Wer schlägt, der geht!
Bei gewalttätigen Übergriffen in den eigenen vier Wänden lautet in einzelnen Kantonen bereits heute die Devise: Nicht das Opfer muss gehen, sondern der Täter. Mitte 2007 tritt das so genannte Wegweisungsrecht schweizweit in Kraft. Wird endlich alles gut?
Veröffentlicht am 12. März 2007 - 09:18 Uhr
Alle zwölf Tage ereignet sich in der Schweiz ein «Familiendrama», wie die Medien jeweils titeln: Von 2000 bis 2004 starben jährlich im Schnitt 21 Frauen, vier Männer und sechs Kinder unter 14 Jahren an den Folgen häuslicher Gewalt. Die einzige gesamtschweizerische Untersuchung von 1997 ging gar davon aus, dass jede fünfte Frau in der Schweiz mindestens einmal in ihrem Leben körperliche oder sexuelle Gewalt durch ihren Partner erlebt. Berücksichtigt man auch die psychische Gewalt, sind es rund 40 Prozent.
Auch Rosmarie Weber (Name geändert) hat jahrelang Gewalt durch ihren Ehemann erlitten - erst seelische, zum Schluss auch körperliche. «Ich bin eine gesellige und gesprächige Person», sagt sie von sich. Ihr Mann hingegen hat ihr gegenüber in den letzten Jahren meist eisern geschwiegen, im besten Fall eine Frage mal mit Ja, meist aber mit Nein beantwortet. «Er hat das aus Rache gemacht. Er wusste, dass Reden für mich sehr wichtig ist», sagt Weber. Ihr Leben war ein Alleingang. Als sie sich von ihrem Mann trennen wollte und anfing, sich für die Finanzen zu interessieren, rastete er aus und würgte sie. Aufgeschreckt durch sein lautes Toben und die Morddrohungen, alarmierten Nachbarn die Polizei. Er wurde für zehn Tage aus dem Haus gewiesen.
Weber hat Glück - sie lebt im Kanton St. Gallen. Dort wie auch in Appenzell Ausserrhoden wurde bereits 2003 ein so genannter Wegweisungsartikel im Polizeigesetz verankert. Weitere Kantone folgten. Seither gilt dort: Nicht das Opfer muss gehen, sondern der Täter. Die Erfahrungen damit sind durchwegs positiv.
Viele Fälle landen nie vor Gericht
«Eine Wegweisung schafft für Opfer und Täter ein Zeitfenster und Distanz», sagt Ariane Rufino von der Interventionsstelle gegen häusliche Gewalt Basel-Landschaft. «So können sie, unterstützt von Beratungsstellen, ihre Situation beurteilen.» Ausserdem wird dem Täter mit einer Wegweisung deutlich vermittelt, dass auch im Privatraum keine Gewalt toleriert wird. Und: Wenn früh eingegriffen wird, sinkt das Risiko, dass es zu jahrelangen Misshandlungen kommt.
Das so genannte Wegweisungsrecht ist bislang erst in gut der Hälfte aller Kantone Realität. Doch dies wird sich bald ändern: Per 1. Juli 2007 tritt es schweizweit in Kraft. Ab dann kann das Zivilgericht zum Schutz gegen Gewalt, Drohungen oder Nachstellungen beispielsweise ein Annäherungs-, Quartier- oder Kontaktverbot aussprechen oder eben eine Person für bestimmte Zeit aus der Wohnung oder dem Haus weisen.
Damit wird nochmals ein entscheidender Schritt zum Schutz von Opfern häuslicher Gewalt getan. In den letzten Jahren wurde bereits viel in diese Richtung unternommen, so etwa auf den 1. April 2004 das Strafgesetz verschärft. Seither werden Gewaltdelikte in Ehe und Partnerschaft von Amts wegen verfolgt. Die Polizei hat nicht mehr nur zu vermitteln, sondern die Gewalt zu stoppen und Straftaten aufzuklären. Dabei gilt: Null Toleranz. Die Zahl der Strafverfahren wegen häuslicher Gewalt hat sich seither beispielsweise im Kanton Baselland fast verdoppelt.
