Es ist eine Siedlung in Kriens LU, wie man sie vielerorts sieht: grüner Rasen, herumtollende Kinder. Ein Spielplatz. Und in unmittelbarer Nähe ein Garagentor. Plötzlich öffnet sich das Tor, hebt eines der Mädchen an und drückt es brutal gegen die Betondecke. Passanten versuchen zu helfen, hängen sich ans Tor, doch ohne Erfolg. Der Notentriegler funktioniert nicht. Polizei und Feuerwehr müssen zuerst Teile des Torantriebs demontieren, bevor sie Manuela Krummenacher nach 15 Minuten befreien können. Wie das Tor Manuela hochheben konnte, bleibt ungeklärt.

Die Folgen sind fatal: Das Garagentor hat den Brustkorb der Achtjährigen zusammengedrückt und so die Blutversorgung in ihr Gehirn unterbrochen. Der Sauerstoffmangel verursacht schwerste Hirnverletzungen. Manuela ist am 30. April 2001 mit einem Schlag zum Betreuungsfall geworden – sie liegt bis heute im Wachkoma und wird über eine Sonde ernährt.

Das Amtsstatthalteramt Luzern eröffnet gegen die Verantwortlichen des Torherstellers eine Strafuntersuchung wegen fahrlässiger schwerer Körperverletzung. Experten der Luzerner Zertifizierungsstelle Sibe Schweiz prüfen die Zugkraft des Garagentors. Handelsübliche Geräte versagen – erst mit einer Kranwaage gelingt die Messung. Resultat: Das Tor drückte mit einer Kraft von 300 Kilogramm auf Manuelas Kopf und Brust.

Die Spezialisten erstellen ein Gutachten und halten fest: «Die Zugkraft beim Öffnen und Schliessen des Tors ist viel zu hoch, so dass mit schwersten Verletzungen gerechnet werden muss.» Überdies erfülle das Tor «in keiner Weise» die nötigen Anforderungen an die Sicherheit. Trotzdem stellt das Amtsstatthalteramt Luzern die Strafuntersuchung gegen die Verantwortlichen des Torherstellers im Sommer 2003 ein. Begründung: Eine mögliche Straftat sei verjährt. Manuelas Eltern akzeptieren diesen Entscheid nicht und kämpfen bis vor Bundesgericht, das aber am 21. September 2005 den Entscheid der Vorinstanz stützt: Siebeneinhalb Jahre nach dem Einbau des Tors sei der Hersteller nicht mehr zu belangen.

Die Betroffenen reagieren erzürnt: «Das ist ein leichtfertiges Urteil», sagt Manuelas Vater Andreas Krummenacher. Ein Blick in die umfangreichen Gerichtsakten zeigt: Torhersteller Hugo Bürli, Chef der Bürli Spiel- und Sportgeräte AG in St. Erhard LU, wusste bereits lange vor Manuelas Unfall von der Gefahr. Denn ein Tor mit dem gleichen Antriebsmotor DKS-45 hatte bereits zwei Jahre zuvor in Cham ZG ein Kind an der Decke eingeklemmt. Passanten konnten das bewusstlose Mädchen in letzter Sekunde reanimieren.

Statt «das Wohl des Kindes in den Mittelpunkt zu stellen», wie er im Internet verspricht, baute Bürli nur gerade in Cham zusätzliche Sicherheitstechnik ein. Andere gefährliche Tore rüstete er nicht nach. In Kriens führte Bürli sogar mehrmals Reparaturen und Funktionskontrollen durch, aber ohne die Sicherheit zu verbessern oder die Eigentümer über potenzielle Risiken zu informieren. Auf der Rechnung vermerkte der Bürli-Techniker: «Kipptor kontrolliert, in Ordnung». Wenige Monate später verunfallte Manuela.

Hersteller müssten nachrüsten

«Die Firma übernahm die Verantwortung für die Sicherheit des Tors, als sie es kontrollierte. Im Wissen um die Gefahr hätte sie die Pflicht gehabt, die Mängel zu beheben», ist Manuelas Anwalt Viktor Rüegg überzeugt. Doch die Bundesrichter schützen den Torhersteller: «Die Bürli AG war (...) auch nach dem Unfall in Cham vertraglich nicht verpflichtet, von sich aus, ohne entsprechenden Auftrag die Sicherheit des Garagentors in Kriens zu kontrollieren», schreiben sie in ihrem Urteil.

Mit anderen Worten: Die Eigentümer oder die Verwaltung der Siedlung in Kriens hätten Bürli den Auftrag geben müssen, explizit die Sicherheit des Tors zu prüfen. Vom Unfall in Cham jedoch wusste zu diesem Zeitpunkt niemand – ausser Bürli selbst. Ob dieser seine Kunden hätte informieren müssen, kann laut den Bundesrichtern «dahingestellt bleiben».

Dies erstaune ihn, sagt Sicherheitsingenieur Albert Marty von Sibe Schweiz. «Das Bundesgericht hat rein formal entschieden, ohne die veränderte Rechtslage genügend zu berücksichtigen.» So sei in der Schweiz seit Mitte der neunziger Jahre die Europäische Maschinenrichtlinie als Grundlage für das revidierte Bundesgesetz über die Sicherheit von technischen Einrichtungen in Kraft, ebenso das neue Produktehaftpflichtgesetz. «Diese Rechtserlasse verlangen, dass Hersteller Produkte, die grundlegende Sicherheitsanforderungen nicht erfüllen, zwingend nachrüsten müssen.» Bereits der Unfall in Cham habe gezeigt, dass diese Anforderungen nicht erfüllt sind. «Zu diesem Zeitpunkt hätte die Verjährungsfrist neu einsetzen sollen und nicht bei Inbetriebnahme des Tors.»

Hugo Bürli schob im Verfahren die Schuld auf Manuela und die übrigen Kinder ab, weil sie «klar bestimmungswidrig» mit dem Tor gespielt hätten. Bürlis Anwalt schrieb den Untersuchungsbehörden: «Die Kinder wussten, dass es gefährlich war.» Dies sei beschämend, sagt Marty. «Selbst den Bundesrichtern scheint entgangen zu sein, dass die Maschinenrichtlinie verlangt, dass ein Hersteller das Tor selbst für einen vorhersehbaren Missbrauch sichern muss.»

Ob die Firma Bürli gepfuscht hat, wird gerichtlich nie geklärt. Weil der Fall verjährt ist, erübrigt sich laut den Bundesrichtern zu prüfen, ob bei Planung und Einbau der Tore und beim Unterhalt strafrechtlich relevante Fehler gemacht wurden. Der Beobachter fragte bei Firmeninhaber Hugo Bürli nach, konfrontierte ihn mit den Vorwürfen der Sicherheitsexperten. «Die unsachlichen und vorurteilsvollen Fragen an meinen Mandanten sind einzig darauf gerichtet, ihn zu verurteilen», erklärt sein Anwalt Martin Koller. Bürli könne deshalb nicht Stellung nehmen.

Das Bundesgerichtsurteil sei für den Konsumentenschutz ein Rückschlag und für die Wirtschaft ein falsches Signal, sagt Albert Marty von Sibe: «Viele Hersteller sparen bei der Sicherheit. Offensichtlich braucht es weitere Unfälle, bis die Gesetze konsequent umgesetzt werden.» Weil Bürli freigesprochen wurde, wird er auch nicht zur Kasse gebeten: Weder er noch seine Haftpflichtversicherung müssen sich an Manuelas Pflegekosten beteiligen.