Hier also hat er dem Teufel seine Seele verkauft! Bei Tage besehen ist die Kreuzung der beiden US-Highways 61 und 49 nahe Clarksdale im Bundesstaat Mississippi unscheinbar. Zwei Überlandstrassen, mehr nicht. Gelbe Ampeln baumeln über den Fahrbahnen, zerdrückte Cola-Büchsen säumen den Asphalt, weiter vorn ein «Church’s»-Imbiss, eine Tankstelle. Ein Ort wie Hunderte. Eines Nachts aber vor vielen, vielen Jahren soll sich hier Schauerliches zugetragen haben: Robert Johnson habe sich dem Leibhaftigen ausgeliefert und dafür die Gabe des meisterlichen Gitarrenspiels erhalten, das ihn zum legendärsten aller legendären Bluesmusiker machte, zum «King of the Delta Blues».

In Liedern wie «Me and the Devil Blues» und «Hellhounds on My Trail» befeuerte der Sänger selber den Mythos vom Pakt mit dem Teufel, ehe er 1938, erst 27-jährig, unter Höllenqualen starb. Von einem Nebenbuhler vergiftet, hiess es. Syphilis, sagten andere. Die meisten im Mississippi-Delta aber munkelten: «Der Teufel hat ihn geholt.»

Den Ruch des Teuflischen wurde die populäre Musik nicht mehr los. Der nächste King – Elvis, König des Rock  ’n’  Roll – musste nicht einmal mehr mit dem Satan kokettieren, wie es die Bluesväter getan hatten: Ihm genügte im frommen, prüden Amerika der fünfziger Jahre ein etwas allzu frivoler Hüftschwung im neuen Medium Fernsehen, schon wurde seine Musik als gotteslästernd gebrandmarkt. «Obszön und gesetzwidrig!», befand die «New York Herald Tribune», Pastoren riefen zum Boykott auf.

Elvis ein Teufelsmusiker? Ausgerechnet er, der zeit seiner Karriere auch als gottesfürchtiger Gospelsänger in Erscheinung trat und auf seinem Anwesen in Memphis eigens eine Kapelle errichten liess? Absurd – und doch folgerichtig. Denn Presley sprengte mit seinem zuckenden Becken moralische Fesseln, eine Provokation zu Zeiten, da die Kirche noch allmächtig und ihr Wertekanon bindend war.

«Elvis the Pelvis», der Begründer der Rockmusik, musste zum Sinnbild, zum Feindbild werden – die Verteufelung der Rockmusik ist so alt wie sie selber. Rock gilt selbst dann als gotteslästernd, wenn er just das Gegenteil ist. «Du siehst wie ein Engel aus, hast mir mit deinen Küssen den Kopf verdreht», sang Elvis in «Devil in Disguise», «aber ich kam zur Besinnung: Du bist der verkleidete Teufel!» Allein, die Art, wie er das vorbrachte, spottete dem frommen Inhalt, und der religiöse Eifer, mit dem die Fans ihr Idol vergötterten, machte die Kirchenoberen argwöhnisch. Und neidisch.

Im Aufbegehren gegen Hergebrachtes liegt der Sinn einer Jugendkultur, sie muss provozieren. Und dass sich besonders leicht provozieren lässt, indem man gebotswidrig den Namen des Herrn missbraucht, machten sich Musiker sonder Zahl zunutze. Seit die australischen Pioniere AC/DC auf dem «Highway to Hell» die «Hell’s Bells» läuten liessen, bedienen sich Heavy Metal und seine finsteren Subgenres Death Metal und Black Metal antichristlicher Symbolik. «Herr der Finsternis, gib mir das heilige Recht, in der Hölle zu schmoren», sangen Manowar; die britische Band Venom verlangte in «Possessed» «den Tod deines Gottes».

Meist wird recht plump und auf Schockwirkung zielend mit Satanismus geflirtet, zuweilen aber steckt hochintelligente Reflexion dahinter. Der Amerikaner Brian Hugh Warner etwa – der seinen Künstlernamen Marilyn Manson aus der Ikone des Schönen, Marilyn Monroe, und derjenigen des Bösen kombiniert, dem mörderischen Sektenführer Charles Manson – betreibt ein fortlaufendes Spiel mit American Dream und amerikanischem Alptraum, inszeniert sich als «Antichrist Superstar», bricht Moden, Mythen und Moral, hinterfragt Kriegsnarretei und Waffenwahn.

