Die Zahnklinik «Am Aeschenplatz» residiert pompös am Sitz der alten Börse an der Basler Dufourstrasse. Im Innern gibt es viel Marmor, Messinghandläufe, eine Wand hängt voller Diplome. Inhaber und alleiniger Verwaltungsrat der Klinik ist der Zahnarzt Daniel Marschall, der gleichzeitig in Aarau eine grosse Dentalhygiene- und Zahnärztegemeinschaft führt.

Auf den ersten Blick scheint alles in bester Ordnung zu sein. Doch hinter den sauberen Fassaden der beiden Zahnarztpraxen herrschen gravierende Missstände, auf die der Beobachter durch Patienten aufmerksam gemacht wurde. Auch ehemals bei Marschall angestellte Zahnärzte beklagen sich, sie seien um ihren Lohn geprellt worden. Und Patienten werden nicht nur von ungeschultem Personal behandelt, sondern obendrein mit manipulierten Abrechnungen über den Tisch gezogen.

Die Zahnarztpraxen sind weitherum bekannt: Marschall macht für Implantate und eine «revolutionäre Methode» aggressiv Werbung in Zeitungen und am Fernsehen. Öffnungszeiten bis Mitternacht und ein Notfalldienst locken zusätzliche Patienten an. Laut eigenen Angaben wurden in den beiden Kliniken bisher über 20’000 Patienten behandelt. Mehr als ein Dutzend Zahnärzte arbeiten dort.

Im Mittelpunkt jedoch steht der 49-jährige Marschall, der die Fäden in der Hand hat. Regelmässig, so bestätigen zuverlässige Quellen, legen Dentalassistentinnen auf Geheiss von Marschall Füllungen. Dabei handle es sich bestenfalls um «Bastelarbeiten». Denn die jungen Frauen lernen dies in ihrer dreijährigen Ausbildung nicht. Füllungen sind ausschliesslich Sache des Zahnarztes.

Doch die Assistentinnen bearbeiten die Zähne der Patienten im Auftrag von Marschall gar mit der Schleifmaschine, ebenfalls ohne dies zuvor je gelernt zu haben. Sie tun dies unbeaufsichtigt. «Marschall überwacht sie nicht», sagt ein ehemaliger Mitarbeiter, der wie alle anderen aus Angst vor Repressionen anonym bleiben will. Die Assistentinnen seien auf sich allein gestellt. «Sie müssen am Patienten arbeiten und drücken die Füllung irgendwie in den Zahn.»

Nicht genug: Die Assistentinnen entfernen bei Patienten auch regelmässig Zahnstein und machen sich mit Instrumenten unter dem Zahnfleisch zu schaffen, teils sogar unter Lokalanästhesie. Dabei überschreiten sie bei weitem ihre fachlichen Kompetenzen: Den Assistentinnen fehlt die dreijährige Ausbildung zur Dentalhygienikerin an einer höheren Fachschule. Sie dürften solche Arbeiten gar nicht ausführen. In Marschalls Auftrag jedoch erledigen dies manche Assistentinnen ohne Vorkenntnisse.

Ein klarer Verstoss gegen das Gesetz. Gemäss der Basler Zahnärzteverordnung dürfen Zahnärzte weder veranlassen noch dulden, dass Unbefugte zahnärztliche Handlungen vornehmen. Und die Verordnung über die Zahnärzte des Kantons Aargau sagt klar: Ausser dem Zahnarzt und der Dentalhygienikerin ist «allen anderen Personen, auch den Zahntechnikern und Zahnprothetikern, jede Tätigkeit im Munde des Patienten (…) untersagt». Möglicherweise liege zudem eine strafbare Körperverletzung vor, sagt Alexander Weber, Jurist bei der Schweizerischen Zahnärztegesellschaft (SSO). «Wenn zudem ein Notfall eintritt, sind Patienten durch eine Assistentin ungenügend versorgt.»

Vom Beobachter darauf angesprochen, weist Marschall die Vorwürfe zurück. «Die Behauptung ist falsch, dass Dentalassistentinnen in meinem Auftrag unbeaufsichtigt Füllungen legen und die Zähne mit der Schleifmaschine bearbeiten.» Auch Zahnstein würden die Assistentinnen nicht entfernen. «Wir haben dafür spezifisch ausgebildete Prophylaxeassistentinnen.» Doch eine der jungen Assistentinnen sagt: «Ich weiss, dass ich zu weit gegangen bin. Eigentlich hätte ich mich wehren sollen.» Doch wer nicht spure, riskiere den Job. Es herrsche ein Klima der Angst.

Die Sache mit den Rechnungen
Die weitere Recherche zeigt: Die Patienten werden nicht nur gesetzwidrig behandelt. Es besteht der Verdacht, dass sie obendrein auch noch abgezockt werden. Dem Beobachter liegen mehrere Rechnungen der Aarauer Praxis vor, die belegen: Patienten wird der teurere Tarif einer Dentalhygienikerin verrechnet, obwohl eine Assistentin gearbeitet hat. Und als wärs nicht genug, werden zusätzlich Eingriffe auf die Rechnung gesetzt, die ein Zahnarzt ausgeführt haben soll - die aber in Tat und Wahrheit gar nicht stattgefunden haben. Betroffene Patienten bestätigen: Bei der Behandlung war weder Marschall noch einer der anderen Zahnärzte anwesend.

