Der Heilmittelmarkt explodiert. Letztes Jahr wurden in der Schweiz für 2,9 Milliarden Franken kassenpflichtige Medikamente verkauft – mehr als je zuvor. Die Sicherheit wird bei der Zulassung dieser Präparate gross geschrieben: Jedes Heilmittel, das in der Schweiz auf den Markt kommt, muss zuerst von der Interkantonalen Kontrollstelle für Heilmittel (IKS) registriert werden. Die IKS prüft das Medikament in Bezug auf Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit. Im Fall einer Zulassung wird das Mittel in eine von fünf Verkaufsklassen eingeteilt.

Ein Prozedere, das immer wieder zu Komplikationen führt. Bereits die Definition eines Heilmittels macht Probleme. Ist ein Kräuterbonbon ein Lebensmittel oder ein Medikament? Muss ein Vitaminpräparat bei der IKS registriert werden? Darf ein Joghurt als verdauungsfördernd angepriesen werden? Viele Firmen missbrauchen die Gesetzeslücken und vertreiben Medikamente als Lebensmittel oder Kosmetika. Weil oft unklar ist, nach welchem Gesetz die Behörden intervenieren müssen, bleibt der illegale Vertrieb monate- oder gar jahrelang ohne Strafanzeige.

Auch die Einteilung in Verkaufsklassen ist oft undurchsichtig. Ein Beispiel: Rubisan ist eine homöopathische Salbe gegen Schuppenflechte und steht auf der Liste C. Sie wird von den Krankenkassen bezahlt und darf nur in Apotheken verkauft werden. Rubiderm hingegen, eine homöopathische Salbe gegen schuppende Hautausschläge, wurde von der IKS der Liste D zugeteilt: Sie darf in Drogerien verkauft werden. Der Clou: Die beiden Salben sind identisch. Der Grund für die Einteilung in verschiedene Verkaufsklassen: Schuppenflechte ist eine Indikation, die in der Liste D nicht akzeptiert wird.

Solche Beispiele gibt es viele. So werden etwa Magnesiocard und Magnesium Biomed von derselben Firma vertrieben und enthalten genau dieselbe Menge Magnesium. Magnesiocard ist rezeptpflichtig, steht auf der Liste B und wird von den Kassen bezahlt. Magnesium Biomed hingegen steht auf der Liste D und muss aus der eigenen Tasche bezahlt werden.

Oder Aspirin: Die Tabletten dieses Namens enthalten 500 Milligramm Acetylsalicylsäure. Das Medikament steht auf der Liste D und ist in Drogerien erhältlich. Aspirin Cardio hingegen enthält nur 100 Milligramm Acetylsalicylsäure. Dennoch steht es auf der Liste B und ist nur gegen Rezept zu haben.

Für einen Patienten, der davon ausgehen muss, dass rezeptpflichtige Medikamente gefährlicher sind als frei verkäufliche, grenzt das schlicht an Irreführung.

Verwirrende Praxis für Patienten
Wenn ein Heilmittel registriert ist, streben die meisten Firmen eine Aufnahme in die Spezialitätenliste der krankenkassenpflichtigen Medikamente an. Dafür zuständig ist das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV).

Doch auch hier sind manche Entscheide willkürlich. Besonders zurückhaltend ist das BSV bei der Bewilligung von Grosspackungen – obwohl diese für Patienten und Krankenkassen günstiger wären. So wird im Fall von Magnesiocard zwar die Packung mit 20 Beuteln von den Kassen bezahlt, nicht aber die Packung mit 50 Beuteln – obwohl das Mittel in der Langzeittherapie eingesetzt wird.

Das bringt viele Apotheker in einen Konflikt: An kleinen Medikamentenpackungen verdienen sie mehr als an grossen. Doch wenn ein Arzt mehrere Kleinpackungen verschreibt, muss er gemäss dem Vertrag mit den Krankenkassen eine grosse Packung abgeben, wenn die Wirtschaftlichkeit dafür spricht, selbst dann, wenn diese nicht in der Spezialitätenliste aufgeführt ist. Die meisten Kassen zahlen trotzdem.

