Das ganze Jahr über feierten die Franzosen das 120-Jahr-Jubiläum des Eiffelturms. Das 324 Meter hohe Pariser Wahrzeichen wurde zum Jahrestag am 5. Mai neu gestrichen und beleuchtet. Die Ausstellung «Gustave Eiffel – Le Magicien du Fer» im Pariser Rathaus ehrte den Erbauer für sein «Hauptwerk», und die Eiffelturm-Gesellschaft zeigt im Turm Objekte, Fotos und Filme aus der Baugeschichte.

Die Idee zum Bauwerk aber hatte damals nicht Gustave Eiffel, sondern der Ingenieur Maurice Koechlin (1856–1946). In der offiziellen Darstellung wird er nur am Rande erwähnt. «Es ist den Franzosen peinlich, dass der Erfinder kein Franzose, sondern Schweizer war», sagt René Koechlin. Der 76-jährige Genfer Architekt und Grossneffe von Maurice Koechlin führt zwar keinen Kreuzzug zur Rehabilitierung seines Vorfahren. Aber es liegt ihm viel daran, Koechlins Leistung ins richtige Licht zu stellen: «Eiffel war der Promotor, aber die Idee stammt von meinem Grossonkel, und auch die Konzeption und die statischen Berechnungen hat er gemacht.»

Aus einer grossbürgerlichen Elsässer Familie stammend, hatte Maurice Koechlin von 1873 bis 1877 am Polytechnikum in Zürich (der späteren ETH) studiert und die Schweizer Staatsbürgerschaft sowie das Zürcher Bürgerrecht erworben. Mit einem glänzenden Abschluss in der Tasche zog er nach Frankreich und arbeitete zwei Jahre als Ingenieur für die französische Ostbahn. Dann trat er als leitender Ingenieur ins renommierte Büro Eiffel ein. Dort entwarf er nicht nur Brücken, sondern auch das Eisengerüst im Innern der Freiheitsstatue, die Frankreich 1886 den USA schenkte.

Als für die Weltausstellung 1889 in Paris ein Wettbewerb ausgeschrieben wurde, suchte Koechlin mit dem Mitarbeiter Émile Nouguier nach einem Projekt, «um der Ausstellung eine Attraktion zu geben». Ein Konkurrent hatte bereits einen «Sonnenturm» entworfen. Aber dieser war eine romantisierende Rekonstruktion des antiken «Leuchtturms von Pharos», die niemanden begeisterte. Am Abend des 6. Juni 1884 hatte Koechlin in seiner Pariser Wohnung an der Rue Le Chatelier 11 den Geistesblitz: Auf einem Stück Papier skizzierte er rasch und ohne technische Hilfsmittel den «Pylône de 300 m de hauteur», einen filigranen, 300 Meter hohen «Pfeiler».

Er hatte die Idee und machte die Berechnungen zur Konstruktion: Maurice Koechlin (1856–1946)

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Das vergilbte Beweisstück: «300 Meter hoher Pfeiler», 1884 von Maurice Koechlin gezeichnet

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Damals das höchste Bauwerk der Welt

Das inzwischen vergilbte Beweisstück für Koechlins Urheberschaft am Eiffelturm liegt im Archiv der ETH-Bibliothek in Zürich. Die Skizze zeigt deutlich die Konstruktion mit dem Fachwerk, den konischen Pfeilern und den Etagen. Der Turm sollte das weltweit höchste Bauwerk werden. Um die Dimensionen zu zeigen, zeichnete Koechlin auf das Blatt bekannte Bauwerke übereinander: Notre-Dame, Freiheitsstatue, Triumphbogen, dreimal die Säule der Place Vendôme und ein sechsstöckiges Haus.

Konstruiert werden sollte der Turm nach dem Prinzip der grafischen Statik, die Koechlin bei seinem Lehrer Karl Culmann an der ETH gelernt hatte; sie macht sichtbar, wie die Kräfte im Bauwerk wirken, so dass eine eigene physikalische Ästhetik entsteht. «Das Strukturprinzip war damals bekannt. Aber das Innovative an dem Plan war die geniale Ausnutzung der Culmannschen Methode für ein repräsentatives Gebäude dieser Dimension», sagt René Koechlin. Die riesigen Fundamente erlaubten den Bau im ungünstigen Grund am Ufer der Seine; das Stahlfachwerk, das dem Wind keine Angriffsfläche bot, ermöglichte die bis dahin unerreichte Höhe. Koechlins Turm war ganz auf die Demonstration moderner Ingenieurkunst angelegt – ein Symbol des Industriezeitalters mitten in Paris.

