Beim Untersuchungsrichteramt Aarberg BE trifft in diesen Tagen brisante Post ein: eine Strafanzeige wegen Bestechungsverdachts. Die Verdächtigte: die Schlachtabfallverwertungsfirma Centravo AG. Der Verdacht: Die Centravo-Tochter GZM hat die Einwohnergemeinde Lyss mit regelmässigen hohen Zahlungen «gekauft».

Eingereicht hat die Strafanzeige die Interessengemeinschaft Pro Ambiente aus dem benachbarten Busswil. Seit Jahrzehnten leidet die dortige Bevölkerung besonders stark unter dem süsslichen, ekligen Gestank, der zuweilen der Fabrik entweicht. «Besonders bei warmen Temperaturen ist es kaum auszuhalten», ärgert sich ein Anwohner. «Da bleibt einem nichts anderes übrig, als sich im Haus einzuschliessen und keine Fenster zu öffnen.»

Jedes Jahr eine Viertelmillion?
Die Centravo spielt die Geruchsbelästigung herunter: Messungen zeigten, dass der Gestank gar nicht so schlimm sei. «Natürlich produzieren wir nicht emissionsfrei», sagt Geschäftsführer Hans Hofer. «Aber wir setzen alles daran, innerhalb der gesetzlich vorgesehenen Limiten zu bleiben.» Die Centravo will den Betrieb in Lyss erweitern, ein entsprechendes Baugesuch ist zurzeit beim Kanton hängig. Dem Ausbau bereits zugestimmt hat die Standortgemeinde Lyss.

Und genau das ist den Busswilern ein Dorn im Auge. Seit 1997 weisen Anwohner und die IG Pro Ambiente mit Klagen, Einsprachen und Beschwerden regelmässig auf die Befangenheit der Lysser Behörden hin – bisher ohne Erfolg. «Es fällt auf, dass Lyss allein in den neunziger Jahren über zehn Baugesuche der GZM trotz begründeten Zweifeln guthiess», sagt Marianne Maeder, Vorsitzende der Pro Ambiente. «Lyss scheint beide Augen zu schliessen, wenn es um die Centravo geht.» Wie – so fragen sich die Betroffenen – wäre es sonst möglich gewesen, dass die GZM einen geschützten Auenwald abholzen oder einen Bluttank ohne Baubewilligung erstellen konnte?

«Jetzt erklärt sich vieles», sagt Marianne Maeder. Denn vor kurzem haben die Anwohner erfahren, dass die GZM der Gemeinde Lyss in der Vergangenheit jedes Jahr eine Viertelmillion Franken zusteckte, seit dem Jahr 2000 «nur» noch 110000 Franken pro Jahr. Immer noch ein schöner Batzen – zusätzlich zu den Steuern, die die Centravo in Lyss zahlt.

Der Lysser Finanzverwalter Heinz Nievergelt bestätigt die Höhe der Zahlungen: «Das Geld ist für den besonderen Aufwand, den die Gemeinde mit der GZM hat.» So müsse man bei jedem Bauvorhaben der Firma überdurchschnittlich viele Einsprachen bearbeiten. Und wenn wieder einmal eine penetrante Gestankswolke über der Region hängt, laufen die Telefonleitungen der Verwaltung heiss. «Das macht Arbeit und kostet Geld», betont Nievergelt. Dass die Gemeinde mit den Zahlungen ruhig gestellt wird und nicht mehr unbefangen über GZM-Gesuche entscheiden kann, weist der Finanzverwalter jedoch weit von sich. «Das halten wir klar auseinander.»

Auch Centravo-Geschäftsführer Hofer bestätigt die Zahlungen, bestreitet jedoch deren Höhe: «Wir haben nie mehr als 110000 Franken pro Jahr bezahlt.» Das Geld sei ein Entgelt für «die Standortbeeinträchtigung und das Engagement der Gemeinde Lyss». Den Vorwurf der Bestechung findet Hofer absurd.

Aussenstehende sehen das anders. «Es mutet merkwürdig an, wenn eine Firma freiwillig mehr zahlt, als sie müsste. Das macht sie kaum ohne Hintergedanken», sagt ein Anwalt aus der Region. «Wir wollen, dass das Gericht den Sachverhalt genau abklärt», fordert Marianne Maeder. Zudem will die IG Pro Ambiente eine Sammelklage einreichen und von der Gemeinde Lyss und der GZM Schadenersatz für die beeinträchtigte Lebensqualität einfordern. Maeder: «Lyss und die Centravo versichern ständig, dass die Firma nicht stört und den gesetzlichen Vorschriften entspricht. Dazu passen die an Lyss bezahlten Standortentschädigungen gar nicht.»