Anwalt noch etwas mitzuteilen», sagt Michael Hüppi. «Anwälte übernehmen dabei häufig schon fast die Rolle eines Psychologen.» Dass sie das nicht gratis tun und der Zähler immer mitläuft, müssten sie den Klienten eigentlich mitteilen – das Beispiel von Lea Boll zeigt, dass das nicht immer geschieht.

Begutachter können Honorare kürzen

Klienten, die den Anwalt in Verdacht haben, die gesetzlichen Berufsregeln zu verletzen, können an die kantonale Aufsichtsbehörde gelangen. Im äussersten Fall können die Behörden ein Berufsverbot aussprechen. Eine weitere Beschwerdemöglichkeit sind die kantonalen Anwaltsverbände, die alle eine Kommission zur Honorarbegutachtung unterhalten. Gemäss Michael Hüppi nehmen die Begutachter jährlich rund 150 Rechnungen genauer unter die Lupe. «Häufig lenken Anwälte dann von sich aus ein und schrauben ihre Honorare herunter.» In gut einem Drittel der Fälle entscheiden die Begutachter, ob der Anwalt seine Rechnung nach unten korrigieren muss.

Ersparen lassen sich diese zusätzlich nervenaufreibenden Verfahren jedoch relativ einfach. «Es ist eine Frage der Kommunikation», sagt Michael Hüppi. «Anwalt und Klient müssen bloss die Honorarfrage offen besprechen.»

*Name geändert

Beschwerdestelle bei überhöhten Honorarrechnungen

  • Kantonale Aufsichtsbehörden über die Anwältinnen und Anwälte: Verzeichnis unter www.ejpd.ch (PDF 109 kb)
  • Schweizerischer Anwaltsverband: www.sav-fsa.ch