Am Arm von Karolin Klau hängt die Tüte mit den Trauben, als sie die Kasse passiert. Sie hat alles bezahlt, was im Einkaufswagen lag. Nur die Trauben am Arm hat sie «vergessen».

Karolin Klau hat Glück; kein Detektiv stürzt sich auf sie. Andere Ubeltäter haben weniger Erfolg. Rund 15'000 Langfinger erwischte die Migros im letzten Jahr. «Wir ertappen nur einen Bruchteil der Ladendiebe», sagt Marco Corazzi, Leiter des Sicherheitsdienstes der Migros Zürich. Die Schadenssumme bei der Migros lag 1998 bei einem siebenstelligen Betrag.

Die Ladendiebstähle nehmen markant zu. 1998 wurden allein im Kanton Zürich 3861 Fälle erfasst – ein neuer Rekord. Andere Kantone bestätigen diese Entwicklung. Im Kanton Bern (ohne Stadt) nahmen die Ladendiebstähle gegenüber dem Vorjahr um 40 Prozent zu. Auffallend ist der überdurchschnittlich hohe Anteil von jugendlichen Täterinnen und Tätern im Alter von 15 bis 18 Jahren.

Coop gibt keine offiziellen Zahlen heraus. «Ladendiebstähle gehen über das ganze Sortiment: vom Kaugummi bis zum teuren Non-food-Artikel», sagt Fredi Gosso, Leiter der Abteilung Sicherheit, Inventar und Kassenkontrolle der Coop Zentralschweiz.

Kürzlich waren Rasierklingen der grosse Renner. Fredi Gosso: «Kriminelle Gruppen haben diese Diebstähle professionell betrieben und die Rasierklingen in den Ostblock exportiert.»

Abgesehen von solchen «Sonderaktionen», bleibt die Rangliste der am meisten geklauten Gegenstände immer
etwa gleich: Raucherwaren, Spirituosen und Textilien sind die begehrtesten Diebesgüter.

Immer mehr Warenhäuser machen mit verstärkten Schutzmassnahmen den Dieben das Leben schwer. Detektive und Videoanlagen kommen zum Einsatz. Die Mitarbeiter werden speziell geschult und die Waren gesichert. Neben den klassischen Methoden wie Schutzetiketten, Signaltonsensoren und Farbampullen geht die Entwicklung dahin, die Waren bereits im Produktionsprozess mit Sicherheitschips auszustatten.

Kunden klagen über Detektive
«Wir müssen hundertprozentig sicher sein, dass jemand etwas gestohlen hat, bevor wir ihn anhalten», schildert die Ladendetektivin M. ihre Arbeit. «Wir müssen sehr geschickt vorgehen, damit die Person uns nicht bemerkt. Manchmal beobachten wir jemanden zwei oder drei Stunden.» Die Leute seien brutaler geworden, erzählt die Detektivin. «Manchmal gibt es blaue Flekken, Kratzer und Bisse.»

Doch auch von Kundenseite häufen sich die Beschwerden. Manch eine berichtet, sie sei wie eine Schwerverbrecherin behandelt worden. Die Frage stellt sich immer wieder: Wie weit darf ein Detektiv gehen? Ist er der «Hauspolizist»?

Grundsätzlich gilt: Detektive – oder auch das Personal – dürfen Karolin Klau anhalten, sobald sie die Kasse passiert hat und das Geschäft verlassen will, ohne die Trauben bezahlt zu haben. Denn jetzt besteht der dringende Verdacht, dass sie einen Diebstahl begangen hat.

«Wir arbeiten an einem Leitfaden über die Abwicklung von Kundendiebstahl», sagt Barbara Imwinkelried, Geschäftsführerin des Warenhausverbands. «Das Personal soll den Kunden freundlich und diskret ansprechen und ihn in einen separaten Raum führen. Dort wird er nach den Personalien gefragt und gebeten, seine Tasche zu zeigen.»

Wichtig zu wissen: Weder der Detektiv noch das Personal dürfen Untersuchungshandlungen gegen den Willen des Kunden oder der Kundin vornehmen. Wer die Tasche nicht freiwillig öffnen oder die Personalien nicht bekanntgeben will, muss dies erst der Polizei gegenüber tun.

