Das Strafgericht Baselland hat am 21. Juni 2022 eine 39-jährige Marokkanerin wegen falscher Anschuldigung und versuchter Freiheitsberaubung verurteilt. Das Strafmass: eine 10-monatige bedingte Freiheitsstrafe und eine bedingte Geldstrafe von 60 Tagessätzen à 80 Franken. Zudem muss sie ihrem Ex-Ehemann eine Genugtuung von 4000 Franken sowie eine Entschädigung von gut 5300 Franken bezahlen. Auch für die gesamten Verfahrenskosten muss die Frau aufkommen. Noch im Gerichtssaal hat sie Berufung gegen das Urteil angekündigt. Darum gilt weiterhin die Unschuldsvermutung.

Nach dem Urteil kam es vor dem Gerichtsgebäude zu einem blutigen Übergriff. Ein aus erster Ehe in Marokko stammender Sohn der Frau streckte den Schweizer Ex-Mann mit einem Faustschlag ins Gesicht zu Boden. Er musste mit der Ambulanz ins Spital überführt werden.

Einvernehmlicher Sex

Der Beobachter hat über den Fall im Vorfeld der Gerichtsverhandlung ausführlich berichtet. Die aus Marokko stammende Frau hatte ihrem 17 Jahre älteren Schweizer Ehemann Vergewaltigungen an zwei Abenden im Januar 2018 vorgeworfen. Die Staatsanwaltschaft ermittelte in der Folge wegen sexueller Nötigung, stellte das Verfahren aber ein. Der Mann konnte mit Tonaufnahmen beweisen, dass es am ersten Abend zu keinen, am zweiten nur zu einvernehmlichen sexuellen Handlungen gekommen war. Die Initiative dazu war zudem von der Frau ausgegangen. Der Mann konnte gewissermassen eine «Ja heisst Ja»-Einwilligung vorlegen, allerdings ohne Wissen seiner Frau. 

Die Vergewaltigungsvorwürfe erhob sie wenige Tage nachdem ihr Mann die Scheidung eingereicht hatte. Im Raum stand damals auch die Frage, wie das Sorge- und Besuchsrecht für einen gemeinsamen Sohn geregelt werden sollte. 

Weil er für die Tonaufnahmen keine Einwilligung der Frau eingeholt hatte, war dem Mann 2020 eine bedingte Geldstrafe von 20 Tagessätzen à 210 Franken auferlegt worden. Nach der Einstellung des Strafverfahrens wegen Vergewaltigung zeigte er seine Ex wegen Falschbeschuldigung an, die Staatsanwaltschaft erhob Anklage. Dabei berief er sich auf die illegale Tonaufnahme als Beweismmittel. 

Aufklärung im öffentlichen Interesse

Auch der Basler Richter musste eine Güterabwägung vornehmen. «Je schwerer die Straftat, desto höher ist das öffentliche Interesse an der Wahrheitsfindung. Im vorliegenden Fall überwiegt es klar gegenüber dem privaten Interesse», argumentierte der Richter. Und: «Die Audiodateien zeigen unmissverständlich, dass es zu keinen sexuellen Handlungen unter Zwang gekommen war.»

Der Anwalt des Ex-Ehemanns hatte daneben eine Bestrafung wegen versuchter Freiheitsberaubung beantragt. Denn wer einer Vergewaltigung beschuldigt werde, müsse in vielen Fällen mit einer Untersuchungshaft rechnen. Der Richter folgte dieser Argumentation: «Auch jedem Laien muss bewusst sein, dass eine Vergewaltigung ein schwerer Vorwurf ist, der möglicherweise zu einer U-Haft führen kann. Die Angeklagte hat dies in Kauf genommen», begründete er den Schuldspruch in diesem Punkt. 

Die Frau hatte einen vollständigen Freispruch verlangt. Ihre Verteidigungsstrategie hatte sie Verlauf der Zeit verändert. Ihr erste Anwältin, die ihr Mandat abgegeben hatte, warf dem damaligen Ehemann noch «Vergewaltigung» an den zwei erwähnten Abenden vor. Nachdem ihr die Audioaufnahmen zugänglich gemacht worden waren, relativierte sie, die Taten könnten auch an anderen, nicht weiter genannten Tagen stattgefunden haben.

Was ist «Sex unter Zwang»?

Ihr neuer Anwalt hatte im vergangenen November vorgebracht, die Anzeige sei gar nicht von seiner Mandantin ausgegangen. Vielmehr sei sie von der Polizei nach einer Befragung dazu aufgefordert oder zumindest ermuntert worden. Diesen Vorwurf zog der Anwalt vor dem Strafgericht wieder zurück. Allerdings kritisierte er die Untersuchungsbehörden. Sie hätten ungenügend abgeklärt, was seine Mandantin mit «Sex unter Zwang» genau verstanden habe. Möglicherweise sei ihr gedroht worden, sie in Marokko wegen Ehebruchs anzuzeigen, weil sie eine neue Beziehung eingegangen war. Oder sie könnte mit von ihr gefilmten und dem Ex-Mann geschickten Sexvideos erpresst worden sein. 

Die Argumente verfingen vor dem Strafgericht nicht. Die Relativierung gegenüber den Tatzeitpunkten bezeichnete der Richter als «Schutzbehauptung».

Nach dem Urteil die Nase gebrochen

Nach der Verhandlung hatten sich Angehörige der Verurteilten in einer Gruppe vor dem Gerichtsgebäude versammelt. Auch ein 18-jähriger marokkanischer Sohn aus einer früheren Ehe der Frau gesellte sich dazu. Etwas davon entfernt sprach der Schweizer Ex-Ehemann mit seinem Anwalt und Journalisten. Plötzlich näherte sich der junge Mann zügig und lächelnd dem Ex seiner Mutter. 

«Ich streckte ihm noch die Hand entgegen, um ihn zu begrüssen. Ich dachte, er wolle sich mit mir versöhnen nach dem klaren Urteil», sagte er. Doch der Ex-Stiefsohn holte zu einem wuchtigen Schlag ins Gesicht seines Gegenübers aus. Stark blutend und mit zerschlagener Brille fiel der Mann zu Boden. Später wurde er mit der Ambulanz ins Spital gebracht, wo man eine gebrochene Nase feststellte und Wunden genäht werden mussten. 

Der Täter wird sich voraussichtlich wegen Körperverletzung verantworten müssen, was auch seinen Aufenthaltsstatus in der Schweiz beeinflussen könnte. Der Amateurboxer war schon mehrmals problematisch aufgefallen und lebt heute in einer sozialpädagogischen Wohngruppe im Kanton Aargau. Am späteren Abend nach der Tat meldete er sich bei der Polizei.


Korrekturhinweis: In einer früheren Version dieses Artikels hiess es, dass die Protagonistin dieses Falls in der Schweiz eingebürgert worden ist. Das ist nicht korrekt. Wir haben die entsprechende Passage angepasst. 

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Peter Johannes Meier, Ressortleiter
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