Tag und Nacht steht der Ambulanzwagen des jüdischen Rettungsdiensts Hazoloh an der Brandschenkestrasse in Zürich Enge bereit. Da viele Zürcher Jüdinnen und Juden im Quartier leben, ist er bei Notrufen innert Minuten zur Stelle. Die jüdische Bevölkerung schätzt ihren eigenen Rettungsdienst. «Er ist schneller als die städtische Sanität», sagt ein Mitglied der orthodoxen Gemeinde Zürich, «und man kennt sich halt, und zwar schon seit Jahren. Das schafft Vertrauen und ist gut in einer persönlich schwierigen Situation.» Gerade für orthodoxe Juden kommt es aus religiösen Gründen meist nicht in Frage, Schutz & Rettung Zürich zu rufen. Doch nun droht Hazoloh das Aus.

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Galgenfrist bis Ende Jahr

Es ist das Anerkennungsverfahren des Interverbands für Rettungswesen (IVR), das Hazoloh zu schaffen macht. Alle Leistungserbringer im Gesundheitswesen, also auch die Rettungsdienste, sind auf Bundesebene gesetzlich zur Qualitätssicherung verpflichtet. Rund die Hälfte aller Schweizer Kantone hat dafür die Anerkennung des IVR für verbindlich erklärt. Seit 2007 ist sie im Kanton Zürich eine Voraussetzung für die definitive Betriebsbewilligung. Die Frist läuft in mehreren Kantonen noch bis Ende Jahr. Bis dahin müssen die Rettungsdienste die IVR-Anerkennung erlangt haben.

Die grösseren Schweizer Rettungsdienste schaffen diese Hürde einigermassen problemlos. Die kleinen aber – rund ein Fünftel der Stützpunkte, mit weniger als 500 Einsätzen pro Jahr – haben Mühe damit. «Viele Rettungsdienste können die Kosten für Bereitschaftsdienst und Ausrüstung kaum noch decken, weil die Kosten nicht an die Patienten überwälzt werden können», sagt Martin Gappisch, Geschäftsleiter des IVR. «Ausgeprägt ist das bei kleinen Rettungsdiensten, die nur wenige Einsätze absolvieren. Oft haben sie mit ihren Ressourcen Mühe, strukturierte Prozesse einzuführen und qualifizierteres Personal zu bezahlen oder auszubilden.»

«Wir sind alle ehrenamtlich tätig»

Das geht auch Hazoloh so, die jährlich nur um 200 Einsätze leistet. Gemäss IVR-Richtlinien muss bei jedem Einsatz ein Rettungssanitäter mit SRK-Diplom dabei sein. Zudem braucht jeder Rettungsdienst einen eigenen Notarzt, der die Gesamtverantwortung trägt. Für Hazoloh sind allein diese Auflagen kaum erfüllbar. Leiter Samuel Bollag sagt: «Wir sind alle ehrenamtlich tätig und können keine dreijährige Ausbildung absolvieren, Personal einstellen auch nicht.» Erhält der Rettungsdienst die Betriebsbewilligung nicht, muss er den Betrieb einstellen oder sich auf Leistungen wie Krankentransporte oder Erste Hilfe verlegen. Beides kommt für die Sanitäter von Hazoloh nicht in Frage. Sie wollen weiterhin retten, auch aus Verpflichtung ihrer Gemeinschaft gegenüber. Wie das aber ohne Betriebsbewilligung gehen soll, dazu will Samuel Bollag nichts sagen.

Die IVR-Richtlinien für verbindlich zu erklären sei eine Massnahme, um die Privaten aus dem Markt zu drängen, ist von deren Seite immer wieder zu hören. Auch Hazoloh sah sich laut Website lange in einem «Machtkampf» mit Schutz & Rettung Zürich.

Dass es im Rettungswesen Standards geben muss, stellt aber niemand in Frage. Urs Eberle, Mediensprecher von Schutz & Rettung Zürich, redet von «Wildwuchs» und von «Unfug», den private Rettungsdienste in der Vergangenheit teilweise getrieben hätten. Jeder habe einen Rettungsdienst gründen können, was nicht immer zum Wohl des Patienten gewesen sei. Als Beispiel führt er an, dass ein Herzinfarktpatient aus dem zürcherischen Uster einen aargauischen Rettungsdienst gerufen habe. Statt dass der Aargauer Rettungsdienst aber Schutz & Rettung Zürich aufgeboten hätte, sei er vom Aargau her selbst zum Einsatzort gefahren. «Private Rettungsdienste müssen eben rentieren», resümiert Eberle. Marcel Bachofen, Geschäftsführer des privaten Rettungsdiensts Transmedical in Zürich, klagt über «schwarze Schafe in der Branche, die Patienten regelrecht abzocken», da die Krankenkassen nur einen Teil der Kosten übernehmen.

