Anfang des Jahres erhielt Peter Derungs (Name geändert) – wie viele Schweizer Haushalte – eine Werbesendung des «Vertraulichen Schweizer Briefs» (VSB). Um mehr zu erfahren, bestellte er per Fax eine Probenummer. Dass die Zustellung länger dauerte, lag an einem Schreibfehler in der Adresse – auf dem Umschlag war die Hausnummer mit 2 statt 28 angegeben.

Bald bekam Derungs noch mehr Post. Adressierte Werbesendungen – unter anderem von Baron Philippe de Rothschild und der NZZ – fanden den Weg in seinen Briefkasten. Und alle trugen sie die Hausnummer 2. Der Verdacht lag nahe, dass die VSB-Verantwortlichen die Adresse von Peter Derungs weiterverkauft hatten.

Die Adressen kommen aus dem Süden

Eine Anfrage bei der NZZ bestätigte dies. Im Schreiben der Firma Rohner Direktpartner, die für die NZZ Mailingadressen bewirtschaftet, steht: «Die Überprüfung hat ergeben, dass die Adresse von Peter Derungs aus der Kartei des Verlags Sokrates Consulenza S.A.S. stammt und dort für Werbesendungen freigegeben ist.» Die Sokrates Consulenza residiert an derselben Adresse in Campione d’Italia wie die Firma Campione Computer Service, die den VSB herausgibt. Der Geschäftsführer beider Firmen ist Thomas Lackmann.

Auf telefonische Anfrage bestritt Lackmann, mit den Adressen seiner Abonnenten zu handeln. Doch über einen Adressbroker im Internet kann jedermann von Campione Computer Service die Adressen der Abonnenten des VSB erwerben. Die Abonnenten werden angepriesen als «Führungskräfte in Wirtschaft, Politik oder Gesellschaft», «liberal-konservativ», «nicht ganz unvermögend» und «im reifen Alter». Ganz die Klientel also, die sich die NZZ und Weinhändler Rothschild wohl wünschen. Angaben, die auf den knapp 30-jährigen kaufmännischen Angestellten Derungs aber eindeutig nicht zutreffen.

Mit der Wahrheit nimmt mans beim VSB auch inhaltlich nicht übergenau. Die Richtigkeit der polemischen Kürzestartikel lässt sich mangels Quelle meist nicht überprüfen. Seine Leser sucht der VSB unter anderem in der rechten Szene und inseriert in einschlägigen Magazinen. 2002 fiel er negativ auf, da eine «Vereinigung für staatspolitische Mitverantwortung» in einem adressierten Werbebrief suggerierte, dass sich Politiker wie Ruth Dreifuss aus der Publikation informierten – dabei kannte die damalige SP-Bundesrätin sie nicht einmal (siehe Artikel zum Thema «Werbebroschüre: Ziemlich dicke Post»).

Der Handel mit Adressen ist in der Schweiz grundsätzlich erlaubt, aber durch das Datenschutzgesetz eingeschränkt. So muss der Inhaber der Adresse der Weitergabe zustimmen oder zumindest informiert werden. Dies geschieht bei Wettbewerbstalons im Kleingedruckten: «Durch Ihre Teilnahme am Wettbewerb erklären Sie sich damit einverstanden, dass Ihre Adresse zu Marketingzwecken weiterverwendet wird.» Der VSB hat Peter Derungs nicht über den Handel mit seiner Adresse informiert und so gegen das Gesetz verstossen.

Lackmanns Quellen sind unergründlich

«Hier mag ein Verstoss vorliegen, aber wer glaubt, er könne an jedem Wettbewerb mitmachen und bekomme dann keine Mailings, ist enorm blauäugig», sagt Adressbroker Hans Rohner. Er hatte im Auftrag der NZZ jene Adressliste angefertigt, in der auch der Name von Derungs stand. Seit Jahren bezieht er auch Adressen von Thomas Lackmann. «Mit den Adressen, die er mir liefert, bin ich immer sehr zufrieden. Wir verzeichnen eine gute Zustellbarkeit und eine hohe Erfolgsquote.»

Dennoch sei es ihm ein Rätsel, wie Lackmann an die Daten komme. Auch unter Kollegen im Direktmarketingverband sei dies immer wieder ein Thema. «Wie Lackmann seinen Adresspool aufbaut und recherchiert, entzieht sich unserer Kenntnis. Ich vermute, dass er durch seinen Sitz in der EU andere Möglichkeiten hat.»

Die Robinsonliste schützt vor Mailings

Dass Lackmanns Adressen oft auf verschlungenen Wegen zu ihm kommen, ist Rohner also klar. Doch er sieht keinen Handlungsbedarf. «Wir tun mit unserer Arbeit Gutes. Durch unsere Mailings entstehen neue Abonnemente. So werden Arbeitsplätze geschaffen und bestehende erhalten.» Er werde weiterhin Adressen bei Lackmann beziehen. Dass auf unzulässige Weise Geld gemacht wird und die Adressinhaber nicht immer das sind, was versprochen wird, beunruhigt ihn offenbar nicht.

Ein kleiner Trost für Peter Derungs: Er wird von der NZZ keine Mailings mehr bekommen. Wer sich auf ein ungewolltes Mailing hin beim NZZ-Verlag meldet, wird auf eine «schwarze Liste» gesetzt und nicht mehr angeschrieben. «Eine Frage der Seriosität», sagt Adressbroker Rohner. Die NZZ habe dies ausdrücklich verlangt, da sie niemanden belästigen wolle. Allerdings, so räumt er ein, sei die NZZ der einzige seiner Kunden, der dies tue. Alle anderen würden Derungs weiterhin anschreiben, ausser er lasse seine Adresse auf die Robinsonliste setzen. Alle Mitglieder des Direktmarketingverbands respektieren diese Liste und schreiben darin vermerkte Personen nicht an. Wichtig ist aber, die Namen aller Personen im Haushalt zu sperren und jeden Umzug zu melden. Um gar keine Mailings zu bekommen, ist zusätzlich eine Sperrung bei Post und Swisscom nötig.

Viel Arbeit für Peter Derungs, der nur etwas über den «Vertraulichen Schweizer Brief» erfahren wollte.

Quelle: Agentur Gettyimages