«Brotduft verführt», gesteht Michele d’Ambrosio. «Auch ich kaufe nach der Arbeit häufig noch schnell ein Brot, weil es aus der Lebensmittelabteilung so gut riecht.» D’Ambrosio ist Chef der Ladenbauer bei Globus, die sanfte Verführung der Kundschaft ist sein Metier. Und das versteht er. Die Backwarenabteilung, früher ganz hinten im Laden versteckt, ist mit der jüngsten Umgestaltung der Zürcher Filiale an der Bahnhofstrasse an den Eingang versetzt worden. So fährt jeder, der mit der Rolltreppe gen Lebensmittelabteilung rollt, einer Attacke auf den Geruchssinn entgegen, die bei den meisten Menschen die bekannten pawlowschen Reflexe auslöst. Die Nüstern blähen sich, nehmen Witterung auf, der Speichelfluss wird aktiviert, der Magen knurrt - kurz: Die Lust auf Essen ist da. So sind beste Voraussetzungen für volle Einkaufskörbe geschaffen. Wer hungrig einkauft, kauft bekanntlich mehr.

Auch Coop, Migros und Co. setzen zur Kaufreizförderung auf die Backwaren. Wo immer möglich wird ein Teil des Brotsortiments vor Ort aufgebacken. Andere Düfte, etwa «Banane», «Tomate» oder «Melone», setzt die Lebensmittelbranche hierzulande nach eigenen Angaben kaum ein. «Wir haben vor über zehn Jahren intern einen Testlauf mit Gemüse- und Fruchtdüften gemacht», erzählt Coop-Sprecher Karl Weisskopf, «haben ihn aber abgebrochen, weil er nicht gut angekommen ist.» Ähnlich klingt es bei Migros und Denner. Dass die Versuche nicht von Erfolg gekrönt waren, wundert Beat Grossenbacher, Geschäftsführer der Aargauer Duftmarketingfirma Air Creative, nicht: «Synthetische Duftstoffe bringen gar nichts, sie werden vielmehr als störend empfunden.» Im Duftmarketing werden deshalb vorwiegend natürliche Essenzen eingesetzt.

Zitrone macht kauflustig

Dass Menschen über den Geruchssinn beeinflusst werden können, ist nicht erst seit Patrick Süskinds Roman «Das Parfum» bekannt. Eine von der Branche gern und viel zitierte Studie der Uni Paderborn hat ergeben, dass Zitronenduft die Kaufbereitschaft um fast 15 Prozent steigert und die Kunden 16 Prozent länger im Geschäft verweilen lässt. Die Art des Ladens spielt dabei keine Rolle. «Pilotversuche haben gezeigt, dass sich der Kundenfranken, also die durchschnittliche Ausgabe pro Kunde und Einkauf, mit gezielter Beduftung erhöhen lässt - ebenso wie das Verhältnis der Besucher zu Käufern», hält Grossenbacher fest.

Die Attacke auf die 15 bis 20 Millionen Riechzellen, die jeder Mensch hat, erfolgt teils schon am Ladeneingang. Sie soll das Eintreten erleichtern. Dann wird die Kundschaft mit gezielt gesetzten Duftmarken von der Aktionsware zu den hochmargigen Angeboten gelockt. «Wenn Sie im Januar die Frühlingskollektion an die Frau oder den Mann bringen wollen, können Sie Düfte einsetzen, die Frühling evozieren und so Lust auf leichte Kleidung machen - obwohl draussen Minustemperaturen herrschen», erklärt Hans Voit, Geschäftsführer der Münchner Beduftungsfirma Voitino und seit 20 Jahren im Geschäft.

«Bei Kleidern findet der Kaufentscheid in der Garderobe statt», weiss Beat Grossenbacher. Deshalb mache es Sinn, insbesondere dort auf die Lufthygiene zu achten und unterstützende Düfte einzusetzen. Unterstützend meint: erotisierend. Denn wer sich sexy fühlt, ist eher gewillt, das gute Stück am Leib auch käuflich zu erwerben. Selbst in Möbelgeschäften ist man vor den heimlichen Duftattacken nicht sicher. «Bei der Migros-Möbelabteilung Micasa setzen wir Düfte ein, die den Adrenalinausstoss stoppen, damit der Kunde entspannter auf einem Bett Probe liegen kann», erklärt der Aargauer Duftexperte.

«Natürlich kann man Menschen nicht zwingen, etwas zu kaufen, was sie nicht wollen», räumt der deutsche Verführprofi Voit ein. «Aber man kann mit Düften erreichen, dass Bedürfnisse geweckt werden oder zumindest ein konsumfreundliches Umfeld geschaffen wird.» Die Methode funktioniert laut Voit am besten, wenn Duftkompositionen an der Wahrnehmungsgrenze eingesetzt werden, denn alle zu starken Düfte würden negativ wirken.

Zwar ärgern sich viele Konsumenten und Konsumentenschützer über die sublimen Manipulationsversuche via Gesichtserker. Zumal man sich dem Anschlag auf das Riechorgan nicht widersetzen kann - atmen muss schliesslich jeder. Und auch die Frage, ob die Duftstoffe gesundheitlich insbesondere für Allergiker unbedenklich sind, ist noch weitgehend ungeklärt. Dennoch macht die helvetische Beduftungsbranche geschätzte fünf Millionen Franken Umsatz pro Jahr, Tendenz: steigend.