Auf dem Land länger auf Rettung warten?

Vielerorts ist man laut Martin Gappisch vom IVR nun aber «auf gutem Weg miteinander». Die neue Nachweispflicht steigere die Qualität im Rettungswesen und erhöhe damit die Sicherheit für die Bevölkerung. Umgekehrt habe man erkannt, dass es «Platz für alle» gebe. So habe es sich etwa gezeigt, dass kleine Rettungsdienste Engpässe auffingen. Und sie deckten Nischen ab, wie Verlegungen, Repatriierungen oder Betreuung bei Veranstaltungen.

Voraussetzung dafür ist allerdings, dass die kleinen Rettungsdienste die Zertifizierung erhalten. Gelingt es ihnen nicht, könnte es Engpässe bei Rettungseinsätzen geben, wie Private prognostizieren. Die öffentlich-rechtlichen Rettungsdienste kämen immer wieder an Kapazitätsgrenzen, stellt zum Beispiel Marcel Bachofen von Transmedical fest. Sie müssten massiv Personal aufstocken, was beim nachgewiesenen Fachkräftemangel und dem Spardruck aber kaum möglich sei. Tatsächlich hat die Gesamtzahl der Rettungseinsätze laut IVR in den letzten Jahren jährlich um fünf Prozent zugenommen – wegen gestiegener Ansprüche der Bevölkerung, vermutet Martin Gappisch. Es sei mit einem weiteren Anstieg der Einsatzzahlen zu rechnen.

In ländlichen Regionen könnten als Folge die Anfahrtszeiten massiv länger werden. «Wenn kleine Rettungsdienste eingehen, können speziell bei uns die Seitentäler unmöglich innerhalb der gesetzlich vorgeschriebenen Hilfsfrist erreicht werden. Das kann Leben kosten», sagt etwa die stellvertretende Geschäftsführerin eines Rettungsdiensts im Oberwallis.

Schweizer Ambulanzen: In 15 Minuten müssen sie da sein

Die Kantone sind zuständig für die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung und somit auch für die Rettungsdienste. Einige Kantone haben diese Aufgabe ganz oder teilweise an die Bezirke oder Gemeinden abgegeben.

115 verschiedene Rettungsdienste operieren laut Interverband für Rettungswesen (IVR) in der Schweiz an 158 Stützpunkten, um Notfalleinsätze im Auftrag der Sanitätsnotrufzentralen durchzuführen. Davon sind rund 65 Prozent öffentlich-rechtlich (50 Prozent spitalgebunden, 15 Prozent gemeindlich), zirka 30 Prozent privat und etwa 5 Prozent von Freiwilligenorganisationen betrieben.

Rund 350'000 Rettungseinsätze und Verlegungen leisten die Schweizer Rettungsdienste jährlich insgesamt. Die drei grössten öffentlich-rechtlichen Rettungsdienste in der Schweiz sind Schutz & Rettung Zürich (mit rund 35'000 Einsätzen pro Jahr), Rettung Basel (mit rund 20'000 Einsätzen pro Jahr) und die Sanitätspolizei Bern (mit rund 17'000 Einsätzen pro Jahr). Rund 30 Schweizer Rettungsdienst-Stützpunkte leisten jeweils weniger als 500 Einsätze pro Jahr.

Ein Anruf auf die Notrufnummer 144 wird in die betreffende regionale Einsatzleitzentrale weitergeleitet, worauf die Alarmierung der nächsten und geeigneten Rettungskräfte ausgelöst wird. Die meisten Rettungsdienste in der Schweiz sind den Sanitätsnotrufzentralen angeschlossen. Die Hilfsfrist – die Zeitspanne vom Alarmeingang bis zum Eintreffen vor Ort – darf gemäss Richtlinien des IVR für 90 Prozent der Einsätze maximal 15 Minuten betragen.