Unter uns wohnt eine Familie, die uns dauernd beschimpft. Heute haben sie mir "Riesenarschloch" ausgeteilt, nur weil ich die Haustür zugemacht habe. Dabei wusste ich doch gar nicht, dass die Kinder draussen waren.» Annette K. ist empört. «Muss ich mir das gefallen lassen?», erkundigt sie sich beim Beobachter-Beratungsdienst.

Muss sie nicht. Auch der «Sauhund», der «Trottel», die «Kuh» und der «Lügner» können sich wehren.

Unter dem Uberbegriff der Ehrverletzung kennt das Strafrecht drei Straftatbestände: die üble Nachrede, die Verleumdung und die Beschimpfung. Gemeinsam ist allen drei, dass der Täter ehrenrührige Äusserungen macht, die den Ruf einer Person schädigen oder sie beleidigen.

Behauptungen müssen wahr sein
Entscheidend ist allerdings nicht, wie ein Betroffener die Äusserung auffasst, sondern wie sie ein unbefangener Hörer verstehen muss. Bei Aussagen wie «du verdammte Hure», «Sie elender Betrüger» oder «du fette Sau» besteht kein Zweifel: Diese Äusserungen sind ehrverletzend.

Auch die Frau, die behauptet, ihr Nachbar sei ein Lügner, begeht eine Ehrverletzung – vorausgesetzt, der Mann hat gar nicht gelogen. Kann die Frau jedoch beweisen, dass der Nachbar tatsächlich log, macht sie sich nicht strafbar.

Straffrei bleibt sie ebenfalls, wenn sie wenigstens nachweisen kann, ernsthafte Gründe gehabt zu haben, den Vorwurf für berechtigt zu halten. Nicht als ernsthafter Grund gilt unter anderem das «Hörensagen». Das heisst: Wer ehrverletzende Vorwürfe ungeprüft weitererzählt, macht sich strafbar.

Trotzdem darf nicht alles, was wahr ist, an die Öffentlichkeit gebracht werden. Entscheidend ist das öffentliche Interesse. Äusserungen, die sich auf das Privat- und das Familienleben beziehen, sind grundsätzlich nicht von öffentlichem Interesse. Erzählt also etwa eine Mieterin allen Mitbewohnerinnen im Hochhaus, der Mieter im ersten Stock habe «perverse sexuelle Neigungen», entspricht dieses Wissen keinem öffentlichen Interesse – selbst wenn es zutreffen sollte. Ist der betreffende Mann jedoch ein Vergewaltiger, darf die Mieterin ihre Nachbarinnen warnen. Doch Vorsicht: Ohne gerichtliche Verurteilung wird der Wahrheitsbeweis in einem solchen Fall kaum gelingen.

Prozesse sind mühsam
Ehrverletzungsdelikte sind Antragsdelikte. Der Antrag auf Bestrafung muss innert dreier Monate erfolgen. Das Verfahren ist kantonal unterschiedlich geregelt. Meist findet zunächst eine Verhandlung vor dem Friedensrichter statt. Falls sich die Streithähne nicht einigen können, stellt der Richter eine Weisung aus. Diese hat die in der Ehre verletzte Person als Anklägerin rechtzeitig dem Gericht einzureichen.

Ehrverletzungsstreitigkeiten bringen allen Betroffenen viel Ärger. Eine Ehrverletzungsklage ist deshalb selten die beste Lösung. Oft verhärten sich dadurch die Fronten so sehr, dass danach die Situation noch schwieriger wird.

Ein Wort der Erklärung, eine Entschuldigung, die Bereitschaft zu einem Gespräch und zu Kompromissen helfen häufig mehr als der Gang zum Richter. An Verhandlungen bei Ehrverletzungsklagen setzen sich die Richter deshalb zunächst für eine einvernehmliche Einigung ein.

Was passieren kann, wenn dies nichts fruchtet, zeigt etwa der Fall einer Basler Zahnarztgehilfin, die ihren Chef in einem Gespräch mit einer Patientin als «Dubel» bezeichnete. Er entliess sie auf der Stelle und reichte eine Ehrverletzungsklage gegen sie ein.

Untersuchungsrichter und Amtsgericht wollten aber aus einer Mücke keinen Elefanten machen und stellten das Verfahren ein. Der Ausdruck «Dubel» habe in der Basler Umgangssprache keinen derart negativen Sinn, dass jemand dadurch in seiner Ehre verletzt würde, argumentierte das Gericht. Der Zahnarzt zog den Fall bis ans Bundesgericht weiter – ohne Erfolg.

Wichtig zu wissen: Nicht alles, was ein Betroffener als beleidigend empfindet, ist eine Ehrverletzung im juristischen Sinn. Wer von einem Berufsmann behauptet, er sei für seinen Job völlig ungeeignet, begeht beispielsweise keine Ehrverletzung. Diese Äusserung bezieht sich nur auf die beruflichen Fähigkeiten des Betroffenen und nicht auf seinen Charakter.

Doch auch in diesem Fall steht dem Geschädigten ein rechtliches Werkzeug zur Verfügung: eine Klage wegen Verletzung der Persönlichkeitsrechte gemäss Zivilgesetzbuch (Artikel 28ff.).

Im Gegensatz zur strafrechtlichen Ehrverletzungsklage sind beim zivilrechtlichen Persönlichkeitsschutz nicht nur die Ehre, sondern auch das berufliche Ansehen sowie das Privat- und das Familienleben geschützt. Mit einer zivilrechtlichen Klage kann der Geschädigte verlangen, dass eine Störung festgestellt und unterlassen wird. Falls die Voraussetzungen erfüllt sind, kann er darüber hinaus sogar noch Schadenersatz oder Genugtuung einfordern.