Fast-Food-Lokale vertreiben Kunden

Selbst in Banken und Versicherungen kommen die Duftkanonen zum Einsatz - und nicht nur im Verkaufsraum. Auch Büros werden beduftet, zur Konzentrationssteigerung. «In Büros schaue ich erst einmal, wie die Stimmung ist», erzählt Beat Grossenbacher. «Scheint der Betrieb eher etwas verschlafen, wähle ich einen Duft, der stimuliert, spüre ich Feindseligkeiten und Stress, kommt eher ein entspannender Duft wie Lavendel in Frage.»

Während sich der Detailhandel von Düften relativ konkrete Einflussnahme aufs Kaufverhalten erhofft, wird Musik vor allem dazu eingesetzt, ein Wohlfühl-Ambiente zu schaffen und damit den Kunden zum längeren Aufenthalt im Laden zu bewegen. Doch auch bei den Attacken aufs Gehör gilt: Weniger ist mehr. «Die Lautstärke sollte so bemessen sein, dass die Musik kaum bewusst wahrgenommen wird», weiss Richard Koch, Geschäftsführer der Spreitenbacher Europhone, die seit rund drei Jahrzehnten Läden und Firmen beschallt. Normalerweise bewegen sich die Tempi um 80 Schläge pro Minute, also im Ruhepulsbereich. «Schliesslich soll der Kunde entspannt und ungehetzt durch den Laden flanieren», erklärt Koch. Schneller - und lauter - darfs allenfalls in auf jugendliches Publikum ausgerichteten Trendläden sein. «Und», so Koch, «in Fast-Food-Lokalen.» Die schnelleren Beats sollen die Gäste zum schnelleren Essen bewegen. Zeit ist Geld, und Sitzplätze sind Mangelware.

Den Angriff auf die Sinnesorgane treibt derzeit der Spielwarenladen Kids Town an der Zürcher Bahnhofstrasse auf die Spitze. Bereits am Eingang begrüsst eine saisonal abgestimmte Geräuschkulisse aus der Konserve die grossen und kleinen Kunden. Im Laden plärrt, rockt und säuselt es aus allen Ecken und auf allen drei Etagen. «Wir haben insgesamt zwölf verschiedene Soundzonen kreiert, die mittels qualitativer Umfragen und nach demografischen Erkenntnissen auf das jeweilige Kundensegment abgestimmt wurden. Ausserdem werden sie unter anderem je nach Witterung sowie Tages- und Jahreszeit variiert», erklärt Reto Lazzarotto, dessen Firma Gadget den allgegenwärtigen Soundteppich in Kids Town gelegt hat. So erklingt etwa in der Holzspielwarenecke Klaviergeklimper; wer ökologisch und pädagogisch wertvolles Spielzeug kauft, hört offenbar keinen Mainstream. Die Sportabteilung hingegen wird mit Hip-Hop zugedröhnt, unterstützt durch saisonal unterschiedliches Stadionrumoren. Bei den Babysachen wird der Kunde ganz sanft mit Babygeräuschen in Verweil- und Kauflaune gebracht. Natürlich ebenfalls an der Wahrnehmbarkeitsgrenze. Und im Bereich Schule lässt eine Lichtschranke ein dezentes Pausenläuten erklingen. Zusätzlich angereichert wird der Audiobrei durch Bildschirme mit Vorführfilmchen für Spielzeug. «Es ist schon anstrengend, in diesem Lärm zu arbeiten», sagen zwei Verkaufsangestellte. «Wir haben deswegen auch schon mal bei der Geschäftsführung reklamiert.»

Umbauen lohnt sich immer

Auch mit Geruchsstoffen hält sich Kids Town nicht zurück: Schon morgens um neun bedrängt der schwere Duft von Popcorn die Nasenwände, als wäre es Samstagabend in einem amerikanischen Kino. Zu kaufen gibt es den Puffmais allerdings nicht. Der Geruch kommt aus dem Kinderfriseursalon im zweiten Stock, der mit der weissen Knabberware auf Kundenfang geht: Will der Racker erst mal Popcorn, lässt er sich auch eher die Haare schneiden.

Natürlich haben die althergebrachten Lockmethoden nicht ausgedient. Nach wie vor wird mit leuchtenden Farben, grosser Schrift und aufwändiger Verpackung um die Aufmerksamkeit des Käufers gebuhlt, werden die meistgekauften Waren auf Augenhöhe platziert und Niedrigpreise als Lockmittel eingesetzt. Laufend umgebaute Warenanordnungen sorgen dafür, dass der Kunde auf der Suche nach «seinen» Produkten länger im Laden verweilt und auf der Pirsch wenn möglich zu Spontankäufen verführt wird. Und immer neue «Erlebniswelten» sollen der Langeweile beim Shoppen entgegenwirken. Betrug der Lebenszyklus einer Ladengestaltung bei Globus laut Michele d’Ambrosio früher rund 15 Jahre, ist das Warenhaus mittlerweile bei fünf bis sieben Jahren angelangt. Und das mit gutem Grund: «Jedes Mal, wenn wir den Laden umgestalten oder umbauen, schnellt der Umsatz hoch.»

Quelle: Agentur Gettyimages