Doch viele Amerikaner wollen das partout nicht verstehen. Und als Schüler in Littleton, Colorado, 1999 ein Massaker anrichteten, war der Schuldige rasch gefunden: Die beiden Jugendlichen hätten, bevor sie an der Columbine High School zwölf Kameraden und einen Lehrer töteten, Mansons Musik gehört, hiess es. Der Volkszorn brandete.

Wo im Rock ein tieferer Sinn ist, wird er überhört, umgekehrt suchen Frömmler bösen Sinn, wo keiner ist: Immer wieder orten sie Aussagen, die hören könne, wer ein Stück rückwärts laufen lasse. Den Rolling Stones, Led Zeppelin, Black Sabbath, Alice Cooper und Nirvana wurden versteckte satanische Botschaften angedichtet. Doch stets sind diese nur mit viel Phantasie zu finden. Und wer hatte in den Sixties schon die technischen Möglichkeiten, sich Musik rückwärts anzuhören?

Selbst die netten Beatles wurden zu Satanisten stilisiert, nur weil auf einem ihrer LP-Umschläge winzig der Okkultist Aleister Crowley zu erkennen war – und weil John Lennon 1966 dem «Evening Standard» sagte: «Momentan sind wir Beatles bei den jungen Menschen populärer als Jesus.» Diese Worte wurden ihm zum Schlagwort «The Beatles are bigger than Jesus» verdreht, und egal, ob Lennon es in juvenilem Übermut oder bekifftem Grössenwahn sagte – es war schlicht die Wahrheit. Fortan boykottierten viele Radios im bibelfesten US-Süden die Beatles. Ein Scheinskandal.

Und wie empört war der Vatikan, als sich zu Beginn der achtziger Jahre eine junge Sängerin vermeintlich respektlos «Madonna» nannte! Inszenierte sich hier eine Gottlose als Mutter Gottes? Nein, das Gör war von seinen frommen italienischstämmigen Eltern schlicht so getauft worden: Madonna Louise Veronica Ciccone.

Schon der Teufelskerl Robert Johnson trieb das ironische Spiel wahrscheinlich ganz bewusst. Frühe Bluesmen wie er gaben den gefährlichen schwarzen Mann, für den die Gesellschaft sie hielt. Die Schlauen unter den Gangsta-Rappern tun es ihnen heute gleich, halten der Gesellschaft einen Spiegel vor, indem sie den sexbesessenen, kriminellen, gottlosen «Neger» mimen. Sie wollen Rassismus aufzeigen – und ernten Rassismus, weil keiner sie versteht.

Noch sorgt Rap für Skandale. Gewaltverherrlichung, Sexismus, Blasphemie wird ihm vorgeworfen. Ein Zeichen, dass er als Jugendkultur noch vital genug ist, um ältere Generationen verstören und erschrecken zu können, wie einst Elvis die Altvorderen erschreckte. Freilich muss, wer noch provozieren will, dies zunehmend deftig tun. Dem Bündner Gimma gelang es, indem er in «Hol dr an Politiker» zum Mord an Parlamentariern aufrief.

Im Grunde aber sind die sexuellen, religiösen und gesellschaftlichen Tabus allesamt entweiht. Der US-Rapper Tupac Shakur erregte 1996 noch Aufsehen mit einem CD-Cover, das ihn als gekreuzigten Christus zeigte. Elf Jahre später wirkte dieselbe Pose bei Nachahmer Kanye West, der sich als Jesus mit Dornenkranz auf den Umschlag der Rockfibel «Rolling Stone» setzen liess, nur noch niedlich.

Der Tabubruch hat sich abgenutzt, die Blasphemie ist so kommerzialisiert, dass sie ihren Schrecken verloren hat. Gotteslästerung holt keinen mehr hinter dem Ofen hervor, provozieren lässt sich allenfalls noch mit Nazisymbolik, wie die deutsche Gruppe Rammstein es vorexerziert. Wer als Musiker aber wirklich für Aufhorchen sorgen will, preist den Namen des Herrn, wie die Söhne Mannheims es tun.

Böser Rock ’n’ Roll? Wahre Empörung vermochte in der Schweiz jüngst einzig das Jodlerchörli Urnäsch mit einem Schnupfspruch über das «gottverdammta Jugopack» auszulösen, über «vögelnde Mönche» und einen masturbierenden Abt: «Und er fluchte und er grollte, weil es ihm nicht kommen wollte.» Die Staatsanwaltschaft schritt ein, und das Bistum St. Gallen zeigte sich offiziell bestürzt.

Böse Jodler! Verkehrte Welt.

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