Zwei Jahre lang hat Musa Ramadani geschuftet von früh bis spät. Sechs Tage die Woche, Ferien gab es nicht. Seine zwei Kinder sollten es einmal besser haben als er. Nachts lag er wach, dachte an Termine, Bestellungen oder Probleme, bis um fünf Uhr der Wecker ging. «Diese Baustelle war immer in meinem Kopf.»

Heute steht Ramadani mit seiner kleinen Plättlilegerfirma Gogi Keramik vor dem Konkurs. Ein Auftrag des Amriswiler Generalunternehmers Nemesis Bau hat ihm das Genick gebrochen. Seiner Firma fehlt ein sechsstelliger Betrag in der Projektbuchhaltung. «Die offengebliebenen Rechnungen sind sehr viel Geld für mich.» Jede Stunde könne er belegen, für jede erbrachte Leistung habe er Papiere. «Wenn die Arbeit gemacht worden ist, muss sie doch auch bezahlt werden, oder nicht?»

Als Geschäftsführer der Nemesis Bau im Handelsregister eingetragen ist der Rechtsanwalt und Amriswiler CVP-Stadtrat André Schlatter. Er bestreitet die offenen Rechnungen: «Mit Herrn Ramadani fanden mehrere Besprechungen statt, an denen ihm die fehlerhafte Rechnungsstellung erläutert wurde», sagt Schlatter.

Der St. Galler Anwalt geriet im letzten Frühling als Opfer einer mysteriösen Entführung in die Schlagzeilen. Zwei Männer lauerten ihm in einer Tiefgarage in St. Gallen auf und verschleppten ihn in seinem Wagen nach Deutschland. Dort liessen sie ihn frei. Schlatter betonte, seine Entführung habe nichts mit seinen Mandaten oder seiner beruflichen Tätigkeit zu tun. Die mutmasslichen Täter sind gefasst. Anfang September hat die Staatsanwaltschaft im bayrischen Hof Anklage gegen zwei Tschechen im Alter von 22 und 24 Jahren erhoben.

Ramadani hat für die Nemesis Bau bei der Wohnüberbauung Nemesis in Romanshorn TG Plattenlegerarbeiten ausgeführt. Er ist nicht der Einzige, der gegenüber der Nemesis Forderungen geltend macht: Ein Betreibungsregisterauszug der Nemesis Bau vom Mai dieses Jahres weist offene Positionen von verschiedenen Handwerksbetrieben über 1,3 Millionen Franken aus.

Der Bauunternehmer fühlt sich im Recht

«Die Gesellschaft hat die Rechnungsforderungen sämtlicher Handwerker geprüft und das bezahlt, was vertraglich vereinbart und geleistet worden ist», sagt Schlatter. Er gehe im Gegenteil davon aus, dass die Ansprüche der Nemesis an verschiedene Handwerker wegen mangelhafter Vertragserfüllung, Planungsfehlern oder Vertragsverletzungen die betriebenen Forderungen übersteigen.

Die beteiligten Handwerker erzählen: «Eine derart chaotische Baustelle habe ich noch nie erlebt», sagt einer. «Stromer, Maler und Gipser waren alle gleichzeitig auf der Baustelle. Wenn ich einen Auftrag nicht ausführte, weil die Vorbereitungsarbeiten nicht abgeschlossen waren, stand am nächsten Tag einer von einer anderen Firma da, der den Job machte», schildert ein anderer seine Erfahrungen.

«Ein Wahnsinns-Pfuschbau»