Streng juristisch betrachtet, sei dieses Vorgehen illegal, sagt BSV-Mann Dominique Marcuard. «Wenn ein Apotheker die Grosspackung abgibt und die Kasse nicht bezahlt, ist der Patient der Lackierte.» Das wissen auch die Ärzte. Statt billiger Grosspackungen verschreiben sie mehrere kleine. Die Folge: Es drohen höhere Kosten für Patienten und Krankenkassen – und die Prämien steigen.

Das neue Heilmittelgesetz soll nun mehr Ordnung schaffen. Es geht um viel Geld – das zeigen auch die Stellungnahmen zum Vorentwurf. Nicht weniger als 170 Korrekturvorschläge trafen beim BSV ein: Ärzte verlangten die Selbstdispensation, Apotheker eine Preisgarantie, Drogisten die erleichterte Zulassung von «sanfter Medizin» und die Kassen den Versandhandel.

Im Nationalrat wurde das neue Gesetz trotzdem fast unverändert angenommen. Im Herbst wird es im Ständerat diskutiert. Die Gegner befürchten das Schlimmste. Die Registrierungsprobleme würden nicht gelöst, sagen die Kritiker. Zudem führe das neue Gesetz zu mehr Zentralismus.

«Für Hersteller von Naturheilmitteln ist das neue Gesetz wie eine staatlich verordnete materielle Enteignung», sagt Meinrad Sonderegger, Präsident der Sektion Appenzell des Drogistenverbands. «Viele kleinere Firmen können sich die teure Registrierung der Präparate beim geplanten Heilmittelinstitut gar nicht leisten.»

Nach heutigem Recht obliegt die Heilmittelkontrolle den Kantonen. Sie können auch selber Medikamente registrieren. Nur wenige machen jedoch davon Gebrauch. So etwa der Kanton Appenzell Ausserrhoden. Hier sind rund 2700 Mittel registriert, die in andern Kantonen nicht zugelassen sind. Der IKS ist diese Praxis ein Dorn im Auge. Prüft nämlich Appenzell Ausserrhoden nur die Unbedenklichkeit eines Präparats, verlangt die IKS auch einen Wirksamkeitsnachweis. Das soll mit dem neuen Heilmittelgesetz gesamtschweizerische Praxis werden.

Ärgerliche Doppelspurigkeiten
Doch der Gesetzesentwurf hat ein paar gewichtige Mängel. So werden etwa auch künftig Registrierungen der European Medicines Evaluation Agency (EMEA) in London nicht anerkannt. Ein Medikament, das bei der EMEA registriert wird, darf in der gesamten EU verkauft werden. In der Schweiz hingegen muss auch gemäss neuem Recht eine zusätzliche Dokumentation erstellt und dem Heilmittelinstitut vorgelegt werden.

Auch andere Probleme wären leicht zu lösen. So könnte die Einteilung der Medikamente in Verkaufsklassen nach ihrem Nebenwirkungspotenzial erfolgen. Ein Patient hätte dann Gewähr, dass ein frei verkäufliches Medikament wirklich auch harmloser ist als ein rezeptpflichtiges. Vor allem bei chronischen Krankheiten sollten auch Grosspackungen in die Spezialitätenliste aufgenommen werden, die entsprechend günstiger verkauft werden müssten. Und falls ein Medikament schon in der EU registriert ist, müsste man annehmen, dass es auch in der Schweiz verkauft werden darf.

Die Alternative ist das totale Chaos: Bereits heute kaufen viele Schweizer Medikamente, die sie in der Schweiz nicht oder nur über ein Rezept erhalten, im Ausland. In Zeitschriften und im Internet bieten immer mehr Unternehmen Medikamente mit zum Teil dubiosen Heilversprechen an. Möglichkeiten, diesen Versand zu überprüfen oder gar zu stoppen, hat die IKS nicht. Doch auch dieses Problem bleibt im neuen Gesetz ungelöst.