Der Beweis liegt in Finsterwald begraben, zugeschüttet. In der Gemeinde Entlebuch LU steht noch immer die einzige Maschine, die je Erdgas aus Schweizer Boden geholt hat, Inventarnummer 279’207, Cameron Iron Works, West Germany. Dieses so genannte Eruptionskreuz förderte das wertvolle Gas während fast zehn Jahren, zum letzten Mal am 8. Juli 1994. Seither führt das Maschinenrohr nicht mehr in eine Tiefe von 5’289 Metern, sondern nur noch knapp unter die Oberfläche. Ein Industriedenkmal.

Dabei waren die Testbohrungen Anfang der achtziger Jahre noch «sehr ermutigend», wie die Zeitungen schrieben. Endlich hatte man Erdgas gefunden in der Schweiz - genug, um es an die Oberfläche zu holen. Doch erst mussten jahrelange Tests durchgeführt werden. Denn noch war unklar, ob der Druck genügen würde, um über Jahre fördern zu können. 1985 war es so weit: In einem feierlichen Akt wurde das Drehrad des Eruptionskreuzes erstmals geöffnet.

Der heute 61-jährige Patrick Lahusen war von Anfang an mit dabei, als Geschäftsführer der Holdinggesellschaft Swisspetrol. Wenn er von damals spricht, beginnen seine Augen zu funkeln. «In Finsterwald haben wir zum ersten Mal bewiesen, dass sich in der Schweiz Gas aus dem Boden holen lässt.»

Die Freude wurde schnell getrübt
Ein Jahr nach Inbetriebnahme der Anlage stattete gar der Bundesrat auf seiner «Schulreise» einen Besuch ab. Egli, Kopp, Schlumpf, Stich, Furgler, Delamuraz, Aubert. Die Polizei war zwei Tage zuvor angereist, um die explosionsgefährdete Zone zu durchkämmen. «Nach einer Wanderung zur Erdgasabnahmestelle Finsterwald fuhren die sieben Mitglieder der Landesregierung, der Bundeskanzler und die beiden Vizekanzler mit Ross und Wagen weiter nach Wissenegg», notierte die NZZ am 14. August 1986. Besucher strömten nicht nur aus Bern ins Entlebuch. Ganze Busladungen reisten an, um zu staunen und ihr Schulwissen zu korrigieren: Die Schweiz hat eben doch Bodenschätze.

Doch die Freude über den Gasfund wurde schon bald getrübt: Der Druck begann zu sinken. Um den Brennstoff doch noch an die Oberfläche zu holen, schlossen die beiden Betreuer der Anlage das Gas ein, bis sich wieder genug Druck aufgebaut hatte. Neun Jahre nach der Eröffnung mussten sie die Produktion jeweils für 14 Tage unterbrechen - um dann wieder 14 Tage fördern zu können.

Schliesslich wurde 1994 der Betrieb eingestellt. In zehn Jahren hatten die Ingenieure 74 Millionen Kubikmeter Gas aus dem Boden geholt - so viel, wie heute im Schnitt in 32 Stunden durch den Schweizer Abschnitt der Pipeline Holland-Italien strömt. Inzwischen befahren wieder Traktoren die Strasse zum ehemaligen Förderplatz. Die Aufbereitungsanlage ist längst einer Grillstelle, einem Spielplatz und einem Fussballfeld gewichen. Nur die Baracke von damals steht noch.

«Eigentlich stimmen alle Faktoren»
Kommerziell war Finsterwald ein Misserfolg: Es blieb ein Verlust von 27 Millionen Franken. Doch Lahusen erinnert sich gern an den Ort. Denn wo einmal Gas gefunden wurde, muss noch mehr sein. «Sie können in der Schweiz ja kein Loch bohren, ohne dass Gas kommt», sagt er.

Wenn er an die Vorzüge von Schweizer Erdgas denkt, gerät er ins Schwärmen: Das Land liegt mitten im Markt der Abnehmer. Der Transport ist unproblematisch, denn es gibt ein Pipeline-Netz. Die politischen Verhältnisse sind stabil. «Eigentlich stimmen alle Faktoren, man muss nur noch Erdgas finden», sagt Lahusen.

Zwar ist Lahusen gar kein Geologe, sondern Jurist. Dennoch sucht in der Schweiz keiner so beharrlich nach Erdgas - und das seit einem Vierteljahrhundert. Nach einer Bankkarriere trat er 1978 als Verwaltungsrat der Swisspetrol bei, die sich der Suche nach Öl und Gas verschrieben hatte. Das Sagen hatten damals aber Konzerne wie Shell oder Esso, die auch 90 Prozent der Kosten übernahmen.

Das Erdgasgeschäft liess Lahusen bald nicht mehr los; er wurde Geschäftsführer der Swisspetrol. Als die Ölmultis sich Anfang der neunziger Jahre zurückzuziehen begannen, übernahm er eine Tochterfirma und muss heute im Ausland Geldgeber von seinen Projekten überzeugen. Lahusen, der Jurist und Banker, tauschte immer häufiger Anzug und Krawatte gegen Arbeitskleider und Helm. Inzwischen ist der Pionier, der Durchhaltewillen und Stehvermögen als seine wichtigsten Charaktereigenschaften nennt, zum Hobbygeologen geworden. Sein grösstes Kapital sind die Daten zur Beschaffenheit des Schweizer Untergrunds.

Lahusen rechnet mit 300 möglichen Gasfundorten in der Schweiz. Die nächste Testbohrung folgt bald. Zurzeit hat er drei Projekte am Köcheln: zwei im Kanton Bern, eines in der Waadt. Mehr will er nicht verraten, zu viel Geld ist im Spiel. Geologische Voraussetzung für einen Fund ist ein poröses Reservoirgestein, in dem sich Gas angesammelt hat, und ein Deckel, der während Jahrmillionen verhinderte, dass es an die Erdoberfläche steigen konnte.

Doch selbst wenn alle Voraussetzungen erfüllt sind, ist die Wahrscheinlichkeit, wirklich Gas zu finden, immer noch gering. Erst eine Bohrung verschafft Gewissheit. «Es hat noch nie jemand Erdgas gefunden, indem er am Schreibtisch sass», sagt Lahusen. Doch Bohren ist teuer. Eine Tiefenbohrung von einigen tausend Metern verschlingt pro Tag bis zu 100’000 Franken. Lahusens letzte Bohrung vor zwei Jahren im zürcherischen Weiach gilt als billig: Sie kostete fünf Millionen. Dort fand Lahusen Gas - doch es liess sich nicht gewinnen. Das Reservoirgestein war zu dicht.

Die «Lizenz zum Gelddrucken»
Die Chancen, mit einer Bohrung tatsächlich auf Erdgas zu stossen, berechnet Lahusen bei seinen Projekten auf rund zehn Prozent. Trotzdem findet er immer wieder Geldgeber, die auf das goldene Los hoffen. Denn die Verlockung ist gross: «Wer ein grosses Gasfeld findet, hat die ‹Lizenz zum Gelddrucken›», wie der Geologe Peter Burri sagt. Er war als so genannter Explorationsmanager Anfang der neunziger Jahre im Auftrag von Shell und Esso tätig. «Die Schweiz hat bis jetzt nur kleinste Vorkommen, die Geologie ist kompliziert, und die Bohrungen und geophysikalischen Messungen sind teurer als anderswo», nennt Burri die Nachteile hierzulande.

Um wirklich fündig zu werden, genüge es nicht, einzelne Bohrungen auszuführen. «Es ist eine Illusion zu glauben, mit kleinen, punktuellen Projekten könne man erfolgreich sein - obwohl man natürlich immer auch Glück haben kann. Aber das wäre reine Lotterie.» Um das Erdgaspotenzial in der Schweiz zu erkunden, bräuchte man nach seiner Einschätzung 200 bis 300 Millionen Franken.

So viel Geld kann Lahusen nicht auftreiben. Er muss sich auf einzelne Projekte beschränken und Geldgeber suchen, die auf Nischen setzen. «Ich bin eigentlich kein Spieler, aber auf der Suche nach Erdgas wird man automatisch einer, wenn auch unter kontrollierten Bedingungen.» Wäre es in Weiach gelungen, Gas zu fördern, hätte das Projekt beim heutigen Gaspreis 20 Milliarden Franken Bruttoerlös abwerfen können, sagt Lahusen. «Es hätte nach unseren Berechnungen den Schweizer Bedarf für ein Vierteljahrhundert abgedeckt.»

Bisher kann sich die Bilanz der Erdgassuche in der Schweiz nicht sehen lassen: Knapp 40 Bohrungen seit 1912, ein einziges Mal Erdgas gefördert, aber keinen Gewinn erzielt. Gesamtausgaben rund 320 Millionen Franken. Punkto Gasvorkommen gilt die Schweiz bei Geologen als Land mit vielen weissen Flecken. Und bei Investoren als hoch riskant.

Im Notfall sprengt er halt selber
Bis Lahusen einen Bohrturm aufstellen lässt, investiert er zwei bis drei Jahre Arbeit. Steht der Turm, sitzt der Jurist auf Nadeln. Er ist stets auf dem Bohrplatz, wenn etwas passiert - häufig auch mitten in der Nacht. In Weiach löste er um vier Uhr morgens gleich selbst eine Sprengung in 1600 Metern Tiefe aus, weil der Sprengmeister nicht vor Ort war.

Hierzulande fühlt sich Lahusen häufig nicht ernst genommen. «Jedem Schulkind wird eingetrichtert, dass es in der Schweiz keine Bodenschätze gibt.» Wenn er erzähle, dass er Gas suche, behandelten ihn die Leute oft als Spinner, als einen, der in der Schule nicht aufgepasst hat. «In der Schweiz fühle ich mich manchmal wie ein Exot, einer, der mit einem Bastrock über die Zürcher Bahnhofstrasse schlendert.»

Heute sind Lahusens Partner denn auch allesamt Branchenkenner aus dem Ausland. Wenn er ihnen erkläre, wie viele Bohrungen in der Schweiz bis heute gemacht wurden, fragten sie immer, ob nicht alle aus demselben Jahr stammten. So wenige sind es im internationalen Vergleich.

Inzwischen ist Lahusen seit 25 Jahren im Geschäft. Noch immer wartet er auf den durchschlagenden Erfolg. «Jeder Misserfolg wirft einen erst einmal um. Am schlimmsten ist es wie in Weiach, wenn man zwar Gas findet, es aber nicht herausholen kann.» Seine nächste Bohrung plant er fürs Jahr 2008. Und hofft wieder.