Allerdings haben die Opfer die Möglichkeit, das Verfahren gegen die «schlechtere Hälfte» einstellen zu lassen. Und das tun sie auch oft: Die Mehrheit der polizeilich erfassten Fälle landet gar nie vor Gericht. Auch Rosmarie Weber hat das Verfahren gegen ihren Mann einstellen lassen. «An sich würde ihm ein Denkzettel verpasst gehören», sagt sie. Anderseits möchte sie nicht, dass sich seine Wut über eine Verurteilung auf das Scheidungsverfahren überträgt oder er als Vorbestrafter gar seine Stelle als Staatsangestellter verliert.
Die polizeiliche Wegweisung für wenige Tage kann mit einem gerichtlichen Gesuch um Schutzmassnahmen verlängert werden. Und dann kann verlangt werden, dass man die Wohnung auch weiterhin allein benützen darf. Dies wird jedoch kaum gemacht. «Es sieht ganz so aus, als ob die Zeit genutzt wird, nach einer ersten ‹Warnung› an den Täter eine Fortsetzung der Beziehung zu wagen», so Rufino. Wenn sich jemand nicht schon vorher mit einer Trennung befasst hat, ist ihrer Ansicht nach die Zeit bei einer polizeilichen Wegweisung wohl häufig auch zu kurz.
Wegweisung allein genügt nicht
Das demnächst in Kraft tretende schweizerische Wegweisungsrecht bietet hier einen längerfristigen Schutz. Ist er für die Opfer häuslicher Gewalt endlich auch genügend? «Die Gesetzgebung ist bald den neuen Erfordernissen angepasst», erklärt Ariane Rufino. «Nun gilt es jedoch, in der praktischen Umsetzung genau hinzusehen.»
So steht fest: Wegweisung allein genügt nicht. Es braucht zusätzlich ein professionelles Beratungs- und Hilfsangebot, und zwar sowohl für Täter wie Opfer. «Am besten ist es, wenn die Polizei die Daten von Opfer und Täter an die Beratungsstellen weitergeben kann und diese den Auftrag haben, mit den Betroffenen Kontakt aufzunehmen und Beratung anzubieten», ist Rufino überzeugt.
Und ein letzter Wermutstropfen: Per 1. Januar 2007 wurde das Strafensystem im Gesetz geändert. Seither werden im Bereich häuslicher Gewalt primär Geldstrafen und Bussen ausgesprochen. «Ob diese Sanktionen wirklich Sinn machen, muss sich erst noch zeigen», erklärt Caroline Horny, Staatsanwältin in Baselland. «Denn die Gefahr, dass Geldstrafen und Bussen zulasten des gemeinsamen Haushalts und somit auch des Opfers gehen, ist gross.»
Reagieren statt ignorieren
Was kann ich als Opfer tun?
- Rufen Sie die Polizei, wenn Sie sich bedroht fühlen.
- Wenden Sie sich an eine Beratungsstelle oder ein Frauenhaus, wenn Sie ein Gespräch oder Unterstützung brauchen.
- Weihen Sie eine Person ein, zu der Sie Vertrauen haben. Eventuell können Sie sie im Notfall zu Hilfe rufen.
- Schützen Sie Ihre persönlichen Sachen wie Pass, ID oder Bankdokumente und bringen Sie sie an einen sicheren Ort.
- Wenn Sie die gemeinsame Wohnung verlassen wollen, bereiten Sie dies gut vor. Packen Sie alles ein, was Sie brauchen. Klären Sie ab, wohin Sie gehen können.
- Beim zuständigen Gericht in Ihrer Region können Sie Schutzmassnahmen verlangen.
Was kann ich als Aussenstehender tun?
- Rufen Sie bei akuten Notsituationen die Polizei. Wenn es nötig ist, sich direkt einzumischen, holen Sie sich Unterstützung. Achten Sie auf Ihre eigene Sicherheit.
- Sprechen Sie das Opfer an, wenn Sie es allein antreffen. Bieten Sie persönliche Hilfe an oder sagen Sie, wo das Opfer Beratung und Unterstützung finden kann.
- Kennen Sie jemanden, der gewalttätig ist, stellen Sie sein Verhalten in Frage, ohne zu verurteilen. Weisen Sie auf Hilfsangebote hin.