Das Chaos auf der Baustelle hatte Folgen, etwa für die Familie Schmidt*, die vor drei Jahren eine Wohnung in der Überbauung gekauft hat. Wenn Besuch kommt, muss Friedrich Schmidt* regelmässig vor der Stolpergefahr auf der Treppe zum Obergeschoss warnen. Die Höhe der Stufen variiert nämlich zwischen 15 und 23 Zentimetern. Der obere Raum der Maisonettewohnung ist nur in der Zwischensaison benutzbar. Im Sommer wird es bis zu 37 Grad heiss, weil sich die elektrischen Storen nicht herunterfahren lassen. Die Zuleitungen für den Strom gingen vergessen, Schalter für Storen und Markise sucht man vergebens. Im Arbeitszimmer ist die Wärmedämmung unzureichend, im Winter lässt sich der Raum nicht über zehn Grad heizen. Der Ventilator im Gäste-WC funktioniert nur temporär. Dafür tropft er. Schmidt: «Wenn wir verreisen, stellen wir einen Eimer hin» – um das eindringende Regenwasser aufzufangen. «Es ist ein Wahnsinns-Pfuschbau», so sein Fazit.

Nemesis-Geschäftsführer Schlatter macht geltend, Schmidts hätten Mehrleistungen im Wert von 73'000 Franken bestellt und erhalten, für die sie nicht bezahlt hätten. Die Nemesis habe angeboten, die anerkannten Mängel nach Zahlung des ausstehenden Betrags auf ein Sperrkonto zu beheben, wenn Zahlungen im Umfang der Mängelbehebung schrittweise erfolgten. «Der Eigentümer ist auf dieses mehrfach geäusserte Angebot nicht eingegangen und hat einfach nicht reagiert. Da Herr Schmidt gegenüber den Handwerkern ein Betretungsverbot für seine Attikawohnung ausgesprochen hat, hat man die Arbeiten eingestellt», sagt Schlatter.

Über 150 Mängel

Die Schmidts sind nicht die einzigen unzufriedenen Käufer. «Bei der Abnahme unserer Wohnung wurden mehr als 150 Mängel festgestellt», sagt Jürg Meier*. Wände sind nicht im Lot, das Flachdach ist nicht dicht, verschiedene Leitungen fehlen. Schon die Bauzeit sei sehr nervenaufreibend gewesen, Termine seien nicht eingehalten worden. «Eine solche Wohnung wollten wir nicht. Wir sind vom Vertrag zurückgetreten und haben uns den vollen Kaufpreis erstatten lassen», sagt Meier.

Auch Markus Maerchy ist mit seiner Wohnung unzufrieden. Im Wohnzimmer sei die Decke wellig, eine Wasserleitung ende mitten im Keller, bei allen Fenstern seien die Sturzabschlüsse unsachgemäss ausgeführt. Total 25 Mängel listet Maerchys Anwalt in seiner Eingabe ans Gericht auf.

Acht Nemesis-Wohnungskäufer haben sich zusammengetan und gehen gerichtlich gegen die Nemesis Bau vor. Die Rechtsschrift umfasst eine lange Liste weiterer Mängel. Unsachgemäss ausgeführte Dachfugen führen zu Wassereintritten bei Starkregen und Schimmel, die Geräuschdämmung ist unzureichend, man hört die Badezimmergeräusche der Nachbarn, sämtliche Maler- und Verputzarbeiten seien mangelhaft und unsachgemäss ausgeführt.

Kein Geld für einen Prozess

«Die behaupteten Mängel sind Gegenstand eines Verfahrens um vorsorgliche Beweisaufnahme. Soweit Mängel anerkannt wurden, wurden diese, ausser bei Familie Schmidt, auch behoben. Wassereintritte bei Starkregen gab es in dieser Baureihe nicht. Die Dämmungen entsprechen den Vorgaben, die der Ingenieur im Voraus berechnete. Maler- und Verputzarbeiten wurden fachgerecht ausgeführt und von den meisten dieser Eigentümer auch abgenommen», sagt Schlatter. Ob dies zutrifft, wird wohl ein Gericht entscheiden müssen.

Auch mit einigen Handwerkern gibt es gerichtliche Auseinandersetzungen. Musa Ramadani gehört nicht dazu. Für einen Prozess fehlt ihm das Geld. «Ich muss jetzt schauen, wie ich weitermache», sagt er. Er möchte trotz drohendem Konkurs auf keinen Fall jemandem Geld schuldig bleiben. Mit der Steuerbehörde habe er bereits eine Ratenzahlung vereinbaren können.

*Name geändert