Manche Dinge ändern sich nie. Günter Netzers Frisur zum Beispiel. Die sitzt noch heute so souverän schief wie vor 32 Jahren auf dem Panini-Bildchen Nummer 97. Deutschland hiess noch BRD, die Schweiz gehörte zu den «grossen Ausgeschlossenen», siehe Bild Nummer 385: Jakob Kuhn (Helvetia), 31, Mittelfeldspieler, nicht qualifiziert. «München 74» war das erste WM-Sammelalbum mit selbstklebenden Brustbildern von Fussballern, das die italienische Firma Panini international vertrieb. Wer sie seither WM für WM, EM für EM gesammelt hat, von Arconada bis Zico, für den ist Panini die grosse Konstante im Leben. Ein Spleen, der jedes Hobby, jede Liebschaft überdauert.

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Einsam war das Kind im Manne
Diesen Sommer klebt jeder rasch Alex Frei ein, besorgt jeder sich hurtig per Internetbörse Takashi Fukunishi. Der Sammler von heute ahnt ja gar nicht, was unsereiner durchgemacht hat, als Panini-Bildli noch nicht Mainstream waren. 1986 etwa, während der WM in Mexiko. Man besuchte mit Vorliebe illegale Bars in müffelnden Betonkellern, die miesen Rotwein aus Literflaschen ausschenkten - Fussball galt unter den selbsternannten Anarchisten als pfui und Panini als übler Kommerz. Kein Schwein half tauschen.

Und 1990, bevor man selber Kinder hatte, faselte man am Kiosk verschämt etwas von «…ist drum für den Göttibuben» und gab mangels Tauschpartnern ein Vermögen aus: Einsam war das Kind im Manne, erwachsene Mitsammler gabs nicht, und auf Pausenplätzen konnte man ja nicht herumlungern - man hätte als Pädophiler gegolten. Erst bei «France 98» war Panini plötzlich schick, keine Freitagtaschenträgerin, die nicht heiss auf Karembeu, Nesta und Suker gewesen wäre.

Heuer heisst das Stickeralbum globalenglisch «Germany 2006», und Panini boomt wie nie. Allein in den ersten drei Wochen wurden in der Schweiz 30 Millionen Tütchen à fünf Bilder abgesetzt, das Päckchen zu 90 Rappen. Lange vor WM-Beginn wird die Rekordmarke von 2002, als hierzulande 100 Millionen Bildchen weggingen, auf 200 Millionen Stück verdoppelt sein. Das hat nicht nur mit der Teilnahme der Schweizer Nati, sondern auch mit Marketing zu tun: Panini bewirbt seine Sticker erstmals mit TV-Spots und Inseraten, erstmals ging die Firma Kooperationen ein: Nestlé legt dem Knusperfrühstück «Crunch» Bildchen bei; die welsche Zeitung «Le Matin» schenkte ihren Lesern das leere Album; «Blick» und «Sonntags-Blick» legten zusätzlich zum Album sechsmal sechs Panini-Bilder bei - laut einem Ringier-Verlagsmann schnellte die verkaufte Auflage an Panini-Tagen um jeweils 30’000 Stück empor.

Streit um «Lockvogelangebot»
Die Firma Panini, 1945 von den Brüdern Giuseppe, Benito, Umberto und Franco als Kiosk gegründet, peilt 2006 das beste Geschäftsjahr an. Sechs Milliarden Bildchen sollen weltweit verkauft werden, was den Nettoumsatz 2005 von 653 Millionen Franken pulverisieren würde.

«In der Schweiz herrscht ein unglaubliches Panini-Fieber», sagt die fürs hiesige Territorium zuständige Silvia Losi: «Proportional betrachtet, ist die Schweiz unser erfolgreichster Markt.» Der Wettbewerb blüht. «Für Panini-Bilder kassieren wir nicht ab», inserierte Denner im April und gab die Bildchen verbilligt ab. Denners 75 Rappen lagen freilich immer noch 30 Rappen über dem Einstandspreis. Mehrere hunderttausend Brieflein waren von einem Zwischenhändler bezogen worden und nach zwei Tagen ausverkauft. Dennoch sah der «Blick» sich um seine Panini-Vormacht betrogen und schimpfte: «Lockvogelangebot!» Denner-Sprecherin Eva-Maria Bauder nimmts gelassen: «Natürlich war das ein Lockvogel. Wir lockten viele Kunden in die Läden, die vielleicht jahrelang nicht mehr in einem Denner gewesen waren und nun sagten: ‹Aha, so schlimm sieht es hier drin ja gar nicht mehr aus.›»

