Wir alle sehen uns gern als aufgeklärte, mündige Konsumenten, an denen die Bemühungen der Werbeindustrie wirkungslos abprallen. Und dennoch kennen alle die Situation: Man geht in den Supermarkt, um Milch und Eier zu kaufen und stapelt schliesslich einen Grosseinkauf aufs Laufband der Ladenkasse.

Laut Peter Weinberg, Leiter des Instituts für Konsum- und Verhaltensforschung der Universität des Saarlandes, sind 10 bis 15 Prozent aller Einkäufe Impulskäufe. «Das sind aber nur die echten Spontankäufe: Wenn Sie etwa Milch kaufen wollen und mit einem Kleid nach Hause kommen.» Wesentlich grösser ist der Anteil der so genannten ungeplanten Einkäufe wenn der Kunde also statt der benötigten zwei gleich zehn Liter Milch kauft oder statt der billigen die teure Pasta. Bis zu 50 Prozent aller Einkäufe lassen sich auf solche Entscheide zurückführen.

Seit Jahrzehnten schnüffeln Verhaltensforscher im Dienste des Einzelhandels in den tiefsten Winkeln unseres Unterbewusstseins, um nach verborgenen Kaufreflexen zu forschen. Laut Andrea Fock, Koautorin des Buchs «Liebe geht durch die Nase», ist der Einkaufsparcours durch den Supermarkt «generalstabsmässig auf unsere menschlichen Schwächen ausgelegt».

Von der Anordnung der Waren und Regale über die Ausleuchtung des Ladens, die Breite der Gänge, die Grösse der Einkaufswagen bis hin zur Hintergrundmusik: Alles soll uns möglichst unbemerkt zum Kauf verleiten. Menschen fürchten sich instinktiv vor dem Betreten fremder Räume. Deshalb werden die meist fensterlosen Verkaufsräume geschickt so ausgeleuchtet, dass sie umso heller erscheinen, je weiter man hineingeht. Im Eingangsbereich dämpfen wärmeres Licht und häufig auch Pflanzen die Schwellenangst.

«Das macht jeder Marktstand»

Für Karl Weisskopf, Pressesprecher bei Coop, ist das nur logisch: «Natürlich versuchen wir, unser Angebot so attraktiv wie möglich zu präsentieren. Das macht ja jeder Marktstand.»

Damit der Kunde mehr kauft, muss er länger im Laden verweilen. Deshalb dienen die sonnig ausgeleuchteten Obst- und Gemüsestände direkt im Eingangsbereich als «Stopper». Der erste Gang rechts an der Wand führt fast immer erst einmal bis ans andere Ende des Raums. Dann wird man gegen den Uhrzeigersinn kreisförmig zur Kasse gebeten. 95 Prozent aller Menschen neigen von Natur aus zu solchen Linkskreisen. Die Gänge sind breit genug, um Körperkontakt mit anderen Kunden zu vermeiden, aber zu schmal, um einfach durchzusausen. Und der direkte Weg ist ständig von Körben und Stapeln mit Sonderangeboten verstellt.

Selbstredend sind die Gestelle so angeordnet, dass man nicht automatisch auf die preisgünstigsten Angebote trifft. Die verstecken sich im unteren Teil der Regale. Einfacher zu finden sind hingegen Luxuswaren mit hoher Gewinnspanne, so genannte Impulswaren. Die werden geschickt zwischen die Dinge des täglichen Bedarfs platziert: Luxusweine zwischen Brot und Käse oder teure Parfüms neben den Rasierschaum. Ein anderer Trick: schräg gestellte Gewürzregale, die es dem Kunden schwer machen, ein einmal gegriffenes Glas zurückzustellen. Und auf der Suche nach Zahnpasta müssen wir planlos durch den ganzen Laden irren, weil die Verkäufer sie wieder an einen neuen Platz am anderen Ladenende geräumt haben.