Ladendiebstahl ist ein Verbrechen und wird von Amts wegen verfolgt, wenn der Sachwert des gestohlenen Gegenstands mehr als 300 Franken beträgt. Als Strafe droht Zuchthaus bis zu fünf Jahren oder Gefängnis. Wer gewerbsmässig oder als Mitglied einer Bande stiehlt, eine Waffe mit sich führt oder besonders aggressiv handelt, kann sogar mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren bestraft werden.

Wenn der Wert des Diebesguts weniger als 300 Franken beträgt, muss der Geschädigte innerhalb von drei Monaten Strafantrag stellen, damit es zum Strafverfahren kommt. Der Täter wird mit Haft oder Busse bestraft.
Die Warenhäuser erstatten jedoch nicht immer Strafanzeige. Gemäss einer internen Weisung der Migros sind die Deliktsumme und das Verhalten des Täters ausschlaggebend. Die Coop meldet den Vorfall der Polizei, sobald der Warenwert 100 Franken übersteigt – immer jedoch bei Wiederholungstätern oder Dieben, die gewalttätig werden.

Ein weiterer heikler Punkt, der oft hitzige Diskussionen auslöst, ist die Umtriebsentschädigung. Die gestohlenen Trauben kosten nur vier Franken – doch das Geschäft fordert zusätzlich eine Entschädigung von 150 Franken für die entstandenen Umtriebe.

Dieser zivilrechtliche Anspruch auf Schadenersatz entsteht unabhängig von einem Strafverfahren. Voraussetzung ist jedoch, dass das Geschäft den entstandenen Schaden beweisen kann – und das ist oft schwierig.

Firmen dürfen nicht drohen
Fixe Regeln über die Höhe einer Umtriebsentschädigung gibt es nicht. Ein Experte hält 150 Franken für die oberste Grenze. Die Migros verlangt eine Umtriebsentschädigung von 100 Franken, Coop nennt Beträge von 100 bis 150 Franken. Bei Kindern und Jugendlichen liegt der Betrag tiefer.

Der Beobachter kennt allerdings eine ganze Reihe von Fällen, in denen Geschäfte bedeutend höhere Beträge geltend machten. Da kann es sinnvoll sein, den Nachweis des Schadens zu verlangen.

Wichtig ist: Das geschädigte Unternehmen darf nicht damit drohen, es werde einen Strafantrag wegen Diebstahls einreichen, falls die Umtriebsentschädigung nicht bezahlt wird. Dies wäre Nötigung und ist strafbar.

Diese Strafen blühen «kleinen» Dieben

Kinder unter sieben Jahren fallen nicht unter das Strafgesetz und können deshalb auch nicht verurteilt werden. Ist der Täter jedoch zwischen sieben und 18 Jahre alt, gelten die Bestimmungen des Jugendstrafrechts.

Die Strafen

  • Bei Kindern zwischen sieben und 15 Jahren sind folgende Disziplinarstrafen vorgesehen: ein Verweis durch die Behörde oder die Verpflichtung zu einer Arbeitsleistung. Bei Bedarf können die Behörden statt dessen auch eine erzieherische Massnahme anordnen.

  • Eine Busse hat das Kind nicht zu befürchten. Unter Umständen muss es jedoch die Umtriebsentschädigung bezahlen.

  • Jugendliche zwischen 15 und 18 Jahren können statt mit Disziplinarstrafen auch mit Busse oder Einschliessung in einem Erziehungsheim bestraft werden.


Der Schadenersatz
Eine Strafe trifft das Kind persönlich. Aber wer kommt finanziell für den durch den Ladendiebstahl entstandenen Schaden auf?

  • Wird ein Kind beim Stehlen erwischt, haften die Eltern. Sie müssen auch die Umtriebsentschädigung bezahlen. Einzig wenn die Eltern nachweisen können, dass sie das Kind mit der gebotenen Sorgfalt beaufsichtigt haben, sind sie nicht zur Zahlung verpflichtet.

  • Ein jugendlicher Täter, der zwar noch nicht 18 Jahre alt, aber bereits urteilsfähig ist und das Verwerfliche seiner Tat erkennen kann, ist schadenersatzpflichtig. Er muss auch die Umtriebsentschädigung aus der eigenen Tasche bezahlen.