Der Mann ist grundsolide: Frau, zwei Kinder, Einfamilienhaus, guter Job. Wenn er jedoch zu Hause in den Schrank greift, wird er zum Rechtsbrecher. Denn für das kleine Fernsehgerät vom Elektronikdiscounter zahlt er keine Empfangsgebühren – und spart damit jeden Monat 22 Franken. Ohne schlechtes Gewissen. Denn erstens: «Das Gerät bleibt meistens im Kasten.» Zweitens: «Würden Sie für ein schwarzweisses Minibild etwas zahlen?» Drittens: «Es kommt ja eh nur das erste Schweizer Programm herein – dafür sind 22 Franken zu viel.»

Schwarzsehen als Kavaliersdelikt
Illegal fernsehen oder Radio hören ist offenbar ein Kavaliersdelikt. «Wir rechnen mit zehn Prozent Schwarzsehern und Schwarzhörern», sagt Thomas Rudin vom Bundesamt für Kommunikation (Bakom). Die Zahl ist stattlich und stabil, obwohl Ertappte mit einer Busse rechnen müssen. Kleinfälle werden mit 100 bis 200 Franken erledigt, trickreichen Betrügern kann eine Strafe bis 5000 Franken angehängt werden.

Immer grösser geworden ist dagegen die Gruppe der «neuen Schwarzseher». Also jene Leute, die zwar registriert sind und eine Gebührenrechnung bekommen, diese aber verspätet oder gar nicht bezahlen. «Pro Jahr müssen wir rund 45'000 Betreibungen einleiten», sagt Bernhard Marchand, Pressesprecher der Billag AG.

Seit Anfang 1998 erledigt die Billag das Inkasso im Auftrag des Bundes. Exakt diese Änderung ist der Grund für die harzige Geldeintreiberei. Früher wurden die Radio- und Fernsehgebühren über die monatliche Telefonrechnung der PTT eingezogen. Wer nicht zahlte, musste damit rechnen, dass das Telefon abgestellt wird.

Ruf nach neuem Gesetz wird laut
Dieses Druckmittel ist weg. Und es wurde nicht ersetzt. Mit dem Resultat, dass fernsehen und fernhören nicht untersagt werden können. Ein Empfangsverbot oder das Wegräumen der Geräte würden laut Bundesrat «dem Grundrecht der Informationsfreiheit» widersprechen. «Im Notfall wollen die Behörden das Volk über Radio und Fernsehen informieren», sagt Thomas Rudin vom Bakom. «Da kann nicht die gleiche Behörde diese Geräte einfach ausser Betrieb setzen.»

Mit dem Resultat, dass die Billag bisher 6,7 Millionen Franken an uneinbringbaren Gebühren abschreiben musste. Mehr noch: Die Firma rechnet damit, «dass aus allen bis heute hängigen Betreibungen rund 17 Millionen Franken abgeschrieben werden müssen».

Damit muss einer von 100 Gebührenfranken als uneinbringbar abgehakt werden. Kein Drama, besänftigen die Verantwortlichen. «Eine solche Quote ist im Geschäftsleben normal», sagt Billag-Sprecher Bernhard Marchand. «Im europäischen Vergleich stehen wir sogar gut da», meint auch Thomas Rudin vom Bakom. Denn was beide überhaupt nicht brauchen können, ist ein Aufruf, die Rechnungen nicht zu bezahlen.

Anders tönt es in der Politik. «Wer zahlt, wird für dumm verkauft – das ist nicht haltbar», sagt SP-Nationalrätin Susanne Leutenegger Oberholzer. In einer Anfrage verlangte sie vom Bundesrat eine Auskunft über das Gebühreninkasso. Und ist erschreckt über die Antwort. «Es gibt keine Rechtsgleichheit», schimpft sie. Erwischte Schwarzhörer und -seher würden gebüsst – wer aber die Gebühren einfach nicht bezahlt, könne ungestraft weiter Radio hören und fernsehen.

Jetzt erwägt die SP-Politikerin einen neuen Vorstoss mit der Forderung nach einem stärkeren Druckmittel gegen Gebührenverweigerer. Das Patentrezept sucht sie noch. Die frühere Koppelung an die Telefonrechnung hat zwar gut funktioniert, doch der SP-Nationalrätin ist dieses Regime «zutiefst unsympathisch».

Im Härtefall das Gerät einziehen?
Zu Hilfe eilt ihr FDP-Nationalrat Hans Rudolf Gysin, der vom «zahnlosen Billag-Tiger» spricht. Er begreife Leute, «die sich angesichts dieser Situation fragen, warum sie regelmässig ihre Gebühren bezahlen». Gysin fordert eine Gesetzesrevision: «Irgendeine Massnahme muss getroffen werden.» Und sei es nur, dass den Verweigerern «zeitweise das Gerät entfernt wird».

Aus dem Bakom kommt vorderhand keine Unterstützung. «Ich weiss nicht, wie man das Problem der schlechten Zahlungsmoral politisch lösen könnte», meint Thomas Rudin. Alle neuen Vorschläge hält er für wenig realistisch. Primär müssen laut Rudin «Information und Motivation der Konsumenten forciert werden». Die Botschaft: Zahlen ist Pflicht – als Gegenleistung gibts ein Qualitätsprogramm.

Nicht teilhaben an dieser Diskussion mag die Billag. Sie richtet sich nach den Vorschriften und versucht, so viel Geld wie möglich einzutreiben. Sie hat ohnehin genug Sorgen mit den traditionellen Schwarzkunden – also jenen, die unregistriert konsumieren. Hinzu kommen jene Spezialisten, die sich mit dem Hinweis auf den Datenschutz einer Anmeldung entziehen wollen und ihre Adresse überall sperren lassen. «Wir haben grosse Mühe, an die Adressen potenzieller Kunden zu kommen», sagt Bernhard Marchand.

Früher konnte die Telecom/PTT auf die Adressdatei ihrer Kunden zurückgreifen. Dieses Recht hat die Billag laut Marchand nicht: «Wir müssen die Daten mühsam und teuer auf dem freien Markt beschaffen – wie irgendeine Werbefirma oder ein Versandhaus.»