Was Chatter in ihre Computer tippen, ist nicht immer die feine Art: «Bisch doch e nutte», «du bist bloss ein kleines arschloch», «heb dini fressi» – das ist nur eine kleine Auswahl der Grobheiten und Beleidigungen, die sich innert ein, zwei Stunden in den Chatrooms der beiden grössten Schweizer Anbieter Bluewin und Swisstalk finden.

Ganz zu schweigen von der direkten sexuellen Anmache. Dies geschieht vor allem im so genannten P-Bereich, der – im Gegensatz zum Ö-Bereich – fürs Techtelmechteln unter vier Augen reserviert ist: Wer einen Chatter doppelt anklickt, kann mit ihm privat kommunizieren. Da geht es oft direkt zur Sache: angefangen bei der Standfestigkeit des männlichen Gemächts bis hin zu Orgasmusdetails.

Es gibt Spielwiesen für Flirter ab 20, 30, 40 oder 50 Jahren, Räume nur für Frauen oder Männer sowie Chats für Eishockeyfans. Da bekriegen sich dann die Anhänger des Zürcher ZSC, des HC Davos oder des HC Lugano mit einem Schimpfwortarsenal aus der untersten Schublade. Oder tippt jemand «Autoklubs sind Auffangbecken für Minderbemittelte» ein, dauert es nur Sekunden, bis ihm die PS-Lobby Saures gibt. Ein Schlagabtausch ist ebenfalls programmiert, wenn ein «rassereiner Swisstalk» gefordert und Ausländer als «Schmarotzer» oder nicht rassistische Eidgenossen als «Patridioten» beflegelt werden.

Das Internet ist ein idealer Tummelplatz für Leute, die es auf Anmache anlegen.

In «Swissflirt» etwa sucht eine 29-Jährige einen «phantasievollen Lover für spontane Treffen. Bin gebunden und möchte keine ernsthafte Beziehung.» Immer wieder nützen auch Prostituierte den Chat zum Kontakt mit Freiern. Und wer sich im Netz mit freizügigem Foto oder Namen wie «Domina», «Vogelfrei» oder «Starfucker» präsentiert, will wohl nicht übers Wetter chatten. Dank der Anonymität im Netz fallen rasch die letzten Hemmungen.

Bei Belästigung hört der Spass auf

Das Problem: Einerseits ist der freie Meinungsaustausch der Surfer zu schützen, anderseits hört die Freiheit dort auf, wo andere belästigt werden. Die Mehrheit der Chatter sucht Kontakt zu andern Menschen und will nicht sexuell angemacht oder beleidigt werden.

Als kürzlich der Anbieter Bluewin – in seinen Chatrooms tummeln sich in Spitzenzeiten zwischen 20 und 22 Uhr 1500 bis 1700 Chatter – ein Forum unter dem Titel «Belästigungen im Chat und im realen Leben» einrichtete, sammelten sich rasch mehrere Dutzend Meldungen. Es sind fast ausschliesslich Schilderungen zu lästigen Erfahrungen im Netz. Da schreibt etwa «Leota», dass «Belästigungen im Chat Alltag» seien. «Leota» ist vorsichtig geworden: Sie surft inkognito und gibt keine persönlichen Daten mehr preis.

Von einer unangenehmen Erfahrung weiss auch «Mausina» zu berichten. Plötzlich standen zwei Chatter vor der Haustür, nachdem sie «eine Mailadresse mit ihrem richtigen Vor- und Nachnamen» erstellt hatte. Oder «Solo» führt an, dass vielen Männern «jedes Mittel recht ist, ihre unkontrollierten Hormonausbrüche zu rechtfertigen». Und Angela meldet: «Ich gab da einem die Handynummer. Seitdem ruft er ständig an, das nervt tierisch. Was soll ich machen?»

Verbreitet ist auch der Missbrauch von «Nicknames». Die Pseudonyme der User sind in den meisten Chatrooms nicht registriert und daher ungeschützt. Das führt dazu, dass «Nicks», die in den Chats gut etabliert sind, von Zeit zu Zeit von andern Surfern verwendet werden. So beklagt sich etwa «Joker» im Bluewin-Forum darüber, dass dies gezielt geschehe, um andere zu belästigen und den eigentlichen Nickträger in seinem Ruf zu schädigen. «Joker» behilft sich seither damit, dass er mit vertrauten Chattern Kennwörter abmacht.

Eigenartig mutet an, dass Bluewin zwar eine Klagemauer für Belästigte errichtet, gleichzeitig aber ein Forum für «die besten Anmachsprüche» betreibt. Hier erteilt zum Beispiel ein User namens «Grizzly» ein gutes Dutzend einschlägiger Ratschläge – wie: «Hast du was zu verbergen, oder warum bist du noch angezogen?»

Bei Swisstalk sind rund 240000 User registriert. Aus Sicherheitsgründen will Initiant Rudolf P. Neff eine «eindeutige Adresse jedes Pseudonyms besitzen», um eine «allfällige strafrechtliche Untersuchung» vereinfachen zu können. Und: «Wir wehren uns mit allen Mitteln gegen Rassismus und verbotene Pornografie.»

In der Praxis bleibt es jedoch auch bei Swisstalk beim Lippenbekenntnis. Zwar können Störenfriede aus dem Chat gekickt oder gebannt werden, doch die Flut der Beiträge macht eine Kontrolle illusorisch. Jeder Swisstalk-Benutzer hafte selber für die von ihm publizierten Beiträge oder Bilder, sagt denn auch Rudolf P. Neff. «Eine Überwachung der Beiträge ist uns wegen des Rechts auf freie Meinungsäusserung sowie der Bestimmungen des Fernmeldegesetzes nicht möglich.»

Von einer eigentlichen Sisyphusarbeit weiss auch Mathias Heilig von Bluewin zu berichten. Um die schlimmsten Störer und Belästiger einzudämmen, hat man im Ö-Bereich so genannte Chat-Operators (OP) installiert. Sie gehen in den stark frequentierten Chats gegen Leute vor, die sich schlecht benehmen. «Gekickt» – zeitweise entfernt – wird meist im Minutentakt, der permanente Ausschluss («ban») ist seltener. Wer sich allerdings mit neuem Nickname frisch einloggt, ist wieder drin – und das Spiel beginnt von vorn. Zudem: Was im P-Bereich geschieht, bleibt auch den OPs verborgen. Immerhin: «Die Unverbesserlichen sind eine Minderheit», sagt Heilig.

Zwar werden die Surfer darauf hingewiesen, dass bei jedem Eintritt in einen Chatraum Nickname und IP-Nummer gespeichert werden. Doch einen Übeltäter zu enttarnen ist per Knopfdruck nicht möglich. Und wer von einem Internetcafé aus chattet oder ein spezielles Programm benutzt, bleibt praktisch anonym. Zudem braucht es für eine solche Intervention eine richterliche Verfügung.

Heilig erwähnt ein Beispiel, wo Bluewin das Fernmeldegeheimnis bewusst gebrochen hat: «Wir hatten einen Chatter, der seinen Selbstmord ankündigte. Da haben wir sofort gehandelt und den Kontakt zu einem Psychologen vermittelt.»

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