So, etwas Mut und vorwärts, habe ich mir gesagt und den hellen Mantel mit dem Fischgrätmuster angezogen. Auf der Strasse vor unserem Haus standen schon die Gegner, sie, die nicht goutierten, dass wir Frauen von Unterbäch plötzlich etwas zu sagen hatten. Es reisten auch Leute von auswärts an und natürlich Journalisten und Fotografen. Einer kam gar von der «New York Times» aus Amerika. Die wollten sehen, was da Revolutionäres in diesem kleinen Dorf im Oberwallis vor sich ging und was für Männer das waren, die den Frauen das Stimmrecht gegeben hatten. «Das Fanal von Unterbäch» nannten sie es dann in den Zeitungen. Wahnsinnig, jetzt ist das tatsächlich schon 50 Jahre her.


Zivilschutz für Frauen? Ich war 37 und mit meinem dritten Kind schwanger, unsere Älteste, die Germaine, war sechs. Sie wollte an diesem Samstag gegen Abend zur Grossmutter, traute sich aber wegen der vielen Leute und des Lärms nicht auf die Strasse. Denn mein Mann, der Paul, wurde nie laut. Er war ein lieber Mensch und arbeitete zu jener Zeit nicht nur als Lehrer hier in Unterbäch, sondern auch als Gemeindepräsident. Der geborene Politiker, finde ich. Als Gelber, wie wir sagen, also einer von der christlich-sozialen Partei, hatte er mit dem Notar und ehemaligen Nationalrat Peter von Roten im Walliser Grossrat schon zwei Motionen für das Frauenstimmrecht eingereicht. Vergebens, doch Paul und sein Kollege haben nicht locker gelassen.
Peter von Roten war sicher auch etwas beeinflusst worden von seiner Frau, der Iris von Roten. Kennt man die heute noch? Die berühmte Frauenrechtlerin, die das Buch «Frauen im Laufgitter» geschrieben hat. Man hat sie auch die «Beauvoir der Schweiz» genannt.

Anfang Februar 1957 gelang es meinem Mann und seinem Kollegen, die Unterbächner Gemeinderäte davon zu überzeugen, uns Frauen bei dieser einen Sache abstimmen zu lassen. Schliesslich ging es ja um uns, nämlich darum, ob der Zivilschutz für Frauen obligatorisch werden sollte oder nicht. Zu diesem Zeitpunkt war eine Frau nicht viel wert, besonders eine Alleinstehende nicht, eine Witwenrente zum Beispiel gab es noch nicht.

Ich ging als Erste ins Schulhaus, das als Abstimmungslokal diente, stieg die Treppe hoch und warf meinen Zettel ein - in die Urne für Frauen, die man separat aufgestellt hatte. Insgesamt waren wir 33 von 88 Unterbächnerinnen, die abgestimmt haben. Später auf der Strasse schrie mich eine Frau an. Schämen müsse man sich, hat sie gerufen. Man muss sich das mal vorstellen, eine Frau aus demselben Dorf. Doch ich liess mir nichts anmerken, drehte mich um, warf ihr eine Kusshand zu und wünschte allen einen schönen Abend. Ich war nicht besonders stolz auf mich, aber eine gewisse Befriedigung spürte ich schon. He ja, ein kleiner Anfang war gemacht, wir hier im Oberwallis hatten ein Zeichen gesetzt. Ich stimmte übrigens mit Nein.

Zu sensibel für die Politik Die ersten paar Tage danach waren nicht schön für uns, wüste Worte mussten wir hören. So allerlei Sachen, die ich besser nicht sage, ist schon lange her. Aber einfach war es nicht in einem so kleinen Dorf. Aber es ist halt so, wer Politik macht, braucht einen breiten Rücken und eine Elefantenhaut. Nichts für mich, in der Beziehung bin ich zu sensibel. Es hat tatsächlich auch Momente gegeben, in denen ich bereut habe, dass wir nicht von Unterbäch nach Sitten gezogen sind.

Nach dem Rummel versuchten wir einfach weiterzuleben, als wäre nichts gewesen, und zogen unsere vier Kinder gross. Es war ein ausgefülltes, bescheidenes Leben, auch wenn manches anders kam als erhofft. Denn mein Traum war es immer, einmal als Krankenschwester oder Sozialarbeiterin nach Afrika zu gehen. Ich wollte helfen. Doch es ist nicht ratsam, eisern an Zukunftsplänen festzuhalten. Man muss sich anpassen und das Bestmögliche aus allem machen können.

Seit mein Mann gestorben ist, lebe ich allein in der grossen Wohnung, mache den Haushalt selber und koche für mich. Es ist wichtig, im Alter aktiv zu bleiben, körperlich und geistig. Darum lese ich viel, sogar die «Rote Anneliese», wenn meine Tochter sie mir bringt. Aber das Blatt ist etwas dicke Post für mich. Ich bin eben keine Rote, sondern eine Gelbe geblieben.

Abstimmen gehe ich nach wie vor - einst war ich die Erste, jetzt bin ich mit 87 Jahren die Älteste im Dorf. Aber ehrlich gesagt, bin ich nicht so begeistert von diesen Feierlichkeiten heuer. Ich weiss nicht recht, wie ich es sagen soll. Aber eigentlich gibt es doch nicht viel Grund, 50 Jahre Frauenstimmrecht zu feiern. Rechtlich hat sich viel verändert im Gegensatz zu früher, das schon. Aber was ist denn zum Beispiel mit «Gleiche Arbeit, gleicher Lohn»? Eben. Es gibt halt immer noch solche, die die Frauen unten behalten wollen.