Gefahrenzone an der Kasse

Im Kassenbereich schliesslich ist der Umsatz rund zehnmal höher als in anderen Zonen eines Lebensmittelgeschäfts. Während wir in der Warteschlange stehen, bieten sich uns und vor allem unseren Kindern die süssesten Verlockungen an.

Diese Warenanordnung ist mittlerweile Standard. Ebenso wie spezielle Rotlichtlampen über der Fleischtheke, unter denen auch das wässrigste Hormonschnitzel noch gesund und saftig erscheint.

Schon länger experimentiert der Einzelhandel mit verkaufsfördernder Beschallung. Allerdings mit geringem Erfolg. «Das Problem ist, dass Musik in einem leeren Supermarkt über die Mittagszeit zwar sehr nützlich sein kann», erklärt Verhaltensforscher Weinberg. «Aber in der Rushhour empfinden viele Kunden Musik als zusätzlichen Stress.» Zudem reagieren Menschen sehr unterschiedlich auf Musik.

Wesentlich besser eignen sich zur emotionalen Beeinflussung Farben und Düfte. «Im Gegensatz zur Musik», so Weinberg, «gibts bei den Farben und Düften Reize, die für alle Menschen die gleiche Bedeutung haben.» Gelingt es, beim Konsumenten auf der emotionalen Ebene eine positive Grundstimmung zu erzeugen, beeinflusst das auch kognitive Kaufentscheide wie etwa den Preisvergleich.

Das älteste Beispiel für Duftmarketing ist der frische Zitrusduft. Praktisch alle Reinigungsmittel riechen nach Zitrone. Doch dabei bleibt es nicht. Peter Weinberg: «Heute können Sie jeden Duft kaufen, den Sie wollen, und mittlerweile wird die Beduftung im Einzelhandel auch flächendeckend eingesetzt.» Gemäss Beat Grossenbacher, Inhaber der Beduftungsfirma Grorymab in Wangen an der Aare BE, schrecken in der Schweiz die Marktleader Coop und Migros aus Angst vor Konsumentenschützern noch vor der Beduftung zurück. Aber auch hierzulande kann man nicht mehr sicher sein, ob der appetitliche Geruch von frischem Brot tatsächlich auch vom Backprodukt kommt.

Die Einsatzgebiete sind anscheinend unbegrenzt. «In Arztpraxen zum Beispiel setzen wir antiseptische und beruhigende Duftstoffe ein», erklärt Dufthändler Grossenbacher. Als Verkaufsunterstützung für Oberbekleidung hingegen empfiehlt er erotisierende Düfte. «Mit der Kleidung wollen wir uns ja auch auf dem Beziehungsmarkt präsentieren.»

Gemäss Werner Nagel, Mitarbeiter der Pädagogischen Hochschule Freiburg im Breisgau, kombinieren die Detailhändler die Einzeltechniken auch zu Gesamteindrücken. Eine grüngelbe Dekoration in Kombination mit einigen Blautönen, Bildern von Wasserlandschaften, fröhlicher Musik und Zitrusduft garantiert ein emotionales Frischeerlebnis.

Die verkaufsfördernde Wirkung von Düften und Farben gilt heute als erwiesen. Laut einer Studie der Universität Paderborn steigt der Umsatz in bedufteten Verkaufsräumen um durchschnittlich sechs Prozent. Und Coop konnte etwa den Verkauf von Arborio-Reis allein mit einer farbigen Verpackung um mehr als 60 Prozent steigern.

Verführung bewusst erleben

Bei mehreren tausend Produkten im Supermarkt ist es für uns unmöglich, eine Auswahl allein aufgrund sachlicher Produktinformation zu treffen. Kein Wunder also, dass die Werbung gezielt versucht, uns zu emotionalen Vorentscheidungen zu verleiten. Solchen Reizen kann sich auch der kritischste Konsument nicht entziehen. Verhaltensforscher Peter Weinberg zumindest ist überzeugt: «Beduftung und die richtige Farbpräsentation funktionieren genauso gut, wenn die Kunden darüber Bescheid wissen. Verführung kann man durchaus auch bewusst erleben. Und Menschen lassen sich nun mal gern verführen.»