Anwälten muss man vertrauen können. Man erzählt ihnen intime Details aus dem Leben, von ihrer Arbeit hängt viel Geld ab oder gar ein Schicksal. Deshalb sollten unseriöse oder unfähige Anwälte nicht mehr praktizieren dürfen.

Doch weit gefehlt. Selbst Anwälte, die das Geld ihrer Klienten einsacken, gegen das Gesetz und wiederholt und schwer gegen die Anwaltspflichten verstossen, werden nicht aus dem Verkehr gezogen. Grund dafür sind die laschen Aufsichtsbehörden und der Kantönligeist.

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Zum Beispiel Rechtsanwalt Martin O. Huber aus Uster. Er verlangte von einem Klienten einen Kostenvorschuss von 20000 Franken. Nachdem Huber den Prozess seines Klienten gewonnen hatte, strich er auch die Prozessentschädigung von 4300 Franken sowie die erstrittene Forderung von rund 8500 Franken ein. Das wollte der Klient nicht akzeptieren. Er forderte vom Fürsprecher das überschüssige Geld sowie eine detaillierte Abrechnung seines Aufwands. Huber blieb sie schuldig – trotz einer richterlichen Intervention.

Ein weiterer Fall: Jurist Huber stellte in seiner Kanzlei eine arbeitslose Frau ein. Den Lohn von 1300 Franken bezahlte er ihr jeden Monat bar aus. Quittieren liess er sich jedoch eine Summe von 2400 Franken. So betrog er die Arbeitslosenkasse, die ihm zu hohe Einarbeitungszuschüsse auszahlte. Er wurde deswegen wegen Urkundenfälschung und Betrugs verurteilt.

«Ohne Anzeichen von Reue»
Damit nicht genug. 1998 schmuggelte Martin O. Huber einem Mandanten ein Mobiltelefon ins Gefängnis, obwohl er wusste, dass sein Klient damit Beweise vertuschen konnte. Huber wurde wegen Begünstigung verurteilt. Zudem fing er mit der 17-jährigen Freundin seines Mandanten ein Verhältnis an und zeigte ihr geheime Untersuchungsakten.

Erst im Jahr 2002 schritt die Zürcher Aufsichtskommission über die Rechtsanwälte gegen den 42-Jährigen ein. Sie entzog ihm für ein Jahr das Patent. Gemäss Aufsichtskommission verstiess er in «krasser Nachlässigkeit» und ohne «Anzeichen von Reue und Einsicht» wiederholt gegen das Gesetz und die Pflichten eines Anwalts.

Weshalb wurde ihm das Patent nicht für immer entzogen? Weil das in der Regel erst nach einer Warnung verfügt werden dürfe, so die Aufsichtskommission. Bald wird er wieder praktizieren dürfen. Ob das einjährige Berufsverbot bei Huber einen Wandel bewirkt hat, konnte der Beobachter nicht in Erfahrung bringen: Huber nahm trotz mehreren Anrufen und Fax keine Stellung.

Huber ist kein Einzelfall. Roland Ilg, Dr. iur., Rechtsanwalt, 64, fiel bereits vor 16 Jahren dadurch auf, dass er 300 Franken für Asylgesuche kassierte, die nur aus einem Blatt Papier mit rudimentärsten Angaben bestanden. Die Gesuche waren chancenlos. Zwischen 1990 und 2000 gab es gegen Ilg unter anderem wegen unzureichender Beratung, Missachtung der Abrechnungspflicht und Verfechtung aussichtsloser Standpunkte 18 Disziplinarverfahren, von denen drei mit Bussen zwischen 300 und 1000 Franken endeten.

Doch wieder griffen die Aufsichtsbehören nicht durch. Ein Patententzug sei nicht verhältnismässig, befand das Zürcher Obergericht im Jahr 2000, da andere disziplinarrechtliche Mittel noch nicht ausgeschöpft seien. Ilg wurde wieder bloss gebüsst. «Wir sind erstaunt, wie viel es braucht, bis einem Rechtsanwalt das Patent entzogen wird», sagt Jürg Schertenleib, Leiter des Rechtsdiensts der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH).

Roland Ilg ist nach wie vor im Anwaltsregister eingetragen, aber nicht mehr im Asyl- und Ausländerrecht tätig. Das übernimmt sein Sohn Martin Ilg – selber nicht Rechtsanwalt, aber Rechtsberater an der gleichen Adresse wie sein Vater. Gegen Ilg junior läuft ein Strafverfahren wegen Urkundenfälschung. Auch seine Praktiken sind in Asylkreisen seit langem bekannt. «Seine Eingaben sind sehr schlecht. Er verdient sein Geld mit den falschen Hoffnungen der Ausländerinnen und Ausländer», kritisiert SFH-Jurist Schertenleib. Dagegen verwahrt sich Martin Ilg vehement: «In der ganzen Welt geht es um Hoffnungen. Die Leute kommen freiwillig zu mir, und ich behandle ihre Fälle nach bestem Wissen und Gewissen.»

Oder Trix Ebeling-Stanek. Die 48-jährige Rechtsanwältin wurde im November 2002 vom Zürcher Obergericht wegen Betrugs verurteilt. Sie hat den Entscheid weitergezogen. So paradox es tönt: Von diesem Strafverfahren profitiert Ebeling-Stanek, denn so lange es läuft, entscheidet die Aufsichtskommission nicht, ob ihr das Patent entzogen wird. Das Disziplinarverfahren, das seit Mitte der neunziger Jahre gegen sie hängig ist, bleibt sistiert.

Zwei Sorten Anwälte
Das ist gängige Praxis. Daran ändert laut der juristischen Sekretärin der Zürcher Aufsichtskommission nichts, dass Ebeling seit Sommer 2002 rechtskräftig konkurs ist. Trix Ebeling-Stanek kann das alles egal sein. Sie ist vom Kanton Zürich in den Aargau umgezogen. Dort kann sie weiterpraktizieren, auch wenn sie rechtskräftig verurteilt würde und obwohl sie konkurs ist – sofern sie nur beratend tätig ist und nicht vor Gericht auftritt. Im Unterschied zum Kanton Zürich unterstehen im Aargau Anwälte, die nur beratend tätig sind, keiner Aufsicht. Hat ihr Umzug mit dem drohenden Patententzug zu tun? «Nein», sagt Ebeling, «ich wollte aufs Land.»

Mirko Rosˇ, Präsident des Zürcher Anwaltsverbands, sieht es als «schweren Mangel des neuen eidgenössischen Anwaltsgesetzes, dass es nur jene Anwälte der staatlichen Aufsicht unterstellt, die vor Gericht auftreten». Dies führe dazu, dass in gewissen Kantonen zwei Kategorien von Anwälten entstehen: solche, die einer staatlichen Aufsicht unterstehen, und solche, die nicht beaufsichtigt werden. «Wie soll sich da ein Konsument orientieren können?» Darum fordert er eine Aufsicht für ausnahmslos alle Anwälte, die gegenüber Dritten Dienstleistungen erbringen.

Wohl nicht zuletzt darum hat Mirko Rosˇ eine Imagekampagne für Anwälte mitlanciert. In Zürich und in Winterthur werben die Anwälte mit grossen Plakaten um neue Kunden. Der Slogan lautet: «Kommen Sie lieber, bevor Sie müssen.»