Eiffel war anfänglich skeptisch

Koechlin legte den Entwurf Gustave Eiffel vor. Dieser zeigte nicht sonderlich viel Interesse, liess Koechlin und Nouguier jedoch gewähren. Der Chefarchitekt des Büros, Stephen Sauvestre, überarbeitete den Entwurf, reduzierte die Zahl der Plattformen und fügte die grossen Bögen hinzu. Koechlin machte die statischen Berechnungen und zeichnete die Baupläne. Eiffel, der gewiefte Unternehmer, erkannte nun das Potential. Und als von den Behörden Interesse signalisiert wurde, stürzte er sich ins Projekt. Im Dezember 1884 setzte er einen Vertrag auf, in dem er Koechlin und Nouguier alle Rechte abkaufte; er selbst verpflichte sich, im Zusammenhang mit dem Turm stets ihre Namen zu nennen. Koechlin erhielt für seine Leistung genau 51418 Francs. In der Ausschreibung 1887 propagierte Eiffel nun das Projekt unter seinem Namen.

Der Widerstand gegen das Monstrum war heftig: «Wir, Schriftsteller, Maler, Bildhauer, Architekten, Liebhaber der bisher intakten Schönheit von Paris, protestieren gegen die merkantile Einbildungskraft eines Maschineningenieurs, der die Stadt unwiderruflich hässlich machen wird. Stellen Sie sich einmal diesen lächerlichen Turm vor, der wie der schwarze Schornstein eines Industriewerks mit seiner barbarischen Masse all unsere Denkmäler demütigen wird», stand in einem Aufruf. Dank Einfluss, Geld und Schlauheit boxte Eiffel den Turm jedoch durch, erstellte ihn auf eigene Rechnung und liess sich die Nutzungsrechte für 20 Jahre geben. Pünktlich zur Weltausstellung war der Turm fertig, gebaut nach der Idee und den Plänen von Maurice Koechlin. Eiffel selbst sprach stets vom «Turm von 300 Metern» und anerkannte die Leistung seiner Mitarbeiter ausdrücklich.

Er boxte die Idee durch und stand mit seinem Namen hin: Gustave Eiffel (1832–1923)

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«Der Vater des Turms ist Eiffel»

Dass sich der Name «Eiffelturm» etablierte, lag daran, dass das Projekt über Eiffels Büro lief und dass er auch die anfängliche Ablehnung auf sich gezogen hatte. Nach der Eröffnung schlug diese rasch in Begeisterung um, und das ursprüngliche Schmähwort «Eiffelturm» stand nun für eine grandiose Leistung. Eiffel war es auch, der nach dem Ablauf der Konzession den Abriss «seines» Turms verhinderte. Er wurde für astronomische, meteorologische und aerodynamische Versuche geöffnet. Und als er sich für Telegrafie, Funk, Radio und fürs Militär als nützlich erwies, verlängerte die Stadt die Konzession bis 1980.

Maurice Koechlin, dem grosse öffentliche Zurückhaltung nachgesagt wird, störte sich nie am Namen. Zum 50. Jahrestag des Turms 1939 sagte er: «Die Idee und die Berechnungen stammen von mir. Aber der Vater des Turms ist Eiffel.» Er habe «mit der ihm eigenen Hartnäckigkeit» alles Nötige getan, «um das Projekt zu adoptieren und zu realisieren». Koechlin blieb als Ingenieur aktiv, konzipierte Brücken und Viadukte und legte – allerdings vergeblich – ein Projekt für den Bau der Jungfraubahn vor. Er blieb mit Eiffel kollegial verbunden, übernahm 1893 die Büroleitung und bis 1926 auch den Vorsitz der Eiffelturm-Gesellschaft. Er wurde zum Offizier der französischen Ehrenlegion ernannt, ansonsten beschränkte sich die Anerkennung auf Fachkreise. Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs zog er mit seiner Frau Emma Rossier nach Veytaux am Genfersee, wo er 1900 ein Haus gebaut hatte. Am 14. Januar 1946 starb er 90-jährig, begraben ist er in Vevey.

Sein Turm wurde rasch zum Publikumsmagneten. 245 Millionen Menschen haben ihn seit 1889 besucht, und jedes Jahr werden es sieben Millionen mehr. «Maurice Koechlin war ein sehr bescheidener Mann, der sich nicht in den Vordergrund drängte», sagt René Koechlin. Aber ohne ihn gäbe es diesen Turm nicht.