Die Briefe, die Jean-Pierre Egger an 380 Beamte der hiesigen Strafverfolgungsbehörden verschickt hat, tragen das Datum des Schweizer Nationalfeiertages. Denn dem Rechtsanwalt und Präsidenten des Vereins Schweizer Hanf-Freunde ist zum Feiern zumute. Egger ist überzeugt, dass ein neues Urteil des Obersten Gerichtshofs im Fürstentum Liechtenstein eine «Goldmedaille» ist, ein «Wegweiser für die laufenden und angehenden Prozesse».

Das höchstrichterliche Urteil aus dem Ländle beinhaltet einen Freispruch für zwei Personen, die in Vaduz Schweizer «Bauernhanf» anbauten mit der Absicht, Schlafkissen für den Verkauf an Spitäler und Altersheime zu produzieren.

Liechtenstein hat das Schweizer Betäubungsmittelgesetz übernommen: Strafbar macht sich nur, wer Hanfkraut zur Gewinnung von Betäubungsmitteln anbaut. Diese Absicht müssen die Strafverfolgungsbehörden den Produzenten jedoch nachweisen.

Der THC-Wert macht die Droge aus
Hanf ist in der Schweiz in den letzten Jahren zu einem so genannten «dual use»-Produkt geworden: Legal wird er als Rohstoff für die Textil-, Papier-, Seil- und Bauindustrie verwendet sowie für Lebensmittel und Kosmetika; illegal als Betäubungsmittel. Je höher der Gehalt des Wirkstoffs Tetrahydrocannabinol (THC), desto geeigneter ist die Pflanze als Droge.

Das weiss auch die liechtensteinische Polizei. Sie nahm eine Probe der Vaduzer Gewächse, stellte fest, dass sie einen THC-Gehalt von bis zu drei Prozent aufwiesen, und beschlagnahmte die Pflanzen. Zu Unrecht, wie der Oberste Gerichtshof entschied. Die Richter hielten fest, dass der Anbau von Hanf zu landwirtschaftlichen oder gewerblichen Zwecken die vom Gesetz verbotene Zweckbestimmung – Anbau zur Betäubungsmittelherstellung – nicht erfülle.

Auch die Verwendung des Hanfs für Duftkissen zählten die höchsten Richter zu den «gewerblichen Zwecken». Der blosse Anbau von Hanfkraut mit erhöhtem THC-Wert (über 0,3 Prozent) könne deshalb «nicht als missbräuchlich angesehen werden». Die Polizei musste den Freigesprochenen ihre Pflanzen zurückgeben.

Duft- und Schlafkissen legal?
Ganz anders wird dasselbe Gesetz in der Schweiz ausgelegt: Im Oktober 1998 verurteilte das Zürcher Bezirksgericht in einem «Pilotprozess» den Betreiber eines Hanfladens, der Duftkissen verkaufte. Begründung: Der Duftkissenverkauf sei nur ein Versuch, das Betäubungsmittelgesetz zu umgehen. Das zeige nicht nur der hohe THC-Gehalt des Duftkissenhanfs, sondern auch der stolze Verkaufspreis. Der Hanfladenbesitzer wurde zu 14 Monaten Gefängnis bedingt und einer Busse von 20000 Franken verurteilt. Seither stützen sich die Schweizer Richter bei ähnlichen Fällen auf diese repressive Argumentation.

Für Jean-Pierre Egger ist damit jetzt Schluss. Das Liechtensteiner Urteil zeige, «dass die therapeutischen Duft- und Schlafkissen legal sind», zumindest wenn es sich nicht um künstlich hochgezüchtete Pflanzen handle. Das Urteil sei deshalb «ein Gewerbefreischein für die Schweiz».

Beim Bundesamt für Gesundheit findet Rene Bühler das Liechtensteiner Urteil zwar «interessant», doch das Bundesgericht müsse nicht gezwungenermassen gleich entscheiden. Der Richterspruch beziehe sich nur auf das Absichtselement beim Anbau, nicht aber auf den Vertrieb. «Es sagt nichts darüber aus, ob Duftkissen nun tatsächlich ein Betäubungsmittel sind oder nicht.»

Das könnte sich ändern: Auch das Bundesgericht wird früher oder später ein Urteil sprechen müssen. Was immer dabei herauskommt, für Bühler ist klar: «Letztlich muss nicht die Justiz, sondern die Politik den Umgang mit dem Hanf neu regeln.»

Freigabe in Sicht?
Demnächst gehen die Vorschläge zur Revision des Betäubungsmittelgesetzes in die Vernehmlassung. Die Eidgenössische Kommission für Drogenfragen (EKDF) hat zuhanden des Bundesamts für Gesundheit einen Cannabisbericht erstellt. Sie empfiehlt eine Neubewertung des Cannabis, denn die gesellschaftliche Bedeutung der Pflanze als Betäubungsmittel habe sich in den letzten Jahren stark verändert: Cannabis sei ein Genussmittel geworden, das von einem wesentlichen Teil der Bevölkerung ohne Unrechtsbewusstsein konsumiert werde. Die Kommission spricht sich einstimmig für die Strafbefreiung des Konsums aus. Gleiches soll für Anbau, Erwerb und Besitz zum Eigengebrauch gelten. Beim Handel schlägt die EKDF vor, das Opportunitätsprinzip einzuführen und die Bestimmungen über die Strafverfolgung in einer Vollzugsverordnung zu regeln.