10_00_rg_skating.jpgEin schöner, warmer Frühlingstag. Die Studentin Katrin Braune spaziert der Uferpromenade des Zürichsees entlang. Plötzlich taucht in rasantem Tempo ein Inlineskater auf und prallt mit der Spaziergängerin zusammen. Katrin Braune stürzt aufs Trottoir. Abgesehen von einem leichten Schock, Prellungen und Schürfungen ist nichts passiert. «Gehts?», fragt der Skater nur und rast davon.

Katrin Braune ist mit ihrer schmerzlichen Erfahrung nicht allein. Doch noch gefährlicher leben die Inlineskater selbst: Jährlich benötigen rund 14000 Fahrer ärztliche Betreuung. «Meist handelt es sich um Selbstunfälle», sagt Othmar Brügger von der Schweizerischen Beratungsstelle für Unfallverhütung (BfU).

Zu schwammiges Gesetz

Laut einer BfU-Umfrage fahren in der Schweiz über eine Million Leute Inlineskates und die wenigsten kennen die Fahrregeln. Laut Artikel 50 der Verkehrsregelnverordnung («Spiel und Sport auf Strassen») ist Inlineskating nur auf verkehrsarmen Strassen sowie auf dem Trottoir erlaubt, sofern andere Verkehrsteilnehmer weder «behindert» noch «gefährdet» werden. Fussgänger haben auf dem Trottoir auf jeden Fall Vortritt.

Für den Zürcher Verkehrsrechtsspezialisten Hans Giger ist der Begriff «verkehrsarme Strasse» jedoch viel zu schwammig. «Unklar bleibt, ob die Strasse an sich verkehrsarm sein muss oder ob sie es situationsgebunden sein kann. Viele Skater fahren nachts herum dann sind natürlich auch ansonsten stark befahrene Strassen verkehrsarm.» Ob die Skater in diesem Fall aber wirklich fahren dürfen, sei mit Artikel 50 nicht geklärt.

Auch der Ausdruck «Gefährdung» ist für Hans Giger Auslegungssache. Denn es ist nicht klar, ob damit eine abstrakte, immer gegebene oder eine konkrete, akute Gefährdung gemeint ist. Giger: «Dringend gefordert ist eine Konkretisierung dieser problematischen Formulierungen.»

Klare Richtlinien sind ein Muss

Wie nötig das ist, zeigt auch die Tatsache, dass Inlineskater auf dem Zebrastreifen kein Vortrittsrecht haben: Weil sie nicht zu Fuss unterwegs sind, gelten sie nicht als Fussgänger.

Kein Wunder, denn der «Spiel und Sport»-Artikel der Verkehrsregelnverordnung bezieht sich ursprünglich auf Aktivitäten in einem begrenzten Raum etwa aufs Trottinettfahren auf dem Schulplatz. Das Fahren über längere Strecken ist nicht geregelt. Für viele Skaterinnen und Skater sind die rollenden Schuhe jedoch kein Spiel- oder Sportgerät, sondern ein Verkehrsmittel wie das Fahrrad oder das Auto.

Lausanne greift hart durch

«Ich lasse meist den gesunden Menschenverstand walten», sagt der Zürcher Verkehrspolizist Eduard Gusset. «Nur bei ganz klaren Verkehrsübertretungen oder -gefährdungen werden Inlineskater verzeigt.» Ähnlich klingts bei der Basler und der Berner Polizei.

Lausanne hingegen greift härter durch. Inlineskatern, die erstmals auf der Strasse ertappt werden, droht eine Verwarnung. Handelt es sich um Minderjährige, werden die Eltern informiert. Beim zweiten Mal wird konsequent verzeigt. Michel Blanc, zuständig für die Verkehrssicherheit, rechtfertigt die harte Gangart mit dem Hinweis auf Lausannes hügelige Stadtgeografie ein Paradies für Skater: «Viele rasen die engen Gässchen hinab oder fahren mitten auf der Strasse.»

Da der Tatbestand «unerlaubtes Skaten» nicht auf der Ordnungsbussenliste aufgeführt ist, müssen sich die Skatersünder vor dem Polizeirichter verantworten. Dies kann teuer werden. Bei Behinderungen von Fussgängern auf dem Trottoir ist zum Beispiel je nach Gefährdungslage mit einer Busse ab 50 Franken zu rechnen. Zusammen mit den Verfahrenskosten beläuft sich die Busse auf bald einmal 200 Franken. «Wir beurteilen von Fall zu Fall. Verschulden, Alter und Gefährdungsgrad werden berücksichtigt», sagt Christian Depuoz, Chef des Polizeirichteramts Zürich.

Der Bund handelt

Das Bundesamt für Strassen hat das Problem erkannt und deshalb das Projekt «Neue Mobilitätsformen im öffentlichen Strassenraum» ins Leben gerufen. «Die gesetzlichen Normen müssen grundsätzlich überprüft werden», sagt Projektleiterin Chantal Disler. «Der grosse Ermessensspielraum könnte künftig durch eine Neuaufteilung des Strassenraums und durch klare Verhaltensregeln im Strassenverkehrsrecht eingeschränkt werden.» Der Fachverband Fussverkehr Schweiz begrüsst die Anstrengungen des Bundes. Der Revisionsentwurf dürfe aber nicht auf Kosten der Fussgängerflächen gehen, fordert Vorstandsmitglied Regine Bernet.

Damit dürfte man in der Bundesstadt kein Problem haben. In Berns Innenstadt gibt es nämlich praktisch keine Inlineskaterinnen und -skater wegen des holprigen Pflastersteinbelags.