Die meisten Geprellten merken davon nichts: Auf den Rechnungen stehen bloss Zahlen wie 4100, 4107 und 4126. Nur Fachleute wissen, dass es sich hierbei um Tarifpositionen für Arbeiten eines Zahnarztes handelt. Bei über 150 Franken zu viel pro Rechnung läppern sich da hohe Beträge zusammen - die in zwei Fällen sogar die Zusatzversicherung einer Krankenkasse bezahlt hat. Der Beobachter legte die Rechnungen SSO-Jurist Alexander Weber vor. «Diese Rechnungen sind offensichtlich irreführend und auf Täuschung des Patienten ausgelegt. Damit wird beim Patienten der Eindruck erweckt, dass sich die Rechnung an die üblichen Formen einer Zahnarztrechnung hält», sagt Weber. Dieses Vorgehen diene primär «dem eigenen finanziellen Vorteil des Zahnarztes».

Und Daniel Jositsch, Professor am Rechtswissenschaftlichen Institut der Universität Zürich, sagt dazu, ein arglistiges Vorspiegeln falscher Tatsachen erfülle möglicherweise sogar den Tatbestand des Betrugs. «Dies müsste im vorliegenden Fall geprüft werden» - insbesondere, wenn Krankenkassen involviert seien. Jositsch: «Auch sie gehen davon aus, dass ein Zahnarzt die Behandlung vorgenommen hat.»

Marschall sagt, er weise die Vorwürfe «vehement» zurück. Er sei nicht Mitglied der Zahnärztegesellschaft und daher nicht verpflichtet, die Tarife der Gesellschaft einzuhalten. Was die Preise angehe, sei er «total frei» und würde «in Abhängigkeit der Zeit» abrechnen. SSO-Jurist Alexander Weber entgegnet: «Wenn er nach Zeit abrechnet, ist die Verwendung von Tarifpositionen falsch.»

Jetzt ist die Staatsanwaltschaft am Zug, die von Amtes wegen ermitteln muss. Bis allenfalls eine Verurteilung erfolgt, gilt für Marschall die Unschuldsvermutung.

Streit um den Lohn
Erfahrungen mit Gerichten hat Marschall schon gemacht: Im Jahr 2000 eröffnete er in Aarau die Dentalhygiene- und Zahnärztegemeinschaft, agierte jedoch im Hintergrund. Als Geschäftsführerin - und somit als verantwortliche Zahnärztin den Behörden gegenüber - stellte er Rosa Lunato (Name geändert) ein. Das sollte Lunato zum Verhängnis werden, wie Gerichtsdokumente zeigen: Eine Woche nachdem sie im September 2002 aus den Ferien zurückgekommen war, erschienen die Fremdenpolizei und Vertreter des Aargauer Gesundheitsdepartements in der Praxis: Marschall hatte während Lunatos Abwesenheit einen deutschen Assistenzarzt arbeiten lassen, ohne behördliche Bewilligung - und ohne dass Lunato etwas davon wusste.

Die strafrechtlichen Konsequenzen musste Geschäftsführerin Rosa Lunato tragen: Sie wurde wegen der illegalen Anstellung zu einer Busse von 500 Franken verurteilt. Der deutsche Zahnarzt wurde mit einer Busse von 400 Franken bedacht. Fein raus dagegen war Marschall, der heute behauptet, diese Sache habe zu ihm «keinen Bezug». Weil er auf Mauritius weile und keine Akten zur Hand habe, könne er sich nicht genau erinnern. Es sei aber «von Beginn weg» eine Bewilligung vorgelegen, «eine zweite wurde innert weniger Tage nachgereicht».

Lunato kündigte, musste sich in der Folge aber rückwirkend Lohn erstreiten, den Marschall nicht ausbezahlen wollte. Schliesslich erhielt sie in einem Vergleich 30’000 von geforderten 48’000 Franken.

Angriff mit dem Pfefferspray
Kein Einzelfall: Der Zahnarzt steht seit rund sechs Jahren im Dauerstreit mit ehemaligen Angestellten, die bis vor Gericht um Löhne kämpfen müssen. Dokumente zeigen, dass Marschall Pensionskassengelder zurückbehielt. Und Zahnärzte bekamen zwar die vertraglich vereinbarten Löhne überwiesen, nicht aber die versprochene Umsatzbeteiligung in Höhe von Zehntausenden von Franken. «Bis heute habe ich keinen Rappen erhalten», beklagt sich ein Zahnarzt. «Es fehlen Abrechnungen, die zeigen, wie sich der Lohn effektiv zusammensetzt», sagt der Anwalt eines anderen Zahnarztes. Marschall behauptet, dies sei falsch. «Es ist richtig, dass darüber verhandelt werden musste, ob Mitarbeitern Lohn noch zusteht, und ein Gericht darüber entscheiden musste.» In seltenen Fällen habe über Inhalte von Arbeitszeugnissen verhandelt werden müssen.

Dass nicht alle Verhandlungen so ruhig über die Bühne gingen, wie Marschall das glauben machen möchte, zeigt ein Vorfall vom 18. Dezember letzten Jahres: Zahnarzt Dirk A. (Name der Redaktion bekannt) stürmte in die Aarauer Praxis und schlug eine Dentalassistentin spitalreif. Sie musste schwer verletzt hospitalisiert werden. Eine Woche später tauchte Dirk A. wieder auf - diesmal mit einem Pfefferspray bewaffnet - und griff Marschall an. Marschall hatte Dirk A. laut gut informierten Kreisen während Wochen abgeblockt: Dentalassistentinnen hatten von Marschall schriftlich die Anweisung erhalten, das Telefon aufzuhängen, wenn Dirk A. anrufe. Beim Streit soll es auch um Lohnforderungen gegangen sein. Marschall bestreitet dies. «Das Arbeitsverhältnis mit Dirk A. musste aus anderen Gründen aufgelöst werden.» Beim Pfefferspray-Angriff kam Marschall mit leichten Blessuren davon.