Ernsthafte Absichten? Ach was!» Sara Hermann lacht: «Aus Fun habe ich mir die Partnerplattform angesehen», und bei der Gelegenheit gab sie auch ihr Profil auf: «blond, schlank, braune Augen». Ihr Bild gab sie nicht preis. Unter den 30 Antworten war auch jene von Jürg. «Ich schrieb in etwa: ‹Hoi du, ich würde gerne mehr über dich erfahren.›» Jürg schaut Sara an. Sara strahlt.

Mehrere hunderttausend Inserate sind zurzeit auf den Schweizer Internetservern geschaltet. «Diese Sites erreichen annähernd die Beachtungswerte der klassischen Suchmaschinen», sagt der Nutzungsforscher Urs Wolfensberger von der Firma Nielsen Net Ratings: «Davon können andere Anbieter nur träumen.» Täglich kreuzen sich Tausende von werbenden, verspielten, ungeduldigen Mails, in den verschiedensten Tonlagen, aus den unterschiedlichsten Motiven. Die Kontaktsuche im Internet fällt leicht.

Sara Hermann, 28, Personalberaterin, und Jürg Zollinger, 32, Landschaftsarchitekt, sind seit zwei Monaten ein Paar. Bereits drei Tage nach der ersten Mail telefonierten sie täglich – «jedes Mal eine halbe Stunde länger». Jürg: «Ihre raue Stimme faszinierte mich.» Sara: «Es ist unglaublich, wie schnell wir uns nahe kamen – allein mit Worten.» Nach knapp einer Woche erfolgte das erste Treffen. Als sie in sein Auto stieg, «war alle Nervosität verflogen». Gemeinsame Ferien sind beschlossene Sache.

Äusserlichkeiten zunächst unwichtig


Die Zürcher Soziologin Evelina Bühler-Ilieva ist sich sicher: «Das Partnervermittlungsinstrument der Zukunft ist das Internet. Hier kann man sich quasi von innen her kennen lernen. Die äussere Erscheinung verliert zuerst einmal an Gewicht.»

Bühler-Ilieva hat 4110 Nutzer der Plattform Partnerwinner.ch befragt – und eruierte «eine Liebeswahrscheinlichkeit von 40 Prozent». Zwei Fünftel der Männer und Frauen, die auf dieser kostenpflichtigen Plattform inserierten, wurden dank Partnerwinner zum Paar. Die Dauer der Verbindung war nicht Gegenstand der Untersuchung. Das Nutzerprofil der Plattform: Durchschnittsalter 34,3 Jahre, Anteil der Frauen 38 Prozent.

Im Weiteren haben die User einen eher hohen Bildungsgrad. Sie treffen sich oft schon ein, zwei Monate nach der ersten Mail. Vier Prozent der Paare sind bereits nach dem ersten Treffen unzertrennlich.

Der Trend ist klar: In den westlichen Gesellschaften wächst die Angst vor Verbindlichkeiten. Zugleich wächst aber auch die Sehnsucht nach Zweisamkeit. «Bei steigenden Ansprüchen und Karriereplänen bleibt für das Anknüpfen privater Kontakte wenig Zeit», sagt der Zürcher Paartherapeut Jürg Willi. Hier kommt das Internet wie gerufen.

Sich im Verborgenen näher kommen


Das Medium verspricht hohen Nutzen; man muss für die Partnersuche das Haus nicht verlassen. Zahlreiche Angebote sind kaum mit Kosten verbunden. Menschen können sich hier gedanklich näher kommen – und gleichzeitig im Verborgenen bleiben.

Daniel nutzt das Medium intensiv. «Gegen zehn Frauen» traf er während weniger Wochen via Internet. Er ist 37 Jahre alt und hat eine langjährige Beziehung hinter sich. «Die meisten Frauen suchen im Internet sehr effizient», ist seine Bilanz: «Sie erhalten auf ein Inserat mit Foto vielleicht 100 Mails. Eine Antwort liegt oft nicht drin – geschweige denn ein Abendessen. Bei Interesse wird das Treffen vorzugsweise über Mittag arrangiert. Zügig und eher unromantisch, würde ich sagen.»

Und wie steht es mit der Romantik abseits der Internetdates? In einer Disco könne er doch keine Frau ansprechen, sagt Daniel, da sei es viel zu laut. Und wenn er das an einer Bar versuche, käme er sich «klar als Trottel vor».

Enttäuschungen sind inbegriffen


«Die heutigen Männer wissen einfach nicht, was sie wollen», lautet Gabis Fazit. Die allein erziehende Mutter verliebte sich «unsterblich» im Netz. Ganze Nächte verbrachte die 35-Jährige mit Rolf im Chat am Computer – «zwei Meter vom Kinderzimmer entfernt». Dann traf sie ihn endlich. «Ich war hin. Er auch. Dachte ich.» Doch es kam alles anders. Rolf hatte noch zwei weitere Frauen kennen gelernt: «Bei anderen Plattformen. Wahrscheinlich.» Gabi zuckt mit den Schultern.

Die Jagd nach einem schnellen Abenteuer ist zweifellos Teil der Chatszene. Die Sehnsucht nach der bleibenden Liebe ist jedoch unbestritten. Guy Bodenmann, Leiter des Instituts für Familienforschung und -beratung der Universität Freiburg: «Eine intakte Zweierbeziehung ist fundamental für die Lebenszufriedenheit. Das ist vielfach belegt worden. Den Partner oder die Partnerin fürs Leben zu finden ist ein zentrales Thema der menschlichen Existenz. In der Schweiz heiraten 85 Prozent der Leute mindestens einmal im Verlauf ihres Lebens.» Zwar wächst die Zahl der Einpersonenhaushalte. Aber auch Paare leben vermehrt in getrennten Wohnungen. Bodenmann: «Die Singles sind keine Konkurrenz zur klassischen Lebensform.»

Singles sind bei Werbern sehr beliebt


In Städten haftet dem Singledasein jedoch nichts Beschämendes mehr an. Im Gegenteil: Ein Single steht für Lebenslust, Offenheit, Spontaneität. Das Marktumfeld ist entsprechend attraktiv für Werber. Die Sendung «Swissflirt-TV» des Ostschweizer Senders Tele Top wird gesponsert von Helvetic Airways, Oviesse und Konica Minolta. «Swissdate», die Kuppelshow von Tele Züri, hat die Sponsoren Jelmoli, Fujifilm, Fleurop und Sunrise. Zuschauerzahl von «Swissdate»: 300000. Der Philosoph Peter Sloterdijk hielt einmal fest: «Unsere Gesellschaft ist zu einem Paarlaufwettbewerb geworden.»

Diesem Thema widmet sich auch «Klick», ein Theaterstück von Susanna Stalder. Platton? Sulz? Kopernikuss? Eve, die Hauptfigur des Dramas, kann sich nicht entscheiden. Mit allen dreien pflegt sie sehr anregende Korrespondenz. Platton liebt philosophische Exkurse; Sulz eher die Romantik, Kopernikuss öffnet Abgründe. Doch wie der Chat so spielt – hinter Platton, Sulz und Kopernikuss versteckt sich eine einzige Person. Bruno.
Susanna Stalder: «Wer das will, kann den Chat als Maskenball missbrauchen. So mancher benutzt das Internet als Podium für Selbsterfahrungen, nichts weiter.»

Wegen virtueller «Untreue» verlassen


Was ist wirklich? Was ist virtuell? Die Grenzen verwischen sich zusehends. Susanna Stalder erfuhr dies am eigenen Leib. Ihre Ehe zerbrach, weil ihr Partner in ihrem Computer einen intensiven Mailverkehr entdeckt hatte. Die Autorin hatte diesen Mann nie gesprochen oder gesehen.

Flirt, Partnersuche oder einfach Gedankenaustausch: Die Online-Services waren im deutschsprachigen Raum lange Zeit kostenlos. Das hat sich geändert: Viele Gratisanbieter sind inzwischen kostenpflichtig geworden oder beabsichtigen, es demnächst zu werden. Die Geschäftszahlen werden allerdings mit grosser Diskretion gehandelt. Sämtliche Schweizer Betreiber geben an, dass sie heute schwarze Zahlen schreiben. Details werden keine genannt. Viele Anbieter entfernen «fündig gewordene» Kunden nicht automatisch aus dem Angebot; die Stichhaltigkeit diesbezüglicher Zahlen ist fraglich.

Fest steht: Gratisplattformen werden überwiegend von Männern genutzt. Der Anteil von Fraueninseraten gilt unter Fachleuten als Indiz für die Seriosität. Wer bezahlt hat, kann im Notfall per Kontoinformationen identifiziert werden. Das Liebesglück, scheint es, ist nur im Glücksfall gratis zu haben.

Das Partnerangebot im Netz wächst. Hat das Internet die Printannoncen verdrängt? Laut eigenen Angaben stellen weder die «Berner Zeitung» noch die «Basler Zeitung» Einbussen fest. Die neue Partner-doppelseite der «Neuen Luzerner Zeitung» weist gar «eine vielversprechende Entwicklung» auf. Auch die NZZ sieht in Internetinseraten «keine Konkurrenz. Unsere Leserschaft hat ein höheres Niveau», so der Kommentar des Verantwortlichen. Was er damit meint, erhellt eine aktuelle NZZ-Anzeige: «Junge Witwe eines Multimilliardärs, hochintelligent, atemberaubend schön, fünfsprachig, sucht neuen Partner».

Bescheidener geht es bei den Heirats-vermittlungsinstituten zu. Immerhin: Ein Vertrag bei Resonanz in St. Gallen – aktiv seit 1962 – kostet 3500 Franken. Rita Keel, Geschäftsführerin, stellt heute «gewisse Einbrüche fest, aber die gabs auch schon zu früheren Zeiten. Aufs Geratewohl kommt halt niemand auch noch zu uns.» Der Katholische Bekanntschaftsring (KBR) spürte die Magie des Internets deutlicher. KBR schloss die Pforten. You*KBR, die Nachfolgefirma, wird sich Mitte Jahr aufs Netz schalten. Herzklopfen, die Partnervermittlung des Hilfswerks der Evangelischen Kirchen Schweiz, gab ihr Angebot Ende Januar auf.

Tarotkarten legen in Sri Lanka


Die klassische «Hilfe für Alleinstehende» via Eheanbahnungsinstitut ist nicht mehr gefragt. Der Geschäftszweig Partnersuche schwappt dafür in alle Bereiche. In einer Zürcher Migros-Filiale soll das Einkaufserlebnis mit einem gewissen erotischen Kitzel angereichert werden: Alleinstehende können sich dort mit speziellen Einkaufskörben zu erkennen geben. Das Flirtshopping im Berner Warenhaus Loeb funktionierte ähnlich; es war laut dem Marketingleiter «ein Grosserfolg».

Beim so genannten Speedflirting in Bern, Genf, Luzern oder Zürich können sich Beziehungswillige im Siebenminutentakt beschnuppern. Preis: 77 Franken. Ein Nachtessen mit Partneraussicht bei Funtable kostet 290 Franken. Für 3000 Franken können Schweizer Singles in Sri Lanka gemeinsam Tarotkarten legen und die Geheimnisse von Ayurveda erkunden.

Grosser Zulauf bei Kontaktwebsites


Eine Datingplattform offeriert ihren Members «Love-Partys», «Dance’n’Flirt-Partys» sowie ein «Fest der Sinne» mit Preisen zwischen 40 und 150 Franken. Der Flirt per SMS – «anonym, mobil, unverbindlich, schnell» – kostet bei Partnerwinner Fr. 2.13 pro Minute. Wie viel von dem Geld an die Besitzerin Tamedia geht, wird nicht kommuniziert.

Zirka 21000 Surferinnen und Surfer tummeln sich täglich auf der Datingplattform Partnerwinner. Die Online-Partnervermittlung Swissflirt zählt im Schnitt 17000 Personen pro Tag. Selbst die kleine Plattform Singles.ch kommt auf täglich 10000 Besucher. Die Besucherzahlen der Flirtplattformen sind in den letzten Jahren steil angestiegen.

Dass die Partnersuche via Internet von mehr Wohlwollen getragen ist, gilt wissenschaftlich als erwiesen: «Wer im wirklichen Leben einen Partner sucht, macht unbewusst eine optische Grobsortierung, wer dafür in Frage kommt und wer nicht», sagt der Sozialpsychologe Manfred Hassebrauck aus Wuppertal. «Im Internet überspringen wir diesen ersten Schritt und fangen mit dem zweiten an.» Hassebrauck wies experimentell nach, dass Menschen, die ein Vorwissen voneinander geschaffen haben, sich bei der wirklichen Begegnung viel attraktiver finden, als dies im Alltag der Fall gewesen wäre: «Das gilt vor allem für Leute, die sonst nicht so positiv auffallen.»

Nach sieben Monaten erstes Treffen


Am 18. Mai 1998, gegen 20 Uhr, setzte sich Rolf Buholzer, damals 27 und Verbandssekretär von Blauring und Jungwacht, in ein Internetcafé in Luzern. Karina Salazar, Direktionsassistentin, Buenos Aires, hatte sich soeben als Chispitas (Fünkchen) in den Chatraum eingeloggt. Für sie war es 16 Uhr. Rolf Buholzer trat als Indurix auf.

Indurix schwärmte von Buenos Aires. Chispitas wollte ihm nicht glauben, dass er Schweizer sei. «Ich bin hässlich», schrieb ihm Chispitas wenig später in einer E-Mail. «Ich glaube dir nicht», schrieb Indurix zurück. «Du bist lustig», antwortete Chispitas.

Argentinien war aus der Fussballweltmeisterschaft ausgeschieden; Rolf Buholzer montierte sein eigenes Bild in «Argentinas» Elf. «Beso te», fügte er hinzu («Ich küsse dich»). Er begann jetzt, spanisch zu schreiben. Kein Tag verging ohne eine Mail, sie schickte ihm einen Plüschbären nach Luzern, er ihr Schokolade, und nach drei Monaten hörte sie zum ersten Mal seine Stimme: «Ich selbst brachte fast kein Wort hervor.»

Am 25. Dezember 1998, sieben Monate nach dem ersten Chat, bestieg Rolf Buholzer das Flugzeug nach Buenos Aires. «In meinem Gepäck war Weisswein, Trüffelöl, Schweizer Käse…» Der Hobbykoch hatte ein veritables Festmahl dabei. «Als ich sie sah, war ich erschlagen.» – «Er hatte sich total herausgeputzt», lacht Karina. «Nach dem ersten Kuss sagte er: ‹Jetzt sind wir mehr als Freunde.›»

Rolf gefiel auch dem Vater von Karina. Die Heirat von Karina und Rolf fand am 24. März 2000 in Luzern statt. «Es war mir sehr wichtig, dass Rolf mit einer religiösen Erziehung der Kinder einverstanden war», sagt Karina. Wann die Frage aktuell wird, ist noch offen.

Quelle: Christian Ammann