Silikon-Armreife ärgerten Eltern
1961 gaben die Brüder Panini ihr erstes Stickeralbum mit italienischen Fussballern heraus, 1970 das erste WM-Album. Nach Besitzerwechseln in den neunziger Jahren ist die Firma gefestigt. Sie beschäftigt 640 Mitarbeiter und vertreibt in 110 Ländern Comics, Kinderbücher und Klebebildchen aller Art. Letztes Jahr ärgerte Panini die Eltern mit bunten Silikon-Armreifen, so genannten Power-Rings. Gegen zwei Millionen Stück wurden in der Schweiz verkauft, und natürlich steckte nie der gewünschte Bändel mit der Aufschrift «Football-Power» im Päckchen. Dafür hatten die Kids am Ende achtmal «Smile-Power», fünfmal «Dream-Power» und dreimal «Friends-Power» am Arm.

Just dies, die Verknappung begehrter Sujets, sagt man seit je den Fussballbildchen nach. Maradona und Baggio fehlten stets bis zuletzt, an der EM 2004 waren Zidane und Figo rar - dafür hatte der Sammler den Schweden Mattias Jonson am Ende garantiert zwölffach.

Und wie ist es 2006? Der Beobachter hat mehrere Schachteln - gekauft in Chur, Kloten und Bümpliz - ausgezählt. Das Resultat deckt sich mit dem Eindruck der Sammler: Niederländer und Saudis sind fast doppelt so häufig wie andere. Wer für 90 Franken eine Schachtel à 500 Bildchen kauft, hat im Schnitt neun Holländer doppelt, einige gar dreifach. Dafür fehlen in fast jeder Box der Serbe Zvonimir Vukic und der Togolese Adekanmi Olufade.

Blankoverträge für Nachwuchstalente
Offenbar begegnet Panini dem ewigen Vorwurf, von den Stars seien weniger Bildchen in Umlauf, durch Umkehrung. Nicht die Beckhams und Ronaldinhos sind diesmal rar, sondern irgendwelche Nobodys. Schummelt Panini? «Wir drucken von jedem Bild gleich viele», beteuert Silvia Losi in Modena. Das glauben Sie ja selber nicht, Signora Losi! Auf 2000 Bilder kommt kein einziger Vukic, dafür hats elf van Nistelrooys. «Ich hab auch gehört, es gäbe viele Holländer», sagt sie, «aber es stimmt nicht.» Und wenn, dann dürfte Frau Losi es nicht zugeben. «Das italienische Konsumentenschutzgesetz verbietet uns die künstliche Verknappung einzelner Bilder.»

Wie viel genau Panini der Fifa und den Landesverbänden für Lizenzgebühren und Bildrechte bezahlen muss, bleibt geheim. Sicher ist: Um den künftigen Stars die Rechte an ihrem Bild möglichst früh und billig abzuluchsen, tummeln sich Panini-Agenten mit Blankoverträgen an Juniorenweltmeisterschaften. Die meisten sehen sich gern im Album, nur einer sperrte sich: Deutschlands Torhüter-Titan Kahn. Die 1500 Euro Entschädigung waren ihm 2004 zu wenig. An seiner statt klebte Ersatzmann Jens Lehmann im Heft. Für «Germany 2006» lenkte Kahn nun ein, doch dann verlor er, fiese Ironie des Schicksals, die Nummer eins an Lehmann.

Kahn hatte seinen Posten zwischen den Pfosten schon verloren, als sein Bildchen in Deutschland auf den Markt kam. Weil die Auslieferung in den einzelnen Ländern gestaffelt erfolgte, versteigerte ein schlauer Schweizer ganze Schachteln, gekauft für 90 Franken, via E-Bay für ein Vielfaches an ungeduldige Deutsche. Der Panini-Wahn grassiert. Hatten die Eifrigsten früher ihre Alben zu WM-Beginn komplett, waren diesmal schon Mitte April die meisten Hefte voll. Aber aufgepasst: Wird ein Kult zu sehr vermarktet, ist er kein Kult mehr. Die Welle wird verebben. Und spätestens an der WM 2014 sind wir unheilbaren Sammler dann